Gereizt durch Stromsport: Schlank oder krank?

Die schlanke Linie bekommt man sicher nicht vom Strom(-training) allein.
Die schlanke Linie bekommt man sicher nicht vom Strom(-training) allein.(c) imago/Westend61 (imago stock&people)
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Muskeln werden beim EMS-Training stimuliert. Die Technik wird auch medizinisch eingesetzt. Falsch angewandt, kann sie jedoch schaden.

Schlank und muskulöser durch Strom, einmal 20 Minuten pro Woche reichen. Ideal also für Menschen mit wenig Zeit. So lautet sinngemäß die Werbebotschaft der EMS-Studios, die seit einiger Zeit auch in Österreich aus dem Boden schießen. Was ist an dieser neuen Trainingsmethode dran? Kann der Strom vielleicht auch schaden? „Die Presse am Sonntag“ fragte dazu eine Reihe von Experten.

EMS bedeutet Elektromyostimulation, also Muskelstimulation. In entsprechenden Studios zieht der Besucher einen speziellen Anzug an, über Kabel und Elektroden oder drahtlos über Bluetooth werden Muskeln mit Strom stimuliert. Man ist dabei nicht ganz passiv, macht vorgegebene Übungen. So weit, so gut. Nur: Wirklich abnehmen, schön schlank werden, kann man mit EMS allein nicht.

Zerstörung von Muskelzellen. Im Gegenteil: Falsch angewandt, schadet das Training eher. So wie jenem 40-jährigen Wiener, der einen Arzt aufsuchen musste, weil ihm der ganze Körper weh tat, er fast nicht mehr aus dem Bett gekommen war. Er hatte schlechte Blutwerte, schrammte knapp an einem Nierenversagen vorbei. Nach jahrelanger Sport-Abstinenz wollte der Mann möglichst schnell wieder fit werden und trainierte daher in drei verschiedenen EMS-Studios, meist zweimal täglich! Und das schadete seinem Körper und vor allem seinen Nieren.

Bei Übertraining – etwa bei zu viel Strom, zu oft, zu lang – kommt es zu einer Zerstörung von Muskelzellen. Werden Muskeln durch Verletzung geschädigt oder eben durch exzessives (EMS-)Training überfordert, treten vermehrt bestimmte Muskelenzyme (Creatinkinasen, kurz CK) aus den Muskelzellen aus und sind dann im Blut nachzuweisen. CK-Werte sind auch bei einem Herzinfarkt erhöht, aber ebenso nach zu intensivem (Strom-)Sport. Laut Forschern der Sporthochschule Köln ist der Anstieg der CK-Werte beim EMS-Training um bis zu 18-mal höher als bei herkömmlichem Training.

Die Nieren müssen das Zuviel an diesem Enzym ausscheiden. Sind CK-Werte aber immer wieder (stark) erhöht oder die Nieren vorbelastet, kann das zu mitunter schweren Nierenschäden führen. „Bis hin zur Dialyse“, warnt Thomas Müllner, Vorstand der Orthopädischen Abteilung am Evangelischen Krankenhaus Wien, „wenn EMS übertrieben und der Strom immer wieder zu intensiv aufgedreht wird.“

Achten nicht ohnehin die Betreuer und EMS-Betreiber darauf, dass die Stromintensität passt? Das ist so eine Sache, denn: Als EMS-Betreiber braucht man de jure weder Ausbildung noch Erfahrung noch Befähigungsnachweis. Es ist also praktisch möglich, dass der Betreuer, der die Stromstärke bestimmt, wenig Ahnung von der Sache, nur einen Crash-Kurs des EMS-Geräte-Anbieters belegt hat. Die Gesetzeslage ist nämlich so: „Man löst eine Gewerbeberechtigung mit dem Wortlaut ,zur Verfügungstellen von Fitnessgeräten', stellt eine EMS-Ausrüstung in ein kleines Geschäftslokal und ist somit Fitnessstudio-Betreiber, das war's“, erklärt Martin Becker, Branchensprecher der Wiener Fitness-Betriebe der Wirtschaftskammer Wien. Das sei ganz legal, weniger ok sei hingegen die Praxis. „Reguliert ein einziger Betreuer bei mehr als zwei Kunden gleichzeitig den Strom, ist das nur noch Geschäftemacherei, das ist oft unseriös“, sagt Becker und rät, stets zu hinterfragen, welche Ausbildung der EMS-Betreuer hätte. Es gibt nämlich durchaus auch sehr gute, professionell ausgebildete unter ihnen.

Das Prinzip der Elektrostimulation wird übrigens auch in Spitälern angewandt: Bei lang bettlägrigen Patienten soll so ein exzessiver Muskelabbau verhindert werden. Auch in Kur- und Rehabilitationseinrichtungen ist diese Therapie bekannt. „Seit Jahrzehnten wird Reizstrom zur Muskelstimulation und Kräftigung atrophierter Muskeln erfolgreich in der physikalischen Medizin eingesetzt“, sagt Sascha Sajer, Facharzt für physikalische Medizin und Rehabilitation. Elektrotherapie sei medizinisch anerkannt und wirkungsvoll und EMS per se weder schlecht noch gut. „Es kommt drauf an, was man daraus macht.“ Richtig dosiert sei EMS schon empfehlenswert.

„Supergenial“, schwärmt Sportmediziner und Chefarzt des Vienna City Marathons Christian Gäbler „mit minimalem Aufwand kann ich hier extrem hohen Trainingseffekt erzielen.“ Und außerdem erreicht man mit EMS auch die tiefere Muskulatur. Wie bei jedem anderen Training auch solle man nur langsam beginnen und allmählich steigern. Sonst, meint auch Fan Gäbler, schadet es mehr als es nützt. Nutzlos sei auch die zu häufige Anwendung, sagt Harald Tschan vom Institut für Sportwissenschaften der Universität Wien. „Ein auf EMS limitiertes Training kann die koordinativen Fähigkeiten negativ beeinflussen.“

Wirksamkeit nicht eindeutig erwiesen. Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung rät laut der Fachzeitschrift Ärzte Woche überhaupt vom EMS-Training im Breitensport ab. „Die Methode sollte nur unter Anleitung ausgebildeter Sportmediziner und Physiotherapeuten zum Einsatz kommen“, meint Stefan Knecht, Pressesprecher erwähnter Gesellschaft. Auch die These „besser EMS als gar keine Bewegung“ mag er nicht so recht gelten lassen. „Das ist eine Scheinalternative, denn die Wirksamkeit von EMS ist nicht eindeutig bewiesen.“

Die Quintessenz in Österreich: EMS-Training mag bei richtiger und individuell angepasster Dosis vorteilhaft für Muskeln und Befinden sein, Ausdauer- und herkömmliches Krafttraining wird es jedoch nie ersetzen.

Was man beachten sollte

Beim EMS-Training (das Kürzel EMS steht für Elektromyostimulation) werden Muskeln während der Übungen mit elektrischem Strom stimuliert.

Der Dress: Während des Trainings trägt der Sportler einen speziellen Anzug, der den Strom in die Muskeln leitet.Der Trainer gibt Anweisungen und reguliert die Stromintensität für die einzelnen Körperregionen.

Nicht zu oft: Ein Training sollte einmal die Woche absolviert werden.Wer zu oft unter Strom steht, kann sich schaden.

Gesetzliche Lage: Für das Betreiben eines EMS-Studios braucht man de jure weder Ausbildung noch Erfahrung noch Befähigungsnachweis.Das Lösen einer Gewerbeberechtigung genügt.

Elektromuskelstimulation ist per se weder schlecht noch gut, es kommt immer auf die richtige Dosis an. Zu viel Strom schadet in jedem Fall.

Die Trainer müssen auf die Gefahr des Übertrainierens hinweisen.

Genug trinken: Auch wenn die Trainingseinheiten nur kurz sind, muss ausreichend getrunken werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2018)

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