Michael Buchinger: Öha! Der ist doch aus dem Internet

Nicht (ganz) jugendfrei. Michael Buchinger bringt Hasslisten und Sexgeschichten auf die Bühne.
Nicht (ganz) jugendfrei. Michael Buchinger bringt Hasslisten und Sexgeschichten auf die Bühne.Dominik Pichler
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1000 YouTube-Clips sind kein Kabarett-Programm und 100.000 Follower sichern keinen Bühnenerfolg. Oder doch?

"Wie viele von euch sind unter 16?", fragt Michael Buchinger, selbst Mitte zwanzig und höchst erfolgreich als YouTube-Influencer, bei seiner ersten Kabarett-Premiere Anfang September im Stadtsaal. Um die Atmosphäre an diesem Abend zu beschreiben, darf man die Phrasensau streicheln: Die Menge war außer sich. Ein paar Hände gingen auf seine Eröffnungsfrage hin auch in die Höhe, sie winkten stolz. Die restlichen Hände blieben unten, vielleicht auch ein bisschen stolz, sie durften schon ohne gesetzlich verordnete Begleitperson ausgehen. Die Altersabfrage persifliert einen mittlerweile überarbeiteten YouTube-Algorithmus, der LGBT-Inhalte für unter 18-Jährige als schädlich einstufte. Buchinger spricht in seinem Monolog "Lange Beine, kurze Lügen" über schwulen Sex - nicht ausschließlich, aber durchaus gern. Der Jugendstar leistet auch in seinen YouTube-Videos seit vielen Jahren immer wieder Sexualaufkärung und verstößt sanft gegen das ungeschriebene Humorgesetz, Homosexuelle nicht zu diskriminieren. In seinem Bühnendebüt bespricht er das Thema nicht allzu progressiv. Seinen digitalen Sehern ist das egal und die Begleitpersonen verlieren sich ohnehin in einer altersungerechten Sinnsuche ohne Ziel.

Ein Selfie als Zugabe

So analog gibt es Buchinger jedenfalls selten. Seine Fans hätten immer wieder nach einem Treffen gefragt, erzählt er im Gespräch. Das wollte er aber nicht - zu gefährlich. "Man hört ja immer wieder, dass ein YouTuber einlädt, und dann muss die Polizei kommen." Die zweite Möglichkeit sind Conventions, bei denen man für eine lange Schlange und ein kurzes Selfie Eintritt zahlt, das fand er auch blöd. "Ich wollte etwas bieten", sagt Michael Buchinger am Tag nach seiner Premiere. "Daher habe ich eine Bühnenshow gemacht und sie nachher getroffen."

"Sie", damit ist ein kleiner Ausschnitt seiner 150.000 YouTube-Abonnenten gemeint. Im weltweiten Vergleich der Web-Komik ist die Zahl nicht zu überwältigend, aus österreichischer Sicht ist es Weltklasse. Auf die Bühne wollte er immer schon, "bisher war ich nur zu schüchtern und zu nervös", meint er. "Ein Vorteil ist schon, dass ich nicht vor 400 Menschen spiele, die nicht wissen, wer ich bin", schätzt er ganz richtig ein. Ob das Kabarett eine zu große Hemmschwelle für die großteils noch sehr junge Anhängerschaft sei, war eine Angst seiner Künstleragentur, die sich nicht bestätigt hat.

Andreas Fuderer
Andreas FudererStadtsaal

Für Andreas Fuderer, den Chef der Kabarett-Institutionen Stadtsaal und Niedermair Theater, ist ein YouTuber im Spielplan auch kein wirkliches Experiment, mehr eine klare Zielsetzung, erzählt er. "Es ist mir immer ein Anliegen gewesen, die Szene frisch und jung zu halten, damit neue Menschen neue Gedanken einbringen können." Dabei gehe es um nichts weniger als die Zukunft des Kabaretts. "YouTube hat auf jeden Fall das Potenzial, die Szene zu verändern", sagt er. Für ihn ist es ein interessantes Phänomen, dass Künstler ihre Gemeinde selbst mitbringen. "Auch wenn sie anonym sind, sind es Fans, die die Gedanken des Künstlers bereits kennen. Von dieser Ausgangslage heraus ist es leichter, einen gelungenen Abend zu gestalten. Allerdings ist YouTube keine Voraussetzung für einen Bühnenerfolg, das ist klar."

Andere Häuser trauen dem Zeitgeist noch nicht. Buchingers Premiere wurde mitgeschnitten, um misstrauische Veranstalter aus den Nachbarländern - 60 Prozent seiner Fans kommen aus Deutschland - zu motivieren. Warum das nötig ist? Buchinger weiß: "YouTube hat einfach einen schlechten Ruf. Vielleicht glauben die Leute, ich stehe auf der Bühne und schmiere mich mit Nutella ein. Man kann aber nicht sagen, ganz YouTube ist schlecht und unreif. Veranstalter reagieren manchmal sogar überrascht, wie zivilisiert meine Zielgruppe ist."

Followerfame

Die direkte Verbindung zu dieser werberelevanten Zielgruppe (Y und Z) über die sozialen Kanäle spielt in vielen Geschäftsbereichen eine tragende Rolle. Medien, Mode, Schauspielerei hier gilt nicht selten: Wer lauter twittert, bekommt mehr Aufmerksamkeit. Wer mehr Abonnenten sammelt, erzielt höhere Werbeerträge, bekommt größere Rollen. Berücksichtigen Kabarettveranstalter die Followerzahl ihrer Künstler? "Bestimmt", vermutet Michael Buchinger. "Das ist in letzter Zeit ein Argument für viele Dinge, die ich mache. Letztes Jahr habe ich ein Buchkonzept verkauft, obwohl ich es schon länger liegen hatte. Ich wollte warten, bis ich 100.000 Follower hatte, um zum Verlag zu gehen." Und ist es ein gutes Argument? "Aus einer geschäftlichen Sicht ist es clever, weil man so gut kalkulieren kann, aber das heißt natürlich nicht, dass ein Buch gut ist."

Keine Rolle spielt die Followerzahl allerdings für Kabarett-Chef Fuderer. Derzeit fehlen ihm bei dem noch recht jungen Phänomen die Erfahrungswerte. Allerdings fragt er seine Kinder hin und wieder, wer für sie gerade interessant ist. Dann sehe er sich die Empfehlung an und bleibe manchmal ratlos zurück, sagt er. "Für mich ist es jedenfalls wichtig, wenn auf der Bühne etwas Neues passiert. Das finde ich interessanter als jede Nachahmung des Gesehenen. Der Kabarettismus [(c) Karl Ferdinand Kratzl] ist etwas, das mir wirklich auf die Nerven geht." Schauspieler und andere Leute, die auf die Bühne drängen, um ihren Vorbildern mit gleichen Pointen in anderen Worten und gleichen Abläufen mit anderen Themen zu folgen, machen sich bei Fuderer nicht beliebt. "Stand-up-Comedy ist dagegen eine Bewegung, der wir uns nicht entziehen. Wien entwickelt sich derzeit gut, vieles wird offener und geht in Richtung Frontalvortrag. Das Kabarett der Nachkriegszeit ist doch einigermaßen überholt. Eine Verjüngungskur ist notwendig, dafür sorge ich und dafür stehe ich ein, seitdem ich das Niedermair übernommen habe."

»Kurz aus dem Schützengraben rausschießen kann jeder anonyme Vollidiot.«

Andreas Fuderer

Die Verjüngungskur wird in Buchingers Programm "Lange Beine, kurze Lügen" vielleicht nicht im Titel, der Sexualaufklärung oder in seinen Hasslisten deutlich. Letztere erstellt und wiederholt er schon seit gut fünf Jahren, was dazu geführt hat, dass der gar nicht sauertöpfische junge Mann schon so gut wie alles in Ranglisten-Modi gehasst hat. Seine Stärke könnte die Generationskritik werden, im Zuge derer er auch nicht davor zurückschreckt, die zum Brechen rosige Welt der Influencer mit langweiliger Realität zu beschmutzen. "Dieser Drang, alles festzuhalten, stört mich, und diese ganze Oberflächlichkeit. Es ist alles supertoll, aber kein Urlaub ist wirklich gut, wenn du ihn nicht auch auf Instagram in Szene setzt. Manche leben nur noch für die Story. Wir sollten uns bewusst werden, dass das Leben draußen stattfindet."

Lilly Singh ist die "Superwoman" der unterhaltenden Influencer  (siehe Kasten unten).
Lilly Singh ist die "Superwoman" der unterhaltenden Influencer (siehe Kasten unten).Getty Images

Eine guter Vorsatz, vielleicht auch deshalb, weil die schöne Welt ein Ablaufdatum haben könnte. "In letzter Zeit merke ich, wie die Klicks ein wenig sinken", erzählt Buchinger. "Die Jungen kommen nach, die erfolgreichen YouTuber sind jetzt 16 Jahre alt, so wie ich zu Beginn. Mein großer Vorteil war, dass die Szene damals noch nicht übersättigt war." Aber zu Grabe tragen werden wir sie noch nicht. Dagegen würden Buchingers Fans auch protestieren, mehr als gegen seinen ersten Bühnenversuch. Pointen, Präsenz, Timing und Dramaturgie funktionieren hier anders als im Netz. Michael Buchinger wird noch an der Kritik wachsen müssen. Theater-Chef Andreas Fuderer gibt bis dahin Rückendeckung: "Es erfordert viel Mut, um aus der Schutzzone seines Kanals herauszugehen. Kurz aus dem Schützengraben rausschießen kann jeder anonyme Vollidiot, im ausverkauften Stadtsaal spielen, das ist etwas ganz anderes."

YouTube-Satire

Abonnenten und Aufrufe sind die Währung der YouTuber eine Währung, die am Werbemarkt derzeit gut gegen echte Scheine gewechselt werden kann. Satire zählt neben Videospielen, Kosmetik und Kinderspielen zu den Goldgruben der Videoplattform. In Österreich ist das Feld überschaubar bestückt. Neben Michael Buchinger sind die Gebrüder Moped seit vielen Jahren auch im Kurzvideo-Geschäft aktiv. Ihr aktuelles Bühnenprogramm (und Buch) heißt "Heute gehört uns Österreich und morgen die ganze Scheibe".

Der Musikkabarettist Paul Pizzera, der mittlerweile zusammen mit Otto Jaus nur noch in ausverkauften Häusern spielt, baute sich seine Fangemeinde zu Beginn auch via YouTube auf. Blickt man über die Grenzen hinaus, hat man es mit dickeren Fischen zu tun. Im angloamerikanischen Raum kommt man zum Beispiel an der 29-jährigen kanadisch-indischen YouTuberin Lilly Singh nicht vorbei. Mit ihrem Kanal "IISuperwomanII" zählt sie zu den Top-Influencern im Entertainment-Bereich. 14 Millionen Abonnenten folgen ihr.

2017 wurde Singh mit Einnahmen von 10,5 Millionen US-Dollar pro Jahr auf der "Forbes"-Liste der bestverdienenden YouTube-Stars an zehnter Stelle - als erste Frau- gesetzt. Das Comedy-Duo Ian Hecox und Anthony Padilla vulgo Smosh kam mit elf Millionen Dollar auf Platz acht. Logan Paul und dessen Bruder Jake schafften es auf Platz vier (12,5 Millionen Dollar) respektive Platz sieben (11,5 Millionen Dollar). Die Gruppe Dude Perfect kam mit 14 Millionen Dollar auf Platz drei. Die ersten beiden Plätze des Rankings gehörten allerdings Gamern, also jenen, die sich beim Computerspielen filmen und dabei wie im Fall der Nummer eins Daniel Middleton 127 Millionen US-Dollar pro Jahr verdienen. Kein Spaß.

Buchingers Termine

Michael Buchinger spielt sein erstes Solo-Bühnenprogramm "Lange Beine, kurze Lügen" das nächste Mal am 10. 11. im Kabarett Niedermair, am 20. und 21. 11. in der Stadtgalerie Mödling und am 17. 12. im Wiener Stadtsaal. Das gleichnamige Buch mit dem Untertitel "Michi schenkt euch reinen Wein ein" erscheint am 9. 11. im Ullstein Verlag. Dort erschien 2017 auch schon Buchingers erstes Buch "Der Letzte macht den Mund zu". Für seine Hass-Listen erhielt er im Jahr 2015 den Deutschen Webvideopreis in der Kategorie Lifestyle. 2018 wurde er mit dem Blogger Award der Zeitschrift "Madonna" in der Kategorie YouTube bedacht. Wer Wein besser findet als Web, kann auch dieses Produkt des YouTubers kosten. Heuer gibt es Frizzante.

("Die Presse-Kulturmagazin", 19.10.2018)

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