Der mündige Patient

Die digitalen Hilfsmittel unterstützen Patienten dabei, sich selbst und die eigene Krankheit besser zu verstehen.
Die digitalen Hilfsmittel unterstützen Patienten dabei, sich selbst und die eigene Krankheit besser zu verstehen.(c) REUTERS (Stefan Wermuth)
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Spezielle Apps sollen Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa den Alltag erleichtern.

Selbst ist der Patient. Spezielle Apps und das sogenannte Patienten-Empowerment sollen Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (kurz CED) unabhängiger und selbstbestimmter machen. Das erhöht die Lebensqualität, die bei Menschen mit CED schon sehr getrübt sein kann: Krampfartige Bauchschmerzen, häufige Durchfälle (bis zu 30 am Tag), Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Darmblutungen und mitunter Fieber machen vielen Patienten das Leben schwer. Allerdings ist nicht jeder gleich stark betroffen, Ausprägung und Verlauf variieren stark von Patient zu Patient.

So ist auch das Krankheitsbild der betroffenen Österreicher – mindestens 80.000 – keineswegs einheitlich. Zudem gibt es mehrere Unterarten der CED, die häufigsten Formen sind jedenfalls Colitis Ulcerosa und Morbus Crohn. Die genauen Ursachen von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, die meist im Alter von 20 bis 25 Jahren erstmals auftreten, sind bis dato ungeklärt.


Dosis eigenständig erhöhen. Zur Therapie gehören unter anderem diverse Medikamente, und auch hier ist Patienten-Empowerment möglich. „Bei Medikamenten mit dem Wirkstoff 5-Aminosalicylsäure können Patienten, denen es plötzlich schlechter geht, reagieren und die Dosis eigenständig erhöhen“, sagt Harald Vogelsang, Leiter der Arbeitsgruppe CED an der Wiener Universitätsklinik Innere Medizin III, Abteilung Gastroenterologie und Hepatologie. Das sei vor allem bei Colitis Ulcerosa leicht zu handhaben. Freilich: Eine gewisse Einschulung ist schon Voraussetzung für selbstständiges Handeln. In nordischen Ländern, wo es sogenannte CED-Schwestern gibt, funktioniert das bestens, in Österreich hinkt man da noch etwas hinterher. „Bei uns gibt es das System der CED-Schwestern, die Onlineberichte sichten und Patienten bei Bedarf einberufen, nur in Ansätzen. Wir hatten diese Einrichtung einmal am AKH, aber sie wurde zuletzt leider eingestellt. Für die Patienten war das super.“

Eine andere begrüßenswerte Maßnahme sei der Schnelltest auf Calprotectin (ein Biomarker im Stuhl, der auf eine Darmentzündung schließen lässt). Früher konnte man diesen empfindlichen Parameter für Entzündungen nur im Labor nachweisen, seit einiger Zeit gibt es Testkits für zu Hause. Patienten scannen ihren Stuhl mit dem Smartphone und mailen das Ergebnis an ein Zentrum. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass der Patient die Werte selbst abliest und darauf reagiert. Auch die App IBDoc hilft bei der Kontrolle der Krankheits- und Entzündungsaktivität. „Wenn die Werte zu hoch sind, also die Entzündung stärker geworden ist und eine Verschlechterung eingetreten ist, kann der Patient autonom reagieren und einen Arzt aufsuchen.“ Solchermaßen kann die Entzündung eigenständig verfolgt werden. Einziger Nachteil: Noch sind diese Testkits nicht käuflich erwerbbar. Derzeit werden sie von bestimmten Pharmafirmen an Patienten ausgegeben, die deren Produkte einnehmen. Diese Kits sollen aber in absehbarer Zeit zu kaufen sein.


Patiententagebuch. Auch diverse Apps ermöglichen CED-Patienten ein selbstbestimmteres Leben. Da existiert unter anderem die CED-App, die gemeinsam mit Ärzten und Patienten entwickelt wurde und zum kostenlosen Download für Smartphones und Tablets bereitsteht (in App-Stores für IOS und Android; www.crohn-colitis-info.at/ced-app). Hier gibt es unter anderem Rezepte und Ernährungstipps, Terminplaner mit Erinnerungsfunktion, WC- und Apothekenfinder. Außerdem hat die App eine Tagebuchfunktion; der User vermerkt etwa, welche Medikamente er einnimmt, wie viele Stühle er am Tag hat, ob er Schmerzen hat. Die App ermöglicht auch eine Auswertung der eingegebenen Symptome.

Wer nicht sicher ist, ob er überhaupt an CED erkrankt ist, kann sich eine erste Orientierungshilfe über den CED-Check holen. Dieser wurde von der CED-Arbeitsgruppe des AKH Wien und der österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH) ausgearbeitet (www.ced-check.at: www.froh-am-klo.at). „Hilfreich und ratsam für jeden CED-Patienten ist in jedem Fall auch gute und eingehende Information“, empfiehlt Experte Vogelsang. „Dr. Google“ sei da nicht immer die beste Adresse, empfehlenswerter seien die Homepages von Selbsthilfegruppen, etwa jene der „Österreichischen Morbus Crohn/Colitis Ulcerosa Vereinigung“, der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie oder vom Verein Darm plus.

Für die Zukunft der CED-Patienten zeichnet Vogelsang ein eher positives Bild: „Mit den neuen Medikamenten, darunter Biologika und Small Molecules, wird es bei viel mehr Patienten als derzeit möglich sein, völlige Beschwerde- und Entzündungsfreiheit zu erreichen.“

Therapie

Nicht heilen, aber helfend eingreifen kann Bauchhypnose – ein autosuggestives Verfahren, speziell zur aktiven Entspannung des Körpers bei (funktionellen) Darmbeschwerden. Auch CED-Patienten könnten davon profitieren (www.bauchhypnose.at). Eine Liste mit Therapeutinnen gibt es unter: www.oegpim.at/vorstand

Nützliche Webadressen: www.crohn-colitis-info.at, www.oemccv.at, www.oeggh.at, www.ced-atlas.at

Buchtipp: In „Steine im Bauch. Mein Leben mit Colitis Ulcerosa“ beschreibt der Schweizer TV-Moderator Robin Rehmann sein Leben mit der Krankheit, die ihn mit Anfang 30 heimsuchte und starke Schmerzen und bis zu 30 (blutige) Durchfälle täglich auslöste. Für ihn sei Colitis Ulcerosa die Hölle, schreibt der Autor, kommt aber zu dem versöhnlichen Schluss, dass jedes Leben lebenswert ist (Komplett Media, 224 S, 19,50 €).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2018)

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