Auf der Suche nach den verlorenen Freunden

Es kommt gar nicht so selten vor, dass man liebe Menschen verlegt, vergisst oder verliert. Zeit, sie wiederzufinden.

Man vergisst sie, man verlegt sie, manchmal verliert man sie auch: die Menschen, die einem früher nahestanden, die einem dann aber irgendwann aus den verschiedensten Gründen entglitten sind. Oft sind diese Gründe triftig, wenn sich zwei Leben so auseinanderentwickelt haben, dass es keine Gemeinsamkeiten mehr gibt, und auch kein Interesse mehr aneinander. Manchmal aber weiß man nach einiger Zeit gar nicht mehr so recht, was denn schiefgegangen ist, wer was zu wem mit welchem Unterton gesagt hat, und warum der andere das gar so gründlich in die falsche Kehle bekommen hat. Und je mehr man darüber nachdenkt, umso deutlicher spürt man mitunter, dass in so einer Beziehung das letzte Wort eben doch noch nicht gesprochen wurde.

Der Jahresbeginn ist ein guter Anlass, um solche Beziehungen wiederzubeleben. Wenn man auf dem Handy die Liste für die Neujahrswünsche durchgeht, kommt wohl jedem die eine oder andere zwischenmenschliche „Karteileiche“ unter. Soll ich oder soll ich nicht alles Gute wünschen? Nach so langer Zeit? Oder via Facebook eine Anfrage senden, wie es denn so geht und ob das Leben in den letzten Monaten oder Jahren gut oder schlecht gewesen ist.


Dem eigenen Seelenfrieden zuliebe.Wer sich nicht gleich am ersten Tag des Jahres dazu aufschwingen kann, ein solches Lebenszeichen von sich zu geben, der fände sicher schlechtere Vorsätze für 2013. Nicht nur aus altruistischen Gründen, sondern auch aus ganz egoistischen Motiven. Denn weniges kann einem so auf der Seele liegen wie ungelöste Konflikte mit einst guten Freunden, von denen man – meist vergebens – hofft, dass sie mit dem Alter besser werden. Solange man sich nicht damit konfrontieren muss, gelingt es zwar meist, sie im Hintergrund auf kleinem Flämmchen zu halten, immer wieder aber können sie durch ein Ereignis oder eine Bemerkung angezündet werden – und wenn das passiert, weiß man, dass es auch im eigenen Interesse wäre zu handeln. Denn chronische Entzündungsprozesse der Seele sind genauso schädlich für die Gesundheit wie solche des Körpers.

Wie mächtig dieses Interesse ist, kann einem mitunter von denjenigen vorgeführt werden, die sich noch keine dicke Haut anderen gegenüber zugelegt haben. Kinder leben ihre Freundschaften intensiv und offen aus, ihre Liebe genauso wie die Abneigung, die daraus sehr rasch werden kann. Die Freude und das Leid, die damit einhergehen, sind eine gute Erinnerung, wie sehr einem andere Menschen unter die Haut gehen. Und das sollte einem 2013 mindestens einen Anruf wert sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2012)

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