Gartenkralle

Blumen gegen Stoppelglatzen

Wiesenbewohnerin: Die Streifenwanze.
Wiesenbewohnerin: Die Streifenwanze.(c) Ute Woltron
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Es dauert bis zu 150 Jahre, bis die Pflanzengesellschaft einer Wiese stabil und aufeinander eingespielt ist. Ein kleiner Ausflug in einen faszinierenden, jedoch bedrohten Lebensraum.

Der Mairegen hat das Wachstum der Gräser angekurbelt. Allerorten rattern derzeit die Rasenmäher durch die Gärten. Es tanzen die Vertikutierer, die Kantenschneider und die Unkrautstecher. Stumpfe Stoppelrasuren sind angesagt, denn der gepflegte, unkrautfreie Rasen, dieses scheintote Stück Natur, in dem kaum etwas kreucht und fleucht, ist neben der akkurat geschnittenen und ebenfalls nahezu unbelebten Thujenhecke eines der Heiligtümer des gärtnerischen Spießertums.

Mit etwas Glück kann man zwischen diesen öden Nicht-Biotopen da und dort noch Flächen magischen Treibens, Schwirrens und Wucherns ausmachen: Auf einem Quadratmeter Blumenwiese herrscht mehr Leben als in einem Kilometer Thujenwand und auf einer fußballplatzgroßen Rasenfläche zusammen. Jetzt im Mai zeigt sie, was in ihr steckt, denn gerade bricht die erste Zeit ihrer berauschenden Blüte an.

Neben diversen Gräsern bilden Wildblumen und Kräuter die wichtigsten Pflanzengruppen in der Wiese, und zumindest ein paar der schönsten von ihnen beim Namen nennen zu können wäre doch eine feine Sache. Als Superstar der Maiwiese könnte beispielsweise der elegante Wiesensalbei bezeichnet werden – ein bis zu 60 Zentimeter hohes, ausdauerndes Gewächs mit betörend schönen, leuchtend blauvioletten Lippenblüten. Bei näherer Betrachtung zeigen sich oft winzige Glitzertröpfchen darauf.

Ebenfalls auffällig und von filigraner Anmut ist die wochenlang kräftig blühende Saat-Esparsette. Wer genau schaut, bemerkt dunkle pink gefärbte Adern in den rosa Schmetterlingsblüten. Auch die Esparsette ist eine ausdauernde Wiesenbewohnerin, manches Exemplar besuche ich seit zumindest zehn Jahren. Die Lippenblütler tauchen verlässlich nach dem Winter erfrischt wieder auf, nicht zuletzt, weil die zähen Pflanzen bis zu vier Meter tiefe Wurzeln treiben, um hochsommerlicher Bodentrockenheit ein Schnippchen zu schlagen.

Weitgehend bekannt dürfte die wilde Margerite sein, deren Blüte wie ein Gänseblümchen auf Anabolika aussieht. Sie zu pflücken ist mit einer gewissen Gefahr verbunden, denn die Pflanze verfügt über stark phototoxische Inhaltsstoffe, die bei Sonnenschein Kontaktallergien auslösen können. Ein Winzling im Vergleich zu den hoch aufschießenden Blütenstauden ist der himmelblaue Ehrenpreis. Die nur wenige Millimeter kleinen Blüten tragen ein weißes Äuglein in der Mitte, von dem adrette dunkelblaue Streifen ausgehen. Die Blüten fallen rasch ab, möglicherweise hat dieses flüchtige Verweilen der Pflanze den landläufigen Namen Männertreu eingetragen, wer weiß.

Rund um das Jahr ansehnlich ist die robuste Acker-Witwenblume. Sie blüht nicht nur mit außen rüschenartig gesäumten Köpfchen in exquisitem Zartlila. Sie bildet kugelige Fruchtstände, die am frühen Morgen zu betrachten besonderen Spaß macht, weil darauf Tautröpfchen einen glitzernden Reigen tanzen. Im Herbst bilden sich dann bizarre Raureifkristalle darauf. Ein eher zartes Wiesen-Feengeschöpf, mit bis zu 70 Zentimeter Höhe zugleich jedoch hoch aufgeschossen ist die Kuckucks-Lichtnelke. Ihre rosa Blüten tragen tief gespaltene Blütenblätter, was sie zierlich und stets leicht windzerzaust wirken lässt. Oft findet man an ihren Stängeln schaumartige Gebilde, die wie Spucke aussehen, in denen die Larven der Schaumzikaden leben.

Dann wäre da noch die riesengroße Gattung der verschiedenen Kleearten. Neben dem Wiesenklee etwa Gold- Klee, Purpur-Klee, Hasen-Klee, diverse Stein-Klees und viele mehr. Bei Bienen ist der Klee besonders beliebt, was uns zur Tierwelt bringt, die sich ebenfalls in gewaltigem Artenreichtum in der Wiese tummelt. Schmetterlinge, Hummeln, Spinnen, Frösche, Ameisen, Grillen, Wespen, Mäuse, Maulwürfe, Schnecken, prachtvoll gemusterte Wanzen – jeder Quadratmeter, wie gesagt, ein kleines buntes Universum. Soweit zum Mai. Später folgt eine ganze Riege weiterer Blüten, Korn- und Mohnblumen etwa, und die kennt jeder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2018)

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