Nachruf auf Yves Saint Laurent: Ganz Paris trägt Schwarz

(c) EPA (Jean-Pierre Muller)
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Yves Saint Laurent war einer der einflussreichsten Modeschöpfer - und bewegte sich stets zwischen Angst und Höhenflug, Depression und Weltruhm.

"Ich kenne Angst, schreckliche Einsamkeit, die falschen Freunde, Beruhigungsmittel, Drogen, das Gefängnis der Depressionen und das der Sanatorien." Bei keinem anderen Modeschöpfer liegen Erfolg und Leid, Ruhm und Abgrund, Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex so nah beieinander, wie bei Yves Saint Laurent. Sonntagnacht ist er 71-jährig gestorben. Er litt an einem Hirntumor.

Seinen Abschied ins Privatleben verkündet Saint Laurent 2002, mit gewohnt leiser Stimme bei der einzigen Pressekonferenz, die er je gibt. Er trägt einen schmalen schwarzen Anzug und versteckt sich wie so oft hinter seiner großen schwarzen Brille. Verkrampft hält er sich an der Tischplatte fest und blickt drein, als müsse er zu seiner eigenen Beerdigung sprechen. Vier Jahrzehnte Modegeschichte mit 5000 revolutionären Entwürfen. Das scheint ihm vorerst genug.

Die feinen Damen der Gesellschaft rührt der sensible Couturier damit zu Tränen. Eine davon, Nan Kemper, macht ihm daraufhin eines der schönsten Komplimente: „Von nun an gehe ich nackt.“ Das wird nur noch von Prinzessin Dianas legendärer Beteuerung übertroffen, sie spreche nur drei Worte Französisch: Yves, Saint, Laurent.

Yves Henri Donat Matthieu Saint Laurent wird am 1.August1936 in guten Verhältnissen in Oran, dem damals französischen Algerien, geboren. Schon als Kind bastelt er oft mit seinen zwei Schwestern Puppen und zog ihnen Papierkleider an. Als er mit zwölf Molièrs Stück „Die Schule der Frauen“ sieht, ist klar: Er will Kostüme schneidern. Mit 17 geht er nach Paris, gewinnt einen Modewettbewerb und lernt so den Chef der Vogue, Michel de Brunhoff, kennen. De Bruhoff zeigt seine Skizzen Christian Dior, der wiederum eine Ähnlichkeit zu seinen eigenen Entwürfen erkennt. Yves Saint Laurent wird sein Assistent.

Extrem schüchtern und beinahe ängstlich

1957 stirbt Dior, und mit zarten 21 wird Saint Laurent sein Nachfolger. Medien berichten, der „Petit Prince“ sei ganz starr beim Begräbnis gestanden, als würde die Last der ganzen Welt auf seinen schmalen Schultern liegen. Er wird als extrem schüchtern, nahezu ängstlich beschrieben.

Seine erste Kollektion für Dior zeigt er am 30. Jänner 1958. Er widmete sie dem Trapez-Look und wird damit über Nacht berühmt. Jede Saison folgen radikale Gegensätze zur letzten Schau – und zu denen seines Vorgängers, Dior. Und jede Kollektion sorgt für Aufregung. Doch mit „Chic Beatnik“, den schicken Halbstarken in schwarzen Lederjacken und Pelz, bringt er das Fass zum Überlaufen. Als die Armee ankündigt, den mittlerweile 24-Jährigen einzuziehen, nutzt die Dior-Geschäftsführung die Gelegenheit und ernennt Marc Bohan zum neuen Kreativchef.

Zwei Monate dient Saint Laurent als Soldat. Dann hat er den ersten Nervenzusammenbruch. Die Ärzte behandeln ihn mit Elektroschocks und Antidepressiva, von denen er nie mehr loskommen sollte.

Wenige Monate später titeln die Modezeitschriften: „Yves Saint Laurent kommt zurück“. Gemeinsam mit seinem Freund und Geschäftspartner Pierre Bergé eröffnet er sein Atelier mit dem verschlungenen Logo YSL. Seither liebt ihn die Damenwelt für die Worte: „Das schönste Kleidungsstück für eine Frau sind die Arme des Mannes, der sie liebt. Für alle diejenigen, die dieses Glück nicht haben, bin ich da.“

Es folgen die Twist-Röcke und das Mondrian-Kleid. Der Erfolg ist so groß, dass er unter „YSL Rive Gauche“ eigene Boutiquen für seine Prêt-à-porter-Kollektion eröffnet, die für alle erschwinglich sein sollte. Damit leitete er die Demokratisierung der für die meisten nicht leistbaren Haute Couture ein.

Es finden gerade die Studentenstreiks 1968 statt, als der inzwischen sehr einflussreiche Saint Laurent seine Modetheorien über den Haufen wirft. „Die echte Mode“, so YSL, „kommt von den Jungen auf der Straße.“ Außerdem hält er die Unterscheidung zwischen Mode für den Tag und für den Abend für überholt. Die ganzen Überlegungen resultierten in der City-Pants-Kollektion, maskulinen schwarzen Hosen für Frauen, die als Ausgleich zu den verdeckten Beinen eine transparente Bluse trugen. Sein Symbol der sexuellen Freiheit dieser Tage. „Coco Chanel gab Frauen die Freiheit, YSL gab ihnen die Macht“, sagt sein Wegbegleiter Bergé heute.

1971 geht er noch einen Schritt weiter und schockiert die Welt mit seinem Nacktbild, das weltweit als Werbung für seinen ersten Männerduft geschaltet wird. Er kreiert den ersten Smoking für Frauen, die Safari-Jacke, den Look der „Rich Peasant“, der reichen Bauern, und er verwendet Jeans für die Couture. Später wird er über diese Zeit sagen, dass sie die glücklichste und produktivste seines Lebens war.

Es ist die „Big Fantasy“-Kollektion mit Babushkas, wilden Mustern, knalligen Farben und überlangen Stiefeln, die ihn zutiefst zufriedenstellt, auch, weil die wichtigsten Journalisten die Entwürfe als Richtungswechsel für die gesamte Modewelt interpretierten. Doch sie kostet ihn zu viel Energie. Wenig später liegt er völlig entkräftet im Rehab-Zentrum.

Vom Superstar zum Einsiedler

Es folgt ein ständiges Auf und Ab. Hochphasen nutzt er stets für Provokationen – etwa mit seinem zweiten großen Duft „Opium“, ein Name, der den Asiaten gar nicht gefällt. Es folgen Drogen- und Alkoholexzesse. Dazu kommen Gerüchte einer Aids-Infektion. Erst beim geplanten Börsegang, 1980, dementiert Lebensfreund Bergé vehement. Es folgte eine Zeit, in der das Geschäft zurückgeht. Zu viele andere Modeschöpfer machen dem großen YSL Konkurrenz und ihm wird ein Mangel an neuen Ideen vorgeworfen.

Die 90er startet er mit einem Knall, die Kollektion sollte all jenen Tribut zollen, die ihn inspirieren: Pablo Picasso, Maria Callas, Jean Cocteau, Marilyn Monroe, Rita Hayworth, Catherine Deneuve. Er hat inzwischen 40 Kilo abgenommen und schaut besorgniserregend schlecht aus. Wenige Wochen später liegt er wieder im Spital.

1999 kauft Gucci das Modehaus und setzt gegen seinen Willen Tom Ford als Designer für die Pret-à-porter-Kollektion ein. YSL selbst ist nur noch für die Couture zuständig. Drei Jahre später zieht er sich ganz zurück.

Seither lebt er mehr und mehr wie ein Einsiedler, bezeichnet sich sogar selber als „Mönch“. Gelegentlich führt er seine Bulldogge spazieren, die wie alle ihre Vorgängerinnen Moujik heißt. „Es ist viel leichter, vom Beruf abzutreten als vom Ruhm. Er langweilt sich zu Tode“, sagt Bergé. In den letzten Wochen ist der einflussreiche Modeschöpfer ans Bett gefesselt, isst und redet nichts mehr. Er trägt nur Schwarz. Denn: „Schwarz ist meine Zuflucht.“

Yves Saint Laurent

Der Modeschöpfer wurde 1936 im französischen Algerien als Sohn wohlhabender französischer Auswanderer geboren. Mit 17 ging er nach Paris,
mit 19 fing er bei seinem Mentor, Christian Dior, an. Seit jeher litt er an Depressionen,
er nahm früh Drogen und trank zu viel Alkohol. Am 1. Juni ist er an einem
Hirntumor verstorben.

Sein Lebenswerk aus mehr als vier Jahrzehnten umfasst 15.000 Skizzen und 5000 Kleider. Viele davon bewegen und provozieren. So gab YSL den Blick auf den Busen frei, entwarf den ersten Damen-Smoking und verwendete als erster Haute-Couture-Schneider Jeansstoff.

Das Unternehmen mit den in sich verschlungenen Initialen YSL als Logo wurde mehrere Male verkauft und befindet sich nun im Besitz des Modehauses Gucci, das wiederum zum PPR-Konzern gehört.

Aktueller Designer der Marke ist Stefano Pilati, der in den Kollektionen immer wieder Bezug auf YSL nimmt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2008)

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