"Der Ernährungskompass": Die Macht des Essens

Fit und gesund: Bas Kast hat an sich ausprobiert, was gute Ernährung leisten kann.
Fit und gesund: Bas Kast hat an sich ausprobiert, was gute Ernährung leisten kann. (c) Mike Meyer
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Seit Wissenschaftsautor Bas Kast seine Herzbeschwerden mittels Ernährung in den Griff bekam, gilt sein "Ernährungskompass" als das Buch der Stunde.

Bas Kast ist sein eigener bester Werbeträger und überzeugendstes Aushängeschild. Gesund, fit und durchtrainiert schaut er dem Leser vom Deckel seines jüngsten Buches entgegen. Kaum zu glauben, dass dieser Mann bis vor wenigen Jahren ernährungstechnisch eine Art männliche Bridget Jones war: Schokolade zum Frühstück, Chips zum Abendessen. Im Gegensatz zu der fiktiven englischen Chaos-Queen war Kast allerdings immer sportlich unterwegs, ein leidenschaftlicher Jogger – bis er plötzlich Herzbeschwerden bekam, vom gelegentlichen Stolpern bis hin zu einem massiven Vorfall. „Als hätte jemand mein Herz gepackt und fest zusammengedrückt“, beschreibt er das Erlebnis.

Obwohl er Wissenschaftler ist, weigerte sich Kast, zum Arzt zu gehen. Stattdessen probierte er eine Diät aus, die seine Schwester gerade erfolgreich gemacht hatte, und war überwältigt: Er fühlte sich nicht nur besser als je zuvor, sondern hatte auch seinen kleinen Schwimmreifen um den Bauch abgebaut. Vor allem aber: Die Herzbeschwerden wurden immer besser, bis sie schließlich ganz verschwanden. Bas Kast hatte am eigenen Leib erfahren, was Ernährung kann. Nun wollte er genau wissen, wie weit die Macht des Essens wirklich reicht – und vor allem, welche der vielen und oft widersprüchlichen Ratschläge eigentlich die richtigen sind.

Zu diesem Zweck las Bas Kast zwei Jahre lang Tausende Studien zum Thema Ernährung, „jeden Tag 20 bis 30“, wie er sagt. Sein Fazit erschien unter dem Titel „Der Ernährungskompass“ und wurde aus dem Stand zum Bestseller. Offensichtlich hatte Kast den Nerv einer Lesergemeinde getroffen, die desorientiert durch den Dschungel ständig wechselnder Ernährungsempfehlungen irrt, auf der Suche nach der definitiven Antwort, wie man gesund isst und schlank bleibt oder wird.

Bas Kast bietet viele gute Tipps und Hinweise. Doch auch der „Ernährungskompass“ kämpft bei der Suche nach definitiven Antworten mit der ständigen Bewegung in der Ernährungsmaterie. Ein Beispiel dafür ist die besonders fanatische Auseinandersetzung zwischen den Feinden und Freunden der Kohlenhydrate (KH). Während die (bevorzugt gesunden, vollwertigen) Kohlenhydrate von allen Ernährungsgesellschaften der Welt nach wie vor als eine tragende Säule der Ernährungspyramide empfohlen werden, halten die KH-Gegner vor allem Weißbrot, Nudeln, Kartoffeln und Reis für die Verursacher von Insulinresistenz, Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und Krebs. Letzterer speist sich vor allem aus dem besonders ungesunden Bauchfett, das – einer Drüse nicht unähnlich – für ständige Entzündungen sorgt. Als warnende Grenze gilt dabei bei Männern ebenso wie bei Frauen ein Taillenumfang von mehr als hundert Zentimetern.

FAKR gegen KAFR. Eines der spannendsten Erkenntnisse in Kasts Buch ist die von Studien in den Raum gestellte Annahme, dass der Streit zwischen der FAKR-Fraktion (fettarm und kohlenhydratreich) und dem KAFR-Lager (kohlenhydratarm und fettreich) von der Leibesmitte entschieden werden könnte. Menschen, bei denen sich das Fett gleichmäßig verteilt, könnten demnach beim Abspecken besser auf eine fettarme Ernährung ansprechen. Jene, die zu Bauchfett neigen, könnten hingegen eine Insulinresistenz entwickeln und daher von einer Diät mit weniger Kohlenhydraten und mehr gesunden Fetten profitieren. Eine Studie der Universität Stanford mit 600 Personen ergab allerdings nicht den allseits erwarteten klaren Beweis für diesen Zusammenhang. Sie wurde jedoch erst nach dem Erscheinen des „Ernährungskompasses“ fertiggestellt.

Auch auf anderen Gebieten arbeitet Bas Kast weiterhin an der Optimierung von Ernährungsansätzen. So ist der Autor selbst ein großer Fan der Mittelmeer-Diät. Deren Eckpunkte sind ein relativ hoher Anteil an gesunden Fetten, vor allem Olivenöl, Fisch, Obst, Gemüse, Nüsse, gesunde Kohlenhydrate, Hülsenfrüchte, regelmäßiger, aber mäßiger Weingenuss zum Essen und wenig Milchprodukte, es sei denn in fermentierter Form. „Für mich funktioniert diese Art der Ernährung sehr gut“, sagt Kast, der laut eigener Aussage hochwertiges Olivenöl kanisterweise zu Hause hat, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. „Je mediterraner man isst, umso besser fürs Herz.“

Auf der anderen Seite empfiehlt der „Ernährungskompass“ eine Einschränkung der Tageszeit, in der gegessen wird. „Dieses Zeitfenster sollte am besten zwischen acht und zwanzig Uhr liegen“, meint Kast. Auf diese Art komme es jeden Tag zu zwölf Stunden „Mini-Fasten“, das die Autophagie, die Selbstreinigung der Zellen, ankurble und damit nicht nur gesund, sondern auch jung erhalte.

Kaum irgendwo auf der Welt wird allerdings später gegessen als in den mediterranen Ländern. Im Süden Spaniens, etwa in Andalusien, setzt man sich traditionell erst gegen 22 Uhr zum Abendessen hin. „Zufällig ist jetzt gerade eine spanische Studie zu diesem Thema erschienen“, sagt Bas Kast. „Diese zeigt, dass das späte Essen tatsächlich das Krebsrisiko erhöht.“

Die Mittelmeerdiät sei also als Ausgangsbasis absolut zu empfehlen, es gebe allerdings Luft nach oben. „Gesünder geht immer“, sagt Kast. Er hat seine eigene Version der Mittelmeerdiät um Samen und Beeren, vor allem Heidelbeeren, ergänzt. Sowie um eine „Essensruhe“ ab 20 Uhr, die er einhält, so oft er kann. Erlaubt ist dann nur mehr Wasser.

Schlankmacher Joghurt. Auch Joghurt spielt bei Bas Kast eine tragende Rolle. Joghurt (Alternative Kefir) sei ein natürlicher Schlankmacher, von dem bereits eine kleine Schüssel am Tag genüge, meint er. Obwohl der Zusammenhang noch nicht restlos erforscht sei, gehe das offenbar auf die Milchsäurebakterien zurück. Dafür sei allerdings kein besonders mit Probiotika angereichertes Joghurt nötig, naturbelassen (kein Fruchtjoghurt, kein Zuckerzusatz) sollte es aber in jedem Fall sein.

Reicht eine Schale Joghurt für einen Schlankmacher-Effekt? Ja, sagt Bas Kast. Eine größere Menge wolle er nicht empfehlen, um den Anteil des tierischen Proteins nicht in die Höhe zu schrauben. Stattdessen favorisiert er pflanzliche Eiweiße aus Hülsenfrüchten, Weizenkeimen, Bulgur, Leinsamen oder Nüssen. Auch Gemüse wie Brokkoli, Spinat oder Spargel enthalte relativ viel Eiweiß. „Es macht für unseren Körper einen großen Unterschied, ob die Proteine, die wir essen, von einem Tier oder einer Pflanze stammen“, schreibt Kast, selbst nicht Vegetarier.

Eine Ausnahme macht er bei fettigem Fisch wie Lachs, Forelle, Makrele oder Sardine. Die darin enthaltenen Omega-3-Fettsäuren schützen Hirn, Herz und Gefäße. Untersuchungen legen sogar nahe, dass Pescetarier (fischessende Vegetarier) den Stein der Ernährungsweisen gefunden haben könnten. Immer vorausgesetzt, sie investieren in Fische, die nicht unter dubiosen Bedingungen auf Fischfarmen gezüchtet wurden, und verzichten auf Pangasius und frittierten Fisch.

Rechtfertigt Bas Kasts „Ernährungskompass“ das begeisterte Echo seiner Leser? So mancher Experte meint: Nein. Ein oft geäußerter Kritikpunkt ist, dass das Buch nicht sehr viel Neues enthalte und einiges Altbekannte zusammenfasse. Daran ist etwas Wahres. Allerdings betont Bas Kast selbst immer wieder, dass die Wiederbelebung traditioneller Werte in der Ernährung wünschenswert wäre. „Selber kochen“, lautet einer seiner Ratschläge. „Man sollte das essen, was auch die Oma noch als Essen erkennen würde“, ist ein anderer.

Der „Ernährungskompass“ ist ein Fundus guter Tipps und Anregungen zum Selbstversuch. Beim Begriff „Wundermittel“ ist allerdings Vorsicht geboten. Auch Bas Kast warnt explizit davor zu glauben, man könne etwa Krebs allein mit einer Ernährungsumstellung bekämpfen. Der flüssig und oft witzig geschriebene Ratgeber bietet ein Gerüst mit grundlegenden Pfeilern, um die man seine individuelle Ernährung zimmern kann. Dazu gehört auch ein Rat, den die Wohlstandsgesellschaft gern vergisst: „Reden Sie sich nicht damit heraus, dass es am Buffet nichts Gesundes gibt. Wenn dem so ist, dann essen Sie halt einmal nichts.“

Bleibt die Frage, ob man Ratschläge zum Thema Gesundheit von jemandem annehmen sollte, der sich trotz Herzbeschwerden weigerte, zum Arzt zu gehen. „Ich bin weder stolz darauf, noch würde ich das empfehlen“, sagt Kast. „Das war nicht meine vernünftigste Entscheidung. Jeder, der solche Probleme hat, sollte zum Arzt gehen. Es war ein glücklicher Zufall, dass mir eine Diät geholfen hat, sie in den Griff zu bekommen.“ Aber eines lasse er sich nicht nehmen: Er habe am eigenen Leib erfahren, wie viel man mit gesunder Ernährung bewirken könne.

Erschienen

Das Buch:
„Der Ernährungskompass. Das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung“
C. Bertelsmann, 320 Seiten, 20,60 Euro
Das Kochbuch dazu soll im Februar 2019 erscheinen.

Der Autor:
Bas Kast, geboren 1973, ist ein mit vielen Preisen ausgezeichneter Wissenschaftsjournalist. Er studierte Psychologie und Biologie in Deutschland und am MIT in Boston. Die Süßwasserschnecke Tylomelania baskasti ist nach ihm benannt. Kast ist verheiratet und hat zwei Söhne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2018)

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