Jeffrey Eugenides: „Niemand kommt da lebend raus“

Jeffrey Eugenides war Gast einer Veranstaltung der Erich-Fried-Tage in Wien.
Jeffrey Eugenides war Gast einer Veranstaltung der Erich-Fried-Tage in Wien.(c) Clemens Fabry
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Jeffrey Eugenides erklärt der „Presse am Sonntag“, dass man Liebeskummer nicht persönlich nehmen soll und was die Liebe zu den eigenen Kindern so besonders macht.

Im Vorwort zu „Der Spatz Ihrer Herrin ist tot“ warnen Sie Ihr Publikum: Es soll sich nicht verlieben, sondern lieber diese Erzählungen lesen und die anderen leiden lassen.

Jeffrey Eugenides: Natürlich ist das ein bisschen ironisch. Aber Tatsache ist: Die Figuren in diesem Band stecken in den allergrößten Schwierigkeiten! Eine Liebesgeschichte geht immer mit Problemen einher. Niemand kommt da lebend raus. Oder zumindest: Ohne Blessuren.

Diese Geschichten sind zum Teil extrem. In William Faulkners „Eine Rose für Emily“ bettet sich eine Frau neben der Leiche ihres Geliebten zum Schlaf.

Jede Geschichte ist extrem. Darum ist es ja eine Geschichte! Nur das Besondere ist es wert, erzählt zu werden. Sie rufen ja auch nicht Ihre Freunde an und sagen: Gestern war ein Tag wie jeder andere, ich bin aufgestanden, habe gefrühstückt, mir die Zähne geputzt, ich muss dir das unbedingt erzählen. Sondern Sie sagen: Mir ist etwas ganz Unglaubliches widerfahren! Natürlich muss man eine Erzählung oder einen Roman ins alltägliche Leben einbetten, das muss schließlich glaubwürdig sein, wir müssen den Text trotz der Extreme für wahrhaftig halten. Aber im Zentrum steht immer das Besondere.

In Ihrem jüngsten Roman, „Die Liebeshandlung“, liest Madeleine „Die Fragemente einer Sprache der Liebe“ von Roland Barthes, um den Liebeskummer zu bekämpfen. Das funktioniert aber nicht. Was würden Sie ihr raten?

Es heißt doch immer: Die Zeit heilt alle Wunden, du wirst darüber hinwegkommen, und das ist offensichtlich richtig. Aber es bedeutet auch: Es gibt keinen Weg, das abzukürzen, du musst einfach lang genug leben, bis keine deiner Zellen sich mehr an diese Person erinnert. Mein Bruder sagte mir einmal: Nimm es nicht persönlich. Was natürlich schwer ist, weil Liebeskummer vor allem deshalb schmerzt, weil du zurückgewiesen wurdest. Aber man muss sich vor Augen halten, dass die andere Person das vielleicht gar nicht wegen dir gemacht hat, dass sie ganz andere Gründe hat, die mehr mit ihr zu tun haben als mit dir. So zu denken nimmt dem Schmerz vielleicht den Stachel.

Dieses Interview soll am 24. Dezember erscheinen, in unserer Weihnachtsausgabe. Da geht es natürlich nicht nur um romantische Liebe. Sie haben eine erwachsene Tochter?

Sie ist 18. Sie lebt mit mir, wir stehen uns sehr nahe, und sie erzählt mir viel. Ich habe früher immer Witze darüber gemacht, wie ich mich wohl verhalten werde, wenn sie anfängt auszugehen, wie ich mich fühlen werde, wenn sie sich mit Burschen trifft. Aber es hat sich herausgestellt, dass ich einfach nur glücklich bin, wenn sie glücklich ist: Und wenn es ein Freund ist, der sie glücklich macht, dann ist mir das recht.

Sie ist 18 und lebt noch bei Ihnen?

Ja, aber sie wird in einem Jahr ausziehen, sie geht aufs College. Das wird super sein für sie und ziemlich schmerzhaft für mich. Wenn die Kinder erwachsen werden, versteht man, was die eigenen Eltern durchgemacht haben, wie sie gelitten haben. Dafür hat man, solange man selbst noch jung ist, ja keinen Sinn.

Es ist nicht nur die romantische Liebe manchmal schmerzhaft. Auch die Liebe zu deinem Kind macht schwach.

Noch viel schwächer! Und auf der anderen Seite ist diese Liebe viel selbstverständlicher. Wenn es um meine Tochter ging, musste ich nie mit mir ringen, das Richtige zu tun; das Richtige war nämlich genau das, was ich ohnehin tun wollte. Das ist der Teil meines Lebens, für den ich mich nicht schäme. Sonst wünschte ich oft, ich hätte mich anders verhalten.

Warum ist das so?

Ich denke, das ist biologisch, diese überwältigende Liebe zu deinem Kind. Dass man gar nicht anders kann. Es ist eine andere Form der Liebe, eine überlegene, weil sie selbstloser ist als die romantische: So wie viele bin ich ja von der Idee besessen, eine Person könnte den Raum betreten, die perfekt ist, wie für mich gemacht, die mein ganzes Leben auf den Kopf stellen könnte. Aber diese Idee, wegen der ich ja den Roman „Die Liebeshandlung“ geschrieben habe, ist mit einer ordentlichen Portion Narzissmus verknüpft. Wovon du träumst, diese Person, die den Raum betritt, das bist du selbst, sie ist nur attraktiver und hat ein anderes Geschlecht. Sie soll intelligent sein, die gleiche Musik mögen, die gleichen Bücher lesen, geschmackvoll gekleidet sein: Es geht eigentlich nur darum, mit dir selbst zu schlafen. Aber Menschen sind nicht wie du, sie sind wie sie. Und das zu verstehen, bedeutet, Freude daran zu finden, eine andere Person kennenzulernen, nicht nur als Ergänzung.

Und Kinder nimmt man, wie sie sind? An die hat man keine überzogenen Erwartungen?

Es ist so einfach, Kinder zu lieben, weil du von vornherein weißt und akzeptierst, dass sie von dir verschieden sind. Meine Tochter hat etwa einen ganz anderen Musikgeschmack als ich. Aber wenn sie ihre Musik im Radio spielt, dann stört mich das nicht. Bei einer Freundin würde es mir zu denken geben: Vielleicht passen wir gar nicht zusammen? Meine Tochter stelle ich nie infrage, die würde ich nie ändern wollen.

Glauben Sie, es gibt so etwas wie die wahre, die immerwährende Liebe?

Ich habe Paare kennengelernt, die schon seit dem College zusammen sind und äußerst harmonisch wirken, ich will die Möglichkeit also nicht ausschließen.

Lernt man dazu? Ist man in Liebesdingen mit Mitte 50 reifer?

Wenn man älter wird, kommt man vielleicht an einen Punkt, wo man großherziger wird. Oder zumindest vernünftiger. Ein Freund hat sich neulich von seiner Frau getrennt, sie haben lang darüber geredet, haben festgestellt, dass es so nicht weitergeht, da war kein Kampf, keine Gemeinheit, er ist schließlich nicht mehr der junge Mann, er sieht die Zusammenhänge. Aber er ist untröstlich, er will sie zurück, dann erkennt er, dass er sie nicht zurückhaben kann. Auch mit Mitte 50 kann dir das Herz brechen. Es gibt einen späten Roman von Saul Bellow, in dem der Protagonist, ein alter Mann, weint und weint um eine verflossene Liebe, und ein Freund sagt: Es ist unglaublich, wie kannst du in deinem Alter so weinen! Das hat mich berührt. Ich bin nicht abgeklärter als früher, gar nicht. Allerdings: Wenn du oft enttäuscht worden bist, dann weißt du natürlich: Ah, das wird schon wieder. Das wird so und so lang dauern, es hilft, wenn ich reise, es hilft, wenn ich Schokolade esse. Aber du fühlst dasselbe.

Man kennt also den Schmerz schon, und das hilft?

Ich habe ja viel Glück gehabt in meinem Leben, aber vor ein paar Jahren sind in einer relativ kurzen Zeit viele schlimme Dinge auf einmal passiert. Jetzt weiß ich, dass ich das überleben kann. Wenn du ein, zwei, drei Stürme ausgehalten hast, dann vertraust du darauf, dass du den nächsten Sturm auch überstehen wirst. Das ist der einzige Trost, das ist nicht viel.

Ich möchte auch über den Hass sprechen. Das gehört dazu. Die Charaktere in Ihren Büchern hassen zum Beispiel nie.

Nein?

Welcher denn?

Na ja, in „Die Liebeshandlung“ konkurrieren Mitchell und Leonard recht heftig miteinander, und Mitchell ist wütend auf Madeleine. Das kommt dem Hass zumindest nahe. Aber es mag sein, dass meine Charaktere einfach nicht böse genug sind. Ich habe wenig über das Böse geschrieben.

Woher kommt der Hass? Der Hass, der die sozialen Medien überschwemmt? Warum, glauben Sie, schreiben Leute Dinge wie: „Ich hoffe, du verbrennst!“, „Ich hoffe, die Flüchtlinge ertrinken!“

Woher der Hass kommt? Vermutlich aus einer tiefen Wunde: Da ist ein Mann, vielleicht Anfang 50, der seinen Job verloren hat, damit auch sein Prestige, seine Frau hat ihn verlassen, sie hat das Sorgerecht bekommen, er sieht seine Kinder kaum, muss aber trotzdem Alimente zahlen, obwohl das Geld eh knapp ist. Für ihn sind die Frauen seine Feinde, sie haben ihn zurückgewiesen, die Kinder weggenommen, das Justizsystem scheint gegen ihn zu sein, das ganze System. Und dann kommt jemand wie Hillary Clinton oder Lena Dunham, und all der Hass kommt an die Oberfläche. Es ist ein Schmerzensschrei, ein unglaublich hässlicher Schmerzensschrei.

Haben Sie jemals gehasst?

Ja, habe ich, aber das ist vergangen.

Hr. Eugenides, darf man Sie auch fragen . . .


1. . . ob Sie religiös sind?

Das war ich zumindest in vielen verschiedenen Phasen meines Lebens. Ich mag ja die Quäker. Sie reden nicht von Gott oder davon, was er sein könnte, sondern immer nur vom Licht. Daran glaube ich: Dass Menschen das Licht suchen und in bestimmten Momenten auch finden können, dass sie zuweilen aus sich selbst heraustreten können.

2. . . ob Sie eine der Liebesgeschichten, die Sie herausgegeben haben, besonders berührt hat?

Das ändert sich natürlich, je nach Situation, in der ich stecke. Isaak Babels „Meine erste Liebe“ mochte ich sehr. Oder Alice Munros „Der Bär klettert über den Berg“, in der es um alte Liebe geht, die plötzlich sehr selbstlos ist. Nachdem der Held dieser Geschichte ein ganzes Leben vor allem nur an sich gedacht hat, tut er nun etwas nur für seine Frau, das finde ich schön.

Steckbrief

1960
in Grosse Pointe, einem Vorort von Detroit, geboren. Dort spielt auch sein Roman „Middlesex“. Wie die Hauptfigur in diesem Roman hat Jeffrey Eugenides griechische Vorfahren – allerdings nur väterlicherseits, seine Mutter stammt aus einer englisch-irischen Familie.

1993
erschien „Die Selbstmord-Schwestern“, sein erster Roman, der fünf Jahre später von Sofia Coppola verfilmt wurde.

2003
gewann Eugenides mit dem Roman „Middlesex“ über einen Mann, der aufgrund einer genetischen Anomalie als Mädchen aufwächst, den Pulitzerpreis.

2011
erschien sein jüngster Roman: „Die Liebeshandlung“ spielt auf dem College.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2016)

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