Wilde Gärten, späte Lieben

Zwischen den Gräsern kann man etwa den Wiesensalbei ansiedeln.
Zwischen den Gräsern kann man etwa den Wiesensalbei ansiedeln.(C) Ute Woltron
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Wer einen recht pflegeleichten Garten anlegen will, macht es wie der israelische Schriftsteller Meir Shalev, der spät seine Leidenschaft für das Gärtnern entdeckt hat, und setzt vor allem auf Wildpflanzen.

Novemberregen. Alles grau in grau. Im Geäst der kahlen Bäume sitzen Krähen, ihre schwarzen Silhouetten wirken wie die Geistervorhut des nahen Winters. Sie sitzen still, lassen die Regentropfen vom Gefieder abperlen, warten auf bessere Zeiten. Andere Tiere haben sich längst in ihre Behausungen verkrochen, doch die Krähen halten draußen die Stellung.

Die Igel liegen seit Wochen wohlig vergraben in ihren Laubhäufen, die Fledermäuse hängen in Samtflügel eingewickelt in Höhlen und auf Dachböden, Kröten und Ringelnattern haben sich in Erdlöcher und Komposthäufen zurückgezogen. Und wir? Wir kochen Tee, kramen die flauschigste Wolldecke hervor, und wenn wir ein lesenswertes Buch zur Hand haben, kann der Schnee ruhig kommen.

Im Norden Israels setzt hingegen um diese Zeit des Jahres der lang ersehnte Winterregen ein, und während hier die Natur scheinbar zum Stillstand kommt, pumpt sich die Flora des kargen Landes nach der Trockenphase des Sommers jetzt endlich wieder mit Saft und Kraft auf, um ab Februar, März die Blütenorgie zu feiern.

Einer, der dort unter oft widrigen Bedingungen einen Garten pflegt, ist der Schriftsteller Meir Shalev, bekannt für Romane wie „Der Junge und die Taube“ oder zuletzt „Zwei Bärinnen“. Sein Garten ist, wie er selbst sagt, ein echter Wildgarten. Nur wilde Blumen und Gräser wachsen hier, keine veredelten und hochgezüchteten Gartenkreaturen. Doch Shalev kultiviert dieses Wilde, zwingt ihm bis zu einem gewissen Grad seinen Willen auf.

Wenn eine Straße gebaut, die Grundfesten eines neuen Hauses errichtet werden und der 69-jährige Israeli zur Stelle ist, pflegt er rechtzeitig die Zwiebeln und Knollen der für die Gegend charakteristischen Pflanzen wie Cyclamen, Anemonen und Meerzwiebeln auszugraben und zu retten. Wenn der wilde Mohn seine Samenkapseln ausgereift hat, streift Shalev über die Wiesen und sammelt den Mohnsamen ein.

Steppengärten. Wie er ihn im Garten ausstreut, wie er heranwächst, blüht und rote Blütenteppiche treibt, beschreibt der Schriftsteller in seinem eben erschienenen Buch mit dem Titel „Mein Wildgarten“. Es handle sich dabei weder um einen Gartenratgeber noch um ein Lehrbuch für Botanik und Gartenbau, sagte er, als er unlängst auf der Buch Wien zu Gast war: „Es ist nur eine Sammlung von Notizen über einen bescheidenen Wildgarten und den Gärtner, der ihn hegt und pflegt, einen Mann, der recht spät im Leben ein Hobby gefunden hat, vielleicht sogar eine neue Liebe.“ Wollte man Vergleiche ziehen mit Shalevs israelischem Wildgarten zu ähnlichen Anlagen hierzulande, so wären die seit einigen Jahren in Mode gekommenen Steppengärten das passende Gegenstück. Passionierte Wildgärtner verstehen sich wie Shalev darauf, zwischen Gräsern und Steppenstaudenpflanzen, wie Salbei, Kugellauch, Steppenkerze, Edeldistel, Fetthenne, Ehrenpreis und viele andere auch, heimische Wildpflanzen anzusiedeln und dem Garten einen extrawilden Hauch zu verleihen.

Prachtvoll ist etwa die Wilde Möhre, die von den Engländern liebevoll „Queen Anne's Lace“ genannt wird. Wer sie in den Garten holen will, streut die im Spätsommer geernteten Samen aus. Wer es ein wenig extravaganter will, besorgt sich über britische Kontakte Samen der lila blühenden Variante.

Einfache, doch wunderschöne Blumen wie die ewig lang und blau blühenden Acker-Glockenblumen lassen sich leicht einfangen und mittels Samen heimtragen. Wer sie einmal im Garten hat und das Abgeblühte nicht gleich säuberlich abschneidet, wird sich ewig an ihnen erfreuen. Auch die weiß blühende Echte Schafgarbe, der dunkellila Wiesensalbei, die gelbe Nachtkerze, das Tausendguldenkraut mit seinen seidig schillernden Samenständen sind höchst sympathische Wildpflanzen, die jedem Garten zur Zier gereichen.

Die Wildblumen sind dabei robuster als Hochgezüchtetes. Sie vermehren sich idealerweise über Samen und suchen sich am liebsten ihren Standort selbst aus. Dem Wildgärtner kommt es dann zu, ein wenig zu strukturieren, umzupflanzen und die das Gesamtensemble störenden Beikräuter auszuzupfen. „Als Teil der Natur ist der Garten eine analoge Uhr“, schreibt Shalev: „Sie hat Zeiger, die im Kreis vorrücken: Einen kleinen Zeiger für die große Zeit, die Jahre und Jahreszeiten, und einen großen Zeiger für die kleine Zeit, die Stunden des Tages, und beide sind nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören und zu riechen.“

Der kleine Zeiger der Jahreszeiten zeige das Ende des Sommers etwa durch das Zirpen der letzten Zikaden an, der große verkünde den nahen Sonnenaufgang durch den Gesang bestimmter Vögel. So betrachtet sind die Krähen in den Ästen auch ein Zeiger, eben für Nebel, Kälte und Lesezeit.

Lexikon

Meir Shalev. 1948 in Nahalal geboren, gilt der Schriftsteller als einer der beliebtesten und bekanntesten Autoren Israels, zugleich aber auch als einer der schärfsten Kritiker der israelischen Politik.

Mein Wildgarten. Das Buch über Shalevs Garten, das sich wie ein Selbstporträt seines Autors liest, ist in der Übersetzung von Ruth Achlama im Diogenes Verlag erschienen (€ 24,70).

Wildblumen. Wer sie in den Garten holen will, sollte das nur über Samen tun, die man ab dem Sommer auf Wiesen und an Waldrändern einsammeln kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2017)

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