Soul Sugar: Magie der Zwischennutzung

Sigismund Gänger
Sigismund Gänger Stanislav Jenis
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Sigismund Gänger betreibt den ältesten, vazierenden Musikklub Wiens. Nach nur drei Wochen im Boxircus in der Krieau warf er das Handtuch.

Der Boxircus hat exakt jenen „shabby chic“, der vom urbanen Publikum geschätzt wird. Genau in der Westkurve der Trabrennbahn Krieau situiert, entstand in den letzten Monaten ein Containerdorf, das der trendbewusste Stadtbewohner ein wenig euphemistisch eine „Pop-up Location“ nennt. Manches Blechgeviert dient Künstlern als Lager, anderes ist als Gastroeinheit adaptiert und lockt zum spontanen Konsum. Vor drei Wochen wurde dieses vergängliche Paradies zur neuesten Heimstätte des ältesten Musikclubs der Stadt, dem Soul Sugar. Sonne und Regen noch beinah schutzlos ausgesetzt und von Winden eingekreist, mutet diese Örtlichkeit wie eine schöne Metapher für das freie Jungunternehmertum an. Ideal schien das Andocken des patinierten Clubs an diese Szene der jungen Wilden.

1993 hat der heute 45-jährige Sigismund Gänger erste Gehversuche mit seinem Soulclub getan. Damals stand die Unternehmung ganz im Schatten der mächtigen Soul Seduction, die jeden Montag bis zu 1500 Besucher in den Volksgarten lockte. Die bekamen eine mit lockerer Hand applizierte Mischung aus Rare Grooves, Garage House, Acid Jazz und Hiphop zu hören. Gänger mochte das, wollte aber sein Konzept bewusst enger fassen. Idealbesetzung für das DJ-Pult des Soul Sugar, das damals noch unregelmäßig stattfand, war DJ Arno, ein Fanatiker der rauen R&B-Sounds von 1958 bis 1969.

Das einzige Zugeständnis an die Moderne: Er besserte die rumpeligen Originalsounds mit dem spacigen Flangereffekt auf. Die Siebzigerjahre gelten Arno bereits als Verfallsphase der afroamerikanischen Musik. Er achtete auf das Reinheitsgebot. Wehe, es spielte jemand „Mama Loo“ von den Les Humphries Singers oder „Why Did You Do It“ von Stretch. Das Black-Music-Angebot wurde, nachdem die Soul Seduction Ende 1993 ihre Pforten schloß, mit dem Soul Sugar deutlich orthodoxer.

Impulse durch Ortswechsel

Das Ende des einen legendären Clubs war die Geburtsstunde des anderen. Novität war der rasche Wechsel der Veranstaltungsorte. Keine andere Musikveranstaltung verbrauchte mehr Lokalitäten. Gänger schwärmt vor allem von drei Orten. Von der Meierei, der Volksgarten Banane und vom Porgy & Bess. „Jeder Locationwechsel hat dem Club neue Impulse gebracht. Zum frischen Publikum gesellten sich nur zu oft auch alte Stammgäste, die zuletzt zu Hause geblieben waren.“ Andere Orte an denen die traditionellen, aber immer noch elektrisierenden Soultänze vom Mashed Potato bis zum Funky Chicken zelebriert wurden, waren u.a. der Pipers Ballroom, das Electric Hotel und das Planetarium im Prater. Bedenkt man, dass sich alle sieben Jahre das Ausgehpublikum beinah vollständig austauscht, dann beglückt das Soul Sugar nun schon die dritte Generation. „Jetzt kommen schon die Kinder unserer ersten DJs“, wundert sich Gänger über das Verfließen der Zeit.

Er selbst ist von zeitloser Jugendlichkeit, obwohl sich schon ein wenig geändert hat, seit er Vater geworden ist. Seither befindet sich im Zusatzangebot des Musikclubs auch recht viel Kinderspielzeug. „Ich hab' schon früh darüber nachgedacht, was man außer Musik und Alkoholika noch anbieten könnte. Es gab – je nach Location – Buffets mit exotischen Speisen, Stylingecken für die Mädels, Kinderanimation und Massage.“ Auf so vieles achtete er, leider nicht immer auf die Wirtschaftlichkeit. Nichtsdestoweniger ist Gänger ein überaus entspannter Entrepreneur. Er sieht sich nicht als Vertreter eines die Leistungsgesellschaft torpedierenden Hedonismus. „Der Underground ist völlig weggebrochen“, konstatiert er, der vier Jahre lang auch das erfolgreiche, im elterlichen Alpengasthof stattfindende Elektronikfestival Styria Alpine betrieben hat.

Obwohl er noch heute andere Projekte wie das Super Sonic verfolgt, ist das Soul Sugar sein Liebkind. „Ich war immer überzeugt von diesen Sounds. Als ich das erste Mal Aretha Franklin und Tony Joe White gehört habe, hat sich ein Schalter in mir umgelegt.“ Sonntagnacht hat es allerdings eine andere Sicherung rausgehauen. Nach nur drei Wochen im Boxircus ist das unverwüstliche Soul Sugar nun wieder auf Herbergssuche.

ZUR PERSON

Sigismund Gänger (1969 in Krems geboren), hat nach Beendigung der HTL für Nachrichtentechnik eine Kochlehre absolviert. 1993 stieg er ins Veranstalterwesen ein. Mit dem Soul Sugar und dem Super Sonic kreierte er zwei Musikklubmarken, die bis heute ziehen. Zu Beginn der Nullerjahre veranstaltete er zudem das Styria Alpine Electronic Festival.

http://soulsugarvienna.blogspot.co.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2014)

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