Die Suche nach dem idealen Nest

(C) Woltron
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Wenn eine Henne ihre Eier besonders gut verstecken will, gelingt ihr das für gewöhnlich auch. Und für den Gärtner bedeutet das dann das ganze Jahr über Ostern – mit eher seltenen Erfolgsmomenten.

Wenigstens zu Ostern besteht kein Zweifel daran, dass das Huhn vor den Eiern da war und nicht umgekehrt. Ohne Hennen blieben die Osternester leer, doch selbst mit Hühnern, zumindest mit manchen von ihnen, kann dieser unerfreuliche Zustand eintreten. Dabei ist das kultivierte Legehuhn ein Tier, auf das man sich gewöhnlich verlassen kann. Abends schreitet es, nachdem es den lieben langen Tag über in der Wiese wenig mehr angestellt hat, als zu scharren, zu picken, proteinhaltige Nahrung zu speisen und genüssliche Sandbäder zu nehmen, zuverlässig mit Einbruch der Dämmerung in Richtung Stall zurück.

Dort sitzt es auf seiner Stange und schläft bis zum Morgengrauen, wohlig geschützt vor Witterung, Marder und Fuchs. In der Früh setzt es sich, allenfalls nach einem kleinen Frühstück, recht bald im Stall auf sein Lieblingsnest und legt ein Ei. Sobald das vollbracht ist, verlässt das Huhn das Hendlhaus sofort wieder, gackert ein Weilchen ziemlich laut herum, beruhigt sich alsbald und nimmt seine Pickarbeit wieder auf. Nicht so die Prinzessin. Sie war ein Zwerghuhn, und zwar ein besonders hübsches: hellbraun, dunkelbraun und schwarzgrün gefiedert, und auf dem Köpfchen trug sie einen semmelgelben Schopf. Sie war klein und zierlich. Mittels Brutapparat hatte ich sie nebst zwei Dutzend anderen befruchteten Eiern 21 Tage lang gluckenhaft betreut und sozusagen selbst ausgebrütet.

Kurze Belüftung. Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind in jeder Phase der Brut elementar und müssen exakt stimmen. Die Eier brauchen täglich eine kurze Belüftung und werden zudem mindestens viermal pro Tag gewendet, damit die Küken darin nicht an der Eihaut ankleben und missgebildet zur Welt kommen. Die Glucke sorgt dafür, indem sie die Eier im Nest mit größter Sorgfalt immer von außen nach innen rollt und sie mit erhöhter Bauchtemperatur wärmt. Zwei, drei Tage vor dem Schlüpfen kann man die Küken übrigens schon im Ei piepsen hören. Dann kämpfen sie sich mit Mühe frei und sind wenig später trockene, flauschige Hühnerkinder.

Die Prinzessin wuchs, wie gesagt, als Schönste von allen heran, doch sie war von Beginn an einzelgängerisch und eigenwillig. Als die anderen Junghennen nach etwa vier Monaten die Nester zu erklimmen und ihre Eier zu legen begannen, brach sie erstmals aus. Jeden Morgen überflatterte sie trotz gestutzten Flügels unter Aufbietung all ihrer Kräfte den elektrischen Hühnerzaun und schlug sich eilends ins Dickicht des Wäldchens.

Dort legte sie an unbekannter Stelle im Gestrüpp ihr Ei, schritt über Weg und Wiese zum Hühnergelände zurück und gliederte sich, abermals den Zaun überflatternd, in die diszipliniertere Hühnerschar ein. Nur in seltenen Fällen war es möglich, diese Eier zu finden. Nur manchmal gelang es, beim Durchkriechen des Unterholzes eines ihrer versteckten Nester aufzutreiben. Gelegentlich lagen bereits die sechs, sieben Eier der ganzen Woche drin. Das Huhn kehrte zu diesen Nestern nicht mehr zurück, sobald sie entdeckt worden waren, sondern suchte sich sofort ein neues Versteck. Die Prinzessin war der geborene Osterhase, nur mit der Farbe haperte es, die Eier blieben braun und tarnfarben und im Gehölz so gut wie unauffindbar. Auch Versuche, sie beim Legen in flagranti zu erwischen, scheiterten. Dieses Huhn war wachsam. Es bemerkte seine Verfolger, floh und legte erst in der Sicherheit des Verborgenen, wenn es die Häscher abgeschüttelt hatte.

Anspruchsvoll. In ihrem letzten Herbst durfte eben diese schon sehr alt gewordene Hennengeneration, wie immer in den kühleren Phasen des Jahres, das gesamte Grundstück beanspruchen, die Freiheit genießen und sich an versteckten Nacktschneckengelegen, Fruchtfliegenpuppen unter Kirsch- und Nussbäumen und an anderen Schädlingen satt fressen. Sie legten allesamt kaum mehr, und als sich der erste große Frost ankündigte, wurden sie geschlachtet. Als ich im darauffolgenden Frühling die Pflege der Beete und Rabatten aufnahm, das nicht verrottete Laub entfernte und die dürren Staudenreste abschnitt, war wochenlang Ostern. Denn dieses Huhn war bis zum Ende seiner Tage eigenwillig und in Sachen Eierverstecke absolut erfinderisch geblieben. Es fanden sich Eier bei der Pfingstrose und mitten im Phloxfeld. Eier lagen unter Rosen und Sträuchern und hinter dem großen Nest von Ritterspornen. Das großartigste Versteck offenbarte sich in einem Blumentopf. Irgendwann muss die Prinzessin auf ihrer Suche nach dem idealen Nest bis zum Haus und den dort aufgestellten Pflanzgefäßen gewandert sein. Unter dem schützenden Dach der großblättrigen Ligularia hatte sie sich niedergelassen und in den Topf ein Ei gelegt. Ich fand es kurz vor Ostern beim Abschneiden der alten Blätter.

Lexikon

Glucke. So nennt man Hühner nur, wenn sie brüten und sich in der Folge um die Küken kümmern, was im Fachjargon wiederum „führen“ heißt und etwa sechs Wochen dauert. Die Henne legt bis zu zehn Eier, bevor sie sich auf das Nest setzt.

Bruttrieb. Den meisten Legerassen wurde der Bruttrieb weggezüchtet, sie glucken nur in Ausnahmefällen. Zwerghühner, Altsteirer und Cochin sind hingegen verlässliche Glucken.

Legeleistung. Auch sie hängt von der Hühnerrasse ab und schwankt zwischen 50 und 330 Stück pro Jahr, wobei das durchschnittliche Frühstücksei nicht von Rasse-, sondern von sogenannten Legehybridhühnern stammt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2018)

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