HIV: "Wir wissen nicht, was uns noch erwartet"

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"Late Presenter", Therapieverweigerer, fehlendes Risikobewusstsein - Der HIV-Spezialist Karl Heinz Pichler über die Symptome eines Tabus.

Neben drei Ambulanzen gibt es in Wien auch drei Arztpraxen, die HIV-Patienten betreuen und eine Therapie anbieten. Karl Heinz Pichler arbeitet in einer davon. Er ist Arzt für Allgemeinmedizin und Vizepräsident der ÖGNÄ-HIV, der Österreichischen Gesellschaft niedergelassener Ärzte zur Betreuung HIV-Infizierter.

DiePresse.com: Ist HIV in Österreich auch im medizinischen Sektor ein Tabuthema?

Karl Heinz Pichler: Vielleicht. Nachdem wir uns im ständigen Austausch mit unseren Patienten befinden, erleben wir es jedenfalls, dass es in anderen medizinischen Disziplinen eine schreckliche Berührungsangst mit dem Thema gibt. Das heißt, wenn wir Patienten wegen einer Operation oder einer anderen Erkrankung zum Facharzt überweisen, dann bekommen sie schnell ein "Don't touch - infektiös"-Pickerl. Wie die meisten Menschen sind auch Mediziner manchmal Opfer ihrer eigenen Ressentiments.

Woran hapert es?

Es hapert an der Fortbildung, hier gilt die Kritik auch der Ärztekammer. Für Diabetes und COPT (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung) wird fast täglich eine Fortbildung angeboten, aber nicht zu HIV/Aids. Aufgrund dieser fehlenden Aufklärung kommt es dann immer wieder zu Diskriminierung. Einer meiner Patienten wurde zum Beispiel im Rahmen einer Gruppen-Physiotherapie von einer Ärztin aufgefordert, dass er sich Handschuhe anziehen soll.

Muss ein HIV-Positiver dann zum Beispiel auch länger auf eine Routineoperation warten als ein HIV-negativer Patient?

Das passiert mitunter leider auch manchmal. Wir haben den Vorteil, gut vernetzt zu sein. Wenn einer unsere Patienten mit einer akuten chirurgischen Erkrankung vorstellig wird, rufen wir in den speziellen Abteilungen an. Aber erst kürzlich hatte ich wieder den Fall, dass ein Patient mit einem Basaliom (Weißer Hautkrebs) von einem Hautarzt abgewiesen wurde, nachdem er offenherzig von seiner behandelten HIV-Infektion erzählte. Dieser Arzt hat den Patienten zu einem plastischen Chirurgen geschickt, der hat ihn wieder zu einem anderen Hautart geschickt. Am Ende war es eine Odyssee mit sieben Ärzten. Dabei muss man immer bedenken, dass ein behandelter HIV-Patient keine Viren im Blut hat und es damit auch keine Übertragungsmöglichkeit gibt.

Was ist die erste Information, die ein Betroffener bekommt, wenn er zu ihnen in die Praxis kommt?

Die erste Information ist immer, dass HIV mittlerweile eine sehr einfach zu behandelnde Infektionskrankheit ist, die so wie es anhand der Datenlage aussieht, eine vollkommen normale Lebenserwartung ermöglicht. Wenngleich es auch vielleicht ein bisschen unbequem ist, weil man ein bis zwei Medikamente pro Tag einnehmen muss und wir uns alle drei Monate für eine Blutkontrolle treffen, um die Therapiewirkung und mögliche Nebenwirkungen bzw. Auswirkungen auf das Organsystem, zu kontrollieren.

Wann wird es kompliziert?

Kompliziert sind vor allem Patienten, die sich als "Late Presenter" (ca. ein Drittel der Betroffenen) darstellen und bereits in einer sehr schlechten immunologischen Situation sind und per Definition schon an Aids leiden mit allen Begleiterkrankungen (Pilzinfektionen, Lungenentzündungen, Wasting-Syndrom, Infektionen im Darm). Dann ist es zu Beginn schwierig, dass sich die Situation stabilisiert. Viele dieser Late Presenter werden auch mit einer Tumorerkrankung vorstellig, dann muss man nicht nur die HIV-Infektion in den Griff bekommen, sondern auch die onkologische Therapie beginnen, beides ist extrem konsumierend. Der zweite Bereich, wo es schwierig wird, ist der, wenn Patienten ihre Therapie schlampig einnehmen und sich dadurch Unempfindlichkeiten entwickeln. Wenn ich meine Medikamente nur alle heiligen Zeiten nehme, kommt der Virus dahinter und verändert sich. Damit fällt eine ganze Medikamentengruppe weg.

Wie geht es dann weiter?

Dann muss man anhand des Resistenzprofils Alternativen suchen.

Wie oft kann man sich das leisten?

Es ist eigentlich ein extrem seltenes Ereignis, weil die pharmakologische Architektur der Medikamente günstig ist und der Wirkstoffspiegel lange im Blut bleibt. Kleine Schlampereien sind tolerabel. In der alten Ära war dieses Problem häufiger, weil die Medikamente noch sehr viele Nebenwirkungen hatten. Früher musste man alle vier Stunden, eben auch in der Nacht, ein Medikament nehmen. Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Blutarmut, Kopfschmerzen – die Patienten mussten damals die Therapie manchmal abbrechen, weil sie die Nebenwirkungen nicht überlebt hätten.

Hat die gute Verträglichkeit dennoch Nebenwirkungen?

In der HIV-Therapie hat man einerseits genügend, also ca. 20 Substanzen zur Verfügung, die alle in gleicher Weise den Virus im Blut total unterdrücken können. Früher hatten wir das Problem, das es wenig gab, was man so leicht verabreichen konnte. Dass es dieses Problem heute nicht mehr gibt ist in allen Köpfen drinnen. Die wenigsten sind mittlerweile irritiert, wenn sie ein positiven Ergebnis bekommen - mitunter auch weil sie sich im Vorfeld auch bewusst dem Risiko ausgesetzt haben. Man hat den Eindruck, dass der Sexualkontakt ohne Kondom nicht mehr die Ausnahme, sondern leider die Regel geworden ist. Und so einfach ist es eben nicht. Auch wenn die Nebenwirkungen vernachlässigbar geworden sind, wissen wir nicht, wann und ob sich Organauswirkungen darstellen.

Gibt es hinsichtlich dessen schon Ausblicke?

Probleme, die bei gewissen Substanzen langsam hochkommen sind, dass sie Niere und Knochen schädigen. Eine gewisse Substanz sollte zum Beispiel bei Rauchern keinesfalls zugeben, weil sonst hochgradiges Herzinfarktrisiko besteht. Das Problem der Lipodystrophie, einer Fettumverteilungsstörung (Abnahme Wangenfett, Zunahme Nacken- und Bauchfetts) ist auch noch nicht geklärt. Wir wissen nicht, was uns noch erwartet.

Gibt es Therapieverweigerer?

Ja, die gibt es. Das zieht sich durch alle Kreise und man ist fehlgeleitet, würde man glauben, dass diese Entscheidung mit einer intellektuellen Ausstattung zu tun hätte. Oft ist es darauf zurückzuführen, dass die Patienten Nutzen und Risiko nicht verinnerlichen. Sie glauben, sie nehmen ein Gift zu sich. Natürlich ist ein HIV-Präparat kein Tictac, sondern ein schweres Medikament, aber für den großen Nutzen müssen wir manchmal viel Überzeugungsarbeit leisten.

Wie lange geht es ohne Therapie gut?

Durchschnittlich kann es acht bis zehn Jahre gut gehen, mitunter aber auch viel kürzer.

Wie ist das Körpergefühl für einen unbehandelten HIV-Positiven?

Man kann es sich wie die Grippesymptome Abgeschlagenheit, Mattheit und Müdigkeit vorstellen, so fühlt man sich wenn man unbehandelt ist und eine schlechte Immunsituation hat, dauerhaft.

Was sind klassische Symptome, anhand derer man eine HIV-Infektion ausmachen könnte, wenn man noch keinen Test gemacht hat?

Wenn es zu einer Übertragung mit HIV kommt, ist es so, dass in aller Regel (an die 70 Prozent aller Patienten) zwei bis drei Wochen danach eine sogenannte Primärsymptomatik spüren. Jene Patienten schildern dies einhellig, dass sie in dieser Zeit so krank waren, wie im Leben nicht zuvor. Das heißt: hohes Fieber, geschwollene Lymphknoten, Mattheit, Müdigkeit, Hautausschlag am ganzen Körper und dergleichen. Während dieser Zeit der akuten HIV-Infektion geht die Antikörperproduktion im Körper los. Zwei Drittel merken es, blöd ist es bei den anderen, die fallen durch den diagnostischen Rost.

Gibt es nach wie vor Mythen zur Ansteckung?

Zuhauf, allerdings wissen die Patienten in aller Regel doch über die Übertragungswege Bescheid, setzen sich dem Risiko aus und geben es danach nicht zu. Der häufigste Übertragungsweg ist der empfangene, ungeschützte Vaginal- oder Analverkehr mit Ejakulation. Die Übertragung mit Sperma im Mund ist natürlich auch eine Risiko, wenn auch ein statistisch geringeres.

Gibt es ein Risikoalter?

Unsere Altersverteilung in der Praxis ist sehr breit, etwa 20 bis 40 Jahre. Derzeit werden die Patienten aber eher wieder jünger, wir haben sehr viele 20 bis 25-Jährige.

Zur Person

Karl Heinz Pichler ist Allgemeinmediziner und HIV-Spezialist. Zusammen mit seinem Kollegen Horst Schalk betreut er rund 850 HIV-Positive in Wien. www.schalkpichler.at, www.oegnae-hiv.at.

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