Götz Schrage: „Im Nachhinein fetzendeppert“

Götz Schrage in seinem natürlichen Habitat, an einem der Tische des Caf´e Ritter. Wenn er nicht hier ist, ist er ums Eck im Caf´e Europa (Zollergasse) anzutreffen.
Götz Schrage in seinem natürlichen Habitat, an einem der Tische des Caf´e Ritter. Wenn er nicht hier ist, ist er ums Eck im Caf´e Europa (Zollergasse) anzutreffen.(c) Clemens Fabry
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Götz Schrage hat sich vom Shitstorm um sein sexistisches Facebook-Post erholt. Den Witz von damals bereut er. Jetzt schrieb er einen Sammelband über Begegnungen mit Frauen.

Zum Gespräch bittet er in eines seiner beiden Wohnzimmer, das Café Ritter in Mariahilf. Hier hat Götz Schrage einen Stammplatz, an dem er nachdenkt, seine Umgebung beobachtet und Notizen in sein kleines schwarzes Moleskin-Büchlein macht. Wenn er nicht hier sitzt, sitzt er im Café Europa ums Eck. Sein Fotoatelier ist auch nicht weit. Seit einigen Jahren ist Schrage zudem Bezirksrat der SPÖ Neubau. Sehr oft muss er sich nicht aus seinem kleinen Grätzel bewegen.

Wer Götz Schrage nicht kennt, tut sich schwer, ihn gleich zu erfassen. Das Leben des 57-Jährigen war bisher viel, nur nicht geradlinig und eintönig. Seine Karriere begann er mit 19 als freier Schreiber und Fotograf beim „Wiener“. Dort befüllte er unter anderem die Gesellschaftsspalte „Intimzone“, und man lehrte ihn, den Berufsanfänger, stets zu notieren, was die Leute anhaben und was sie essen. „Das mach' ich immer noch“. Die Jahre als Fotograf waren lukrativ, „doch Werbung hat mich überhaupt nicht interessiert“. Also suchte Schrage Mitte der 1990er eine neue, ebenso lukrative Einnahmequelle und wurde Berufs-Pokerspieler. 2000 bis 2500 Stunden spielte er pro Jahr. Nach sechs, sieben Jahren war das vorbei. Dann kam 2015 die Flüchtlingskrise und Schrage stürzte sich fast manisch, wie ihm nicht wenige Menschen in seiner Umgebung attestierten, in die Flüchtlingshilfe. Es sieht so aus, als ob Schrage alles, was er beginnt, im Extrem ausführen muss. „Meine Freunde nennen mich gern so wie den aktuellen Serien- oder Filmneurotiker. Eine Zeit lang war das Monk und dann Sheldon Cooper.“ (aus „Big Bang Theory“, Anm.)

Die einzigen Konstanten in seinem Leben sind die Fotografie und das Schreiben. Gut 30 dieser kleinen, schwarzen Notizbücher hat der fast zwei Meter große Mann mit den kurzen, leicht ergrauten Haaren und der schwarzen Brille in den vergangenen 25 Jahren beschrieben, seit einiger Zeit befüllt er zusätzlich täglich sein digitales Notizbuch namens Facebook. Dort kommentiert er das (politische) Geschehen und zwar selten sehr ernst. Macht Witze, auch die der derberen Sorte. Ein bis zwei solcher Posts veröffentlicht er pro Tag, auch solche, die manche Leser (absichtlich?) falsch verstehen könnten. Meist erntet er dafür virtuellen Applaus. Doch im Mai hat er einen Witz gemacht, der mehr Empörung als Lacher auslöste.

Schlechter Scherz

Es war kurz nachdem Elisabeth Köstinger zur Generalsekretärin der neuen Kurz-ÖVP ernannt worden war, als er in seinem digitalen Tagebuch „die jungen Damen der ÖVP Innere Stadt aus den frühen 80ern, die mit mir schliefen, weil sie mich für einen talentierten Revolutionär hielten“ beschrieb und ergänzt hatte: „Da hängt sicher noch ein Burberry-Schal im Vorzimmer von Elisabeth Köstinger. Ich muss das wissen als Experte.“ Das Post schlug rasch Wellen, auch deswegen, weil Schrage nebenberuflich Bezirksrat in der SPÖ-Neubau ist. Auch die Bezirksleitung überlegte, ihn deswegen seines Amtes zu entheben (was sie dann nicht taten).

Ein halbes Jahr sagt er: „Ich habe einen schlechten Scherz über eine mächtige Frau gemacht und fand ihn im Nachhinein fetzendeppert.“ Er habe sich damals aufrichtig bei Köstinger entschuldigt und sinngemäß ausgerichtet bekommen, die ganze Sache sei für sie nicht der Rede wert. Nur wer Schrage besser kennt und weiß, wie alt er ist, wusste, dass die Bemerkung nicht auf einer realen Begebenheit beruhen konnte. Köstinger und er sind gut 20 Jahre auseinander, eine gemeinsame Jugend in den 80ern geht sich nicht aus.

Schrage hat einiges aus dieser Episode gelernt: „Für mich sind Idole zerplatzt“, sagt er. Menschen, die er davor geschätzt hat, sieht er heute als „ untalentierte Berufsaufreger“. Umgekehrt sei er überwältigt, wie viele Menschen sich für ihn eingesetzt haben. „Ich habe keine einzige Freundin verloren. Denn niemand, der mich kennt, würde glauben, dass ich das ernst gemeint habe“. Dass manche seine verbale Entgleisung nun in einem Atemzug mit der #metoo-Debatte nennen, stört ihn. Man könne einen dummen, wenn auch in Ansätzen sexistischen Scherz wie seinen nämlich nicht mit sexuellen Übergriffen vergleichen. Zudem sei er, und das klingt nicht wie ein Scherz oder eine billige Pointe, eher „der britisch zurückhaltende Typ“, wenn es um den Umgang mit Frauen gehe.

So ganz will man ihm das nicht abnehmen. Gerade hat er mit „Tausendmal verliebt“ einen Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht, in dem es nur um Begegnungen mit Frauen und das Nachtleben geht, die ein namenloser Ich-Erzähler vorbringt. Tatsächlich sind die Schilderungen des weiblichen Geschlechts mit einer gewissen Distanz und Schüchternheit verfasst. Glaubt man zuerst, die Texte haben nichts miteinander zu tun, bemerkt man bald, dass sie lose zusammenhängen. Schrage lässt seine vielen Beobachtungen aus Kaffeehäusern und Nachtlokalen einfließen und mischt wahre Personen und Begebenheiten zu semi-fiktiven Geschichten. Nichts, was hier geschildert wird, muss wahr sein. Aber es kann. „Jeder Idiot kann ein Buch schreiben, solange er einen anderen Idioten findet, der es verlegt“, sagt sein Protagonist in der ersten Geschichte. Ist das Koketterie? „Nein“, sagt Schrage, „weil ich habe bei diesem Satz überhaupt nicht an mich gedacht. Dazu bin ich viel zu eitel.“ Gemeint habe er richtig schlechte Bücher, nicht seines.

Zur Person

Götz Schrage wurde 1960 in Bochum als Sohn des deutschen Künstlers und Grünen-Politikers Dieter Schrage geboren. Mit seinen Eltern übersiedelt er bald nach Wien, wo er teilweise im Internat und in der Waldorfschule aufwächst. Später wird er Musiker (mit der Band Blümchen Blau), heuert mit 19 beim „Wiener“ als freier Fotograf und Schreiber an.

Mitte der 90er, verwöhnt vom Lebensstil als Fotograf, wird er Berufsspieler. Heute lebt der, wie er sagt, „Privatier ohne Vermögen“ in Wien, aber eigentlich fotografiert er in seinem Studio Menschen, betreut Flüchtlinge, und ist Bezirksrat der SPÖ Neubau. Zudem sitzt er viel im Kaffeehaus und schreibt. 2004 erschien sein erster Roman „Der Schwärmer“, soeben sein erster Kurzgeschichtenband „Tausendmal verliebt“ im Milena Verlag.
Info: www.schrage.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2017)

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