Johannes Krisch: "Ich habe mich auf der Bühne geschämt"

PRESSETERMIN DREHARBEITEN 'JACK': KRISCH
PRESSETERMIN DREHARBEITEN 'JACK': KRISCHAPA/ROLAND SCHLAGER
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Den Schauspieler Johannes Krisch hat es nach Berlin verschlagen. Mit der "Tempelschändung" des Burgtheaters im vergangenen Jahr habe das aber nichts zu tun, sagt das Ensemblemitglied.

Die Presse: Bei unserem letzten Interview vor eineinhalb Jahren ging es Ihnen nicht gut. Sie waren gesundheitlich schwer angeschlagen, konnten nicht arbeiten und haben eigentlich Ihr ganzes Leben infrage gestellt. Wie geht es Ihnen heute?

Johannes Krisch: Besser, viel besser. Die Folgen des Zwerchfellrisses habe ich gänzlich überwunden. Und auch die andere Baustelle habe ich voll im Griff (Anm. Krisch hatte Hautkrebs). Darüber bin ich überglücklich. Tja, viele Fragen, die ich mir damals gestellt habe, sind immer noch unbeantwortet. Im Privaten hat sich aber vieles geklärt. Ich bin in der Zwischenzeit ein Berliner geworden. (Schmunzelt.)

Wie das?

Nun hat mich das Leben nach Berlin gespült, weil die Frau, „meine“ Frau, mit der ich die Zukunft gemeinsam verbringen will, dort lebt. So hat es mich dorthin verschlagen.

Ein großer Schritt.

Und ein schwieriger, der viel Mut braucht. Es zerreißt einen in der Luft. Das Ganze geht auch nicht von heute auf morgen. Trotzdem habe ich ihn getan. Jetzt lebe ich in Berlin und komme nach Wien, um meine Söhne zu sehen und zu arbeiten.

Und wie beurteilt der Urwiener seine Stadt aus der Distanz?

Ich nehme die Stadt aus einer ganz anderen, neuen Perspektive wahr. Ich verstehe auf einmal, weshalb wir uns in Wien manchmal mit dem Leben so schwertun. Auf der anderen Seite kann hier alles so schön und easy sein.

Sie sind Ensemblemitglied des Burgtheaters. Die Entwicklungen am Haus haben Sie sehr kritisch verfolgt. Wie haben Sie die Krise der letzten Monate erlebt?

Begonnen hat alles damit, dass ich nicht verstanden habe, dass eine Person, Silvia Stantejsky, für die ganzen Missstände im Haus allein verantwortlich gemacht worden ist. Deshalb habe ich Fragen gestellt. Und mit jeder Antwort sind gleich unzählige neue Fragen aufgetaucht. Das lag daran, dass die Verantwortlichen die Schiene der Unehrlichkeit und der Vertuschung weiterfahren wollten. Hätten sie von Anfang an Farbe bekannt und ihre Fehler eingestanden – diese mächtige Lawine wäre nie ins Rollen gekommen. Davon bin ich überzeugt.

Die Schlagzeilen der jüngsten Vergangenheit wünscht sich kein Theater.

Das Schlimme ist, dass genau diese Menschen, die für die Burg verantwortlich waren, mit ihrem Verhalten dieses großartige Haus mit seinen fantastischen Schauspielern beschmutzt haben. Ja, es hat eine „Tempelschändung“ stattgefunden. Damit ist die Verbindung zu den griechischen Theatergöttern, die Schauspieler und Publikum brauchen, um magische Momente zu erleben, unterbrochen worden.

Haben Sie das so empfunden, wenn Sie auf der Bühne der Burg gestanden sind?

In dieser Zeit war es Schwerarbeit für mich, da hinauszugehen. Ich habe mich vor dem Publikum geschämt, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Ich habe mich wirklich geschämt.

Geht es Ihnen heute auch noch so?

Nein, aber es dauert natürlich, bis diese Wunden verheilt sind und das Vertrauen wieder da ist. Mit unserer Direktorin, Karin Bergmann, sind wir aber auf dem besten Weg dahin. Das ist das zweite wichtige Ergebnis dieser Revolution, die hier stattgefunden hat.

Was meinen Sie?

Zum ersten Mal in der langen Geschichte des Theaters wurde ein Direktor entlassen. Das ist das eine. Das hatte zur Folge, dass – auch zum ersten Mal – eine Frau das Burgtheaters leitet, und zwar nicht nur vorübergehend. Das ist großartig! Denn diese Costa Concordia hat sie, Bergmann, wieder aufgerichtet und auf stürmischer See auf Kurs gebracht. Es freut mich, dass sie nun auch die Möglichkeit hat, künstlerisch ihren roten Faden zu spinnen, weil sie genau das gut kann.

Dennoch fällt auf, dass Sie an der Burg wenig zu sehen sind. Woran liegt das?

Das liegt daran, dass mein Freund, der Theaterregisseur Mitko Gottscheff vor gut einem Jahr gestorben ist. Mit ihm hätte ich das Endspiel von Samuel Beckett machen sollen. Das Stück hätte im Frühjahr am Haus Premiere gehabt. Er starb kurz vor Probenbeginn. So ist dieses große Loch entstanden.

Gibt es ein neues Projekt?

Noch nicht, aber interessante Ideen. Ich bin sicher, dass sich bald das Richtige finden wird. Dann werde ich auch wieder mehr auf der Burg-Bühne zu sehen sein.

Sie drehen gerade einen Film, in dem Sie Jack Unterweger spielen. Wie war Ihre erste Reaktion, als Sie das Anbot für diese Rolle bekommen haben?

Wow, super Rolle! Das mache ich!

Bei dieser Begeisterung ist es geblieben?

Ja, allerdings ist auch sehr viel Angst dazugekommen. Es ist eine riesige Verantwortung, einen Menschen zu spielen, den es wirklich gegeben hat. Jeder in Wien hat ihn gekannt oder will ihn zumindest gekannt haben. Das war auch so, als ich den Boxer Hans Orsolic gespielt habe. Ich wollte ihm unbedingt gerecht werden. Darum war es für mich große Freude und Befriedigung, als Orsolic nach der ersten Vorstellung zu mir kam und sagte: „Genau so war's.“

Das kann Unterweger nicht mehr tun.

Wieso? Er kann ja auch zuschauen. Irgendwie wird er's mich schon wissen lassen, ob ich es richtig gemacht habe.

Sie haben sich schon lang intensivst mit seiner Persönlichkeit auseinandergesetzt. Wann haben Sie gewusst, dass Sie ihn gut genug kennen, um ihn spielen zu können?

Als er bei mir im Schlafzimmer gesessen ist. Das war einige Wochen vor Drehbeginn.

Was hat er dort gemacht?

Nichts, er hat mich nur angeschaut. Das hat mich sehr beunruhigt.

Weil er im Schlafzimmer gesessen ist?

Ja. Davor hat er nur an jedem Hauseck oder auf dem Hof auf mich gewartet, aber nie bei mir zu Hause. Aber dann war er auf einmal im Wohn- und Schlafzimmer. Er hat mich gar nicht mehr losgelassen.

Ich hätte auch nicht so gern einen vermeintlichen Serienmörder bei mir daheim sitzen.

Jack Unterweger ist nie rechtskräftig verurteilt worden!

Sie glauben, dass er die Frauen nicht umgebracht hat?

Ich weiß, dass er einen Menschen umgebracht hat. Ob er auch die anderen Frauen getötet hat, wissen er, die Opfer und der da oben.

Kann es sein, dass Sie Unterweger verteidigen müssen, um ihn spielen zu können? Es könnte ja auch sein, dass er jede Einzelne brutal umgebracht hat.

Ich werde euch nicht sagen, ob ich es war. (Lächelt verschmitzt.)

Unterweger hat sich in der Nacht nach dem Urteil des Geschworenengerichts in seiner Zelle erhängt. Haben Sie Mitleid mit ihm?

Auch das darf ich Ihnen nicht sagen, denn dann würde ich ihn, dann würde ich auch die Figur verraten. Es würde ein Zauber verloren gehen, ein Geheimnis. Aber Geheimnisse müssen bewahrt bleiben, sie machen nicht nur uns Menschen, sondern auch die Figur reich.

Haben Sie sich die Gutachten des Gerichtspsychiaters Reinhard Haller auch zu Gemüte geführt?

Ja, natürlich, weil ich versuche, dem Menschen Jack Unterweger in all seiner Ambivalenz gerecht zu werden. Und was ich in den Gutachten gelesen habe, hat mich tief geschockt. Aber genauso sehr hat es mich verstört. Vieles, was da stand, trifft auch auf mich, auf Sie, ich meine, auf jeden von uns zu. Das ist gespenstisch. Ich frage mich seitdem, was dazu führt, dass diese bestimmte Grenze überschritten wird. Wie weit der Punkt entfernt ist, an dem alles kippt. Fehlt überhaupt viel?

Ich hoffe doch.

Ich weiß es nicht. (Pause.) Bitte stellen Sie mir jetzt keinesfalls die Frage, wie es ist, einen Psychopathen zu spielen.

Hatte ich nicht vor. Aber wie ist die Antwort?

Nicht anders als einen „Normalen“ zu spielen, denn der Psychopath weiß ja gar nicht, dass er einer ist. Im Gegenteil.

Aber Sie wissen es doch.

Woher wissen Sie denn, dass ich kein Psychopath bin? Sind wir das nicht alle mehr oder weniger?

Steckbrief

1966
wurde Johannes Krisch in Wien geboren. Sein Vater war Tischler und verlangte von seinem Sohn, dass auch er das Handwerk erlernt.

1989
wurde Krisch Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters und spielte seitdem in zahlreichen Produktionen. Am Berliner Ensemble hat Krisch 2012 Liliom gespielt, an der Burg ist er derzeit als Alpenkönig und im „Talisman“ zu sehen.

Krisch spielte in den letzten Jahren in vielen Filmen mit, etwa in „Revanche“, „Die Vaterlosen“, „Braunschlag“ und „360“. Derzeit dreht er mit der Regisseurin Elisabeth Scharang „Jack Unterweger“.

Krisch hat drei Söhne und seit Kurzem auch eine Tochter.

Herr Krisch, darf man Sie auch fragen...


1...ob es bei den Dreharbeiten zu Jack Unterweger bisher Überraschungen gab?

Erstaunlich für mich war, dass ich den Text nie lernen musste. Ich habe mich so mit Unterweger und auch dem Drehbuch in all seinen Fassungen befasst, dass alles einfach schon in mir drinnen war.


2...ob es Sie gewundert hat, dass der Prozess von Matthias Hartmann ruhend gestellt wurde?

Überrascht hat es mich. Wenn es juristische Gründe dafür gibt, stört es mich nicht. Sollten aber andere Gründe dahinterstecken, wie das in Österreich manchmal der Fall ist, dann würde es mich stören, und zwar sehr. Davon gehe ich aber nicht aus.


3...wie es ist, nach drei Söhnen jetzt Vater einer kleinen Tochter zu sein?

Wunderbar, ich bin total in die Kleine verschossen! Das war und bin ich aber auch in meine drei Söhne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2014)

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