Ursula Strauss: "Dieser Minderwert – er ist einfach da"

Ursula Strauss Dieser Minderwert
Ursula Strauss Dieser Minderwert(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ursula Strauss wird nicht gerne fotografiert. Wenn sie allerdings "Schnell ermittelt", "Revanche" oder einen anderen Film dreht, ist ihr die Kamera völlig "wurscht".

Es ist wunderbar, jemanden zu fotografieren, dem man erst gar nicht sagen muss, wie er sich verhalten soll. So war das jetzt bei Ihnen. Danke. (sagt „Presse“-Fotograf Clemens Fabry)

Ursula Strauss: Ich danke auch. Dabei werde ich überhaupt nicht gerne fotografiert.

Wieso denn nicht?

Wenn ich so wie jetzt für ein Interview fotografiert werde, bin das ja wirklich ich vor der Kamera. Das ist sehr schwierig für mich. Ich bin nicht so selbstsicher.


Als Schauspielerin haben Sie sich doch für einen Beruf entschieden, bei dem Sie immer im Fokus stehen.

Ja, schon. Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wenn ich sonst vor der Kamera stehe, muss ich ja nie ich selbst sein. Auch auf der Bühne nicht. Ich spiele immer jemanden anderen und damit habe ich überhaupt kein Problem.

Sie sind vom Ich befreit, sobald das rote Licht der Kamera zu leuchten beginnt?

Die Kamera ist mir beim Spielen völlig wurscht. Da geht es um ganz andere Dinge. Wenn ich jemand anderer bin, kann ich mich in die Geschichte flüchten, spüren, was mit mir, ich meine der Figur, die ich spiele, gerade passiert. Das kann man vorher gar nicht wissen. Das ist das Geile beim Spielen, das im Moment sein, in diesem dichtem Moment. Und dann loslassen und schauen, was passiert. Das ist das Schönste. Das ist Freiheit.

Seit wann wussten Sie, dass Sie Schauspielerin werden wollten?

Das war mir immer klar. Mein Thema waren immer schon Rollenspiele, alleine, mit Puppen, im Kindergarten oder mit den Siedlungskindern. Aber ich war – und bin es noch immer – ein sehr schüchterner Mensch.

Das habe ich jetzt nicht so bemerkt.

Ja, es ist verborgen. Ich weiß ja, dass ich einen sehr exponierten Beruf habe. Jeder hat irgendeine Meinung zu oder von mir. Es gibt Leute, die finden das, was ich tue, gut, andere mögen es überhaupt nicht. Das ist alles gar nicht so leicht wegzustecken. Die Rückmeldungen sind ja nicht nur positiv. Aber damit muss ich und kann ich auch immer besser umgehen. Es wäre nicht gut, wenn jeder mit mir etwas anfangen könnte, das wäre sogar fad.


Das klingt doch sehr selbstbewusst.

Alles, was ich gerade gesagt habe, widerspricht scheinbar meinem Minderwertigkeitskomplex. Trotzdem ist er da!

Sind Sie Schauspielerin geworden, um ihn zu überwinden?

Vielleicht ist das Spielen so eine Art Heilungsprozess. Kann sein. Aber ich möchte das lieber gar nicht so genau hinterfragen, sonst nimmt das Wissen dem Ganzen den Zauber.

Sie drehen gerade an einem weiteren Film von „Schnell ermittelt“. Die Kommissarin Angelika Schnell ist durchaus selbstbewusst. Lernen Sie auch von den Figuren, die Sie spielen?

Ja, total! Von jeder bleibt etwas übrig.

Interessant. Sie gestalten und prägen die Figur, von der Sie dann etwas für Ihr eigenes Leben lernen. Das erspart Ihnen sicher viele Therapiestunden.

(Lacht laut.) Allerdings. Ja, das tut es. Hallelujah. Von Angelika Schnell habe ich schon viel gelernt. Was mir an dieser Person so gefällt, ist, dass sie sich einfach nichts pfeift. Sie hat keine Angst vor Autoritäten.

Sie schon?

Ich bin ein Hosenscheißer. Wenn ich im Auto durch die Stadt fahre und hinter mir fährt die Polizei, frage ich mich sofort: „Was habe ich denn wieder falsch gemacht?“ Aber seitdem ich die Schnell spiele, ist das eindeutig besser geworden.

Woher kommt diese Angst?

Von dort, was uns hier alle verbindet. Dem Katholizismus. „Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld.“

Sind Sie sehr katholisch erzogen worden?

Nein, mit meinen Eltern hat das gar nichts zu tun. Der Katholizismus ist in uns und in der Gesellschaft viel mehr verankert, als wir das wahrnehmen. Daher ist es auch so schwierig, sich von ihm zu befreien. Er ist auch ein Teil von mir. Wenn man auf die Welt kommt und sofort die Erbschuld aufgebürdet bekommt, ohne überhaupt irgendetwas getan zu haben, ist das schon eine Last, die etwas mit einem macht.

Sind Sie aus der Kirche ausgetreten?

Nein, ich weiß selbst nicht, wieso. Es fällt mir nicht so leicht. Irgendetwas hindert mich. Manchmal hadere ich deshalb auch mit mir, denn intellektuell wäre die Entscheidung ja klar.

Noch einmal zu Ihrem Verhältnis zu Autoritäten: Wie kommen Sie in Ihrem Beruf mit ihnen zurecht, mit dominanten Regisseuren zum Beispiel?

Gute Regisseure wissen, dass die Schauspieler, die ihre Figuren verkörpern, keine Volltrottel sind. Mir wurde noch nie der Mund verboten, ich wurde noch nie als Marionette behandelt. Das wäre auch ein Problem. In unserem Beruf geht es nämlich ganz entscheidend ums Miteinander. Sonst kann nichts Gutes entstehen. Wir spielen miteinander und entwickeln gemeinsam eine Geschichte. Es ist sehr zuträglich, einander auf Augenhöhe zu begegnen.

Sagen Sie bloß, das sei immer der Fall.

Natürlich nicht, oft nicht.

Was tun Sie, wenn Sie merken, ein Kollege spielt gegen Sie?

Das kommt darauf an, wie tricky mein Gegenüber ist. Ganz viel hilft Humor und Aufmerksamkeit. Meistens geht es nur darum, dem anderen seine Angst zu nehmen.

Und wie machen Sie das?

Ich zeige ihm, dass ich keine Gefahr für ihn bin. Ich versuche ihm mehr oder weniger subtil zu sagen: „Schau, ich bin auch ein Weh, wir sind alle Wehs.“ Wenn man jemandem einmal die Angst genommen hat, lässt sich unglaublich viel schnell entschärfen. Es ist eigentlich ganz leicht. (Kichert)

Vor „Schnell ermittelt“ haben Sie den Fernsehfilm „Lost & Found“ unter der Regie von Wolfgang Murnberger gedreht. Davor mit dem Regisseur Götz Spielmann den Kinofilm „Oktober November“. Sehr unterschiedliche Projekte. Wovon hängt es ab, ob Sie sich für oder gegen ein Angebot entscheiden?

Ich lese das Drehbuch, das ist das Um und Auf. Und ich schaue, ob die Figur, die ich spielen soll, eine Tiefe hat. Wenn sie die nicht hat, ist es sinnlos, sie zu spielen.

Oder Sie geben der Figur die fehlende Tiefe.

Ja, das geht schon, aber nur begrenzt. Aus einem schlechten Drehbuch kann man keinen guten Film machen. Bei dem Drehbuch von Götz Spielmann wiederum brauchte ich als Schauspielerin der Figur nichts hinzuzufügen. Alles war schon da, alles schon geschrieben.

Sie haben bei den Dreharbeiten zu „Oktober November“ gesagt, es gehe ans Eingemachte. Was haben Sie damit gemeint?

Meine Schwester Sonja (Anm.: gespielt von Nora von Waldstätten) und ich sitzen drei Tage lang am Sterbebett unseres Vaters (Anm.: Peter Simonischek) und weinen. Drei Tage lang spielen, dass dein Vater stirbt ... Das war emotional sehr anstrengend, ich habe bemerkt, dass es mir nicht mehr gelingt, Privates und Berufliches so gut zu trennen, wie ich das sonst immer kann. Ich war an der Grenze.

Lebt Ihr Vater noch?

Ja, mein Vater und meine Mutter leben, und so möge es noch ganz lange bleiben. (Klopft auf Holz.) Sie stehen mir sehr nahe. Und die Vorstellung, ich müsste an ihrem Totenbett sitzen, hat mir furchtbare Angst gemacht. Sie zu verlieren hieße, ein Stück Heimat zu verlieren. Wenn sie gehen, bin ich doch plötzlich kein Kind mehr.

Und wie ist es den anderen am Set beim endlosen Sterben ergangen?

20 Leute haben drei Tage lang nur getrauert. Niemand konnte sich dieser Atmosphäre entziehen. Aber das hat ja auch schon wieder etwas Lustiges.

Das heißt, am Abend sitzt man mit dem Team zusammen und lacht?

Ja, wir haben sehr viel gelacht. Und nach dem letzten Drehtag haben wir ordentlich gefeiert, damit der Abschied voneinander nicht so schwer fällt. Dieses immer wieder Abschiednehmen musste ich auch erst lernen. Aber das Leben ist eben ein einziges Loslassen. Ich übe es andauernd.

1974
wurde Ursula Strauss in Melk geboren. Nach der Matura bestand sie die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule im Volkstheater. Danach spielte sie als „Freie“ auf den verschiedensten Bühnen.

1999
bekam sie ihre erste Hauptrolle in einem Film. Eine größere Bekanntheit erreichte sie durch den Film „Revanche“ und als Kommissarin Schnell in „Schnell ermittelt“. Im Herbst kommt ihr neuester Film „Oktober November“ in die Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

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