Margit J. Mayer: „Nicht nur die Kirsche auf dem Kuchen“

„Sehr im Jetzt.“ Margit J. Mayer weiß, wohin sie mit ihrem Magazin will.
„Sehr im Jetzt.“ Margit J. Mayer weiß, wohin sie mit ihrem Magazin will.(c) Beigestellt
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Zuerst krempelte Margit J. Mayer den Wohnstil der Deutschen um. An der Spitze des deutschen „Harper’s Bazaar“ setzt die Österreicherin diese Mission nun in Kleiderfragen fort.

Wenn Margit J. Mayer im Restaurant eines Fünfsternehotels die noblerweise preisbefreite Damenkarte gereicht wird, findet die gebürtige Österreicherin diese Geste naturgemäß etwas deplatziert und verlangt umgehend die Variante für Männer. Immerhin bekleidet Mayer, Chefredakteurin der neu lancierten deutschen Ausgabe von „Harper's Bazaar", zuvor lange an der Spitze von „AD Architectural Digest" und in prominenter Position für den Taschen-Verlag tätig, seit Jahren ausschließlich Führungspositionen. Der „Spiegel" lobte ihren Mix aus Hochglanz und Hochkultur; in anderen Medien wird mantraartig wiederholt, sie habe den Wohngeschmack der Deutschen um die Jahrtausendwende entscheidend beeinflusst. Und nun erwartet der Burda-Verlag, der Bazaar in Deutschland herausgibt, von ihr wohl Ähnliches in Modeangelegenheiten: ein Gespräch über das Magazinmachen, die Rückwirkung von Medien auf die Mode - und den Nutzen von gutem Entertainment.

Die US-Ausgabe von Harper's Bazaar existiert seit 1867. Damals zeigte eine Illustrierte den Menschen, was sich überhaupt besitzen lässt. Heute ist die Ausgangslage eine komplett andere: Information über Verfügbares braucht kein Leser. Wie würden Sie also die Rolle einer Modezeitschrift definieren?

Natürlich ist es möglich, die Bilder von Modeschauen oder irgendwelchen Accessoire-Kollektionen sofort nach Bekanntwerden im Internet abzurufen. Weltweit. Wer so argumentiert, vergisst aber, dass der Tag 24 Stunden hat und dass die überwiegende Mehrheit der Menschen diese Zeit nur zu einem sehr geringen Teil damit verbringt, sich mit Mode zu beschäftigen und im Internet herumzusuchen, welche Looks da gerade in Mailand oder Paris über den Laufsteg gelaufen sind. Davon auszugehen, entspräche dem Größenwahn, oder sagen wir der Betriebsblindheit von Modemenschen. Ein Modemagazin ist heute wie damals dazu da, um Mode der potenziellen Konsumentin zu vermitteln.

Der Anspruch ist also, eine markante Ästhetik zu entwickeln - auch auf der Ebene der Objekte, die präsentiert werden?

Natürlich, das Editing ist entscheidend. Das Internet spielt uns zwar allen vor, dass jeder alles, was es auf der Welt gibt, jederzeit zu sehen bekommt. Dabei wird aber außer Acht gelassen, dass das ganz einfach menschenunmöglich ist. Man sieht immer, im Netz wie in analogen Medien, eine Auswahl. Darum ist eine Vertrauensbasis immer die Voraussetzung für jede Art von Information.

Wie baut man diese Vertrauensbasis auf und schafft, was in der Literaturtheorie der „implizite Leser" genannt wird; einen Leser, dessen Erwartungshaltung man a priori mitbedient?

Bei solchen impliziten Lesern handelt es sich ja um Kunstfiguren. In jedem Fall braucht es Zeit, bis eine Vertrauensbasis hergestellt werden kann. Bei Bazaar haben wir bislang drei Ausgaben auf den Markt gebracht, das heißt, dieser Prozess ist noch im Gange. Auf der anderen Seite profitieren wir bis zu einem gewissen Punkt vom Vertrauensvorschuss, der dank der amerikanischen oder britischen Ausgabe vielleicht besteht. Übrigens kam den Harpers-Brüdern im 19. Jahrhundert die Idee zu ihrer Zeitschrift, weil ihnen eine damals in Berlin verlegte „Damen-Illustrierte" namens „Der Bazar" auffiel. Die Amerikaner, die damals noch pioniermäßig damit beschäftigt waren, in ihrem Land die Eisenbahn zu verlegen und das Land strukturell aufzubauen, haben sich also von Europa solche Sachen abgeschaut.

Wie steht es um das materielle Begehren der Leser? Viele, die zu einem Luxusmagazin greifen, können sich das Gezeigte ja gar nicht leisten...

Mode funktioniert in einem Modemagazin eben auf zwei Ebenen. Es ist ja ein Missverständnis, das in bestimmten, sagen wir mal: eher modefernen Kreisen vorherrscht, dass nämlich eine solche Zeitschrift nichts weiter ist als ein Katalog. Das ist aber nicht einmal die halbe Wahrheit. Zwar ging es von Anfang an darum, über Neuigkeiten in den sogenannten Modehauptstädten zu berichten; es war aber auch immer die Aufgabe einer Frauenzeitschrift, und damit eben auch der Modezeitschrift, das weibliche Ideal im jeweiligen Moment zu definieren. Und das ist eigentlich ihre kulturelle Dimension.

Die chronologische Entwicklung von Modemagazinen reflektiert also die parallele Entwicklung von Frauenbildern?

Jawohl, und zwar befruchten sich die beiden gegenseitig. Was die Mode betrifft, ist es ja nicht so, dass das Magazin vorausgaloppiert, und die Frauen, die Leserinnen und Modekäuferinnen, galoppieren einfach nach. Es ist aber auch nicht umgekehrt. Je weiter man freilich nach unten geht in der qualitativen Hierarchie der Zeitschriften, desto weniger wirken diese aus eigener Kraft auf die Mode zurück. Im obersten Bereich ist es aber sehr wohl so - da gibt es Rückwirkungen der Medien auf die Branche. Diese kreative Mitschöpfung an der Mode ist im deutschsprachigen Raum nicht ganz so einfach möglich, weil es deutlich weniger Modeindustrie gibt als in Frankreich oder Italien oder auch den USA. So oder so muss man aber auf der Höhe der Zeit sein.

Das heißt, so verankert sein in seiner Zeit und einem gesellschaftlichen Ektoplasma, dass man - als Zeitschriftenmacher wie als Kreativer - Dinge erahnt und mitgestaltet, ehe sie manifest werden?

Richtig. Helmut Lang zum Beispiel konnte das, Coco Chanel konnte es, Yves Saint Laurent auch: Solche quasi medial begabten Personen sind besonders sensibel für Veränderungen, und sie schreiben eben keine Bücher darüber, sondern sie agieren und arbeiten schöpferisch wie ein Orakel. Doch auch sie leisten immer nur einen Beitrag zum großen Ganzen. Das trifft auch auf Christian Dior und seinen New Look zu: Damals hat keineswegs die ganze Welt nur mehr die New-Look-Silhouette getragen, wie das gerne dargestellt wird. Und doch ist die Mode eine kulturelle Kraft, und zwar eine ziemlich große, die nicht nur kommerziell getrieben ist.

Sind es also die Skeptiker, die die Mode auf ihren Warencharakter reduzieren, um sie zu verunglimpfen?

So ist das. Und natürlich gibt es diese Art von Mode auch. Doch in der Kunstkritik würde es zum Beispiel niemandem einfallen, über die Arbeit eines Künstlers negativ zu urteilen, nur weil er sich am Markt gut etabliert hat und seine Bilder hohe Preise erzielen. Damit will ich aber nicht sagen, dass Mode Kunst ist; diese Frage interessiert mich überhaupt nicht, weil sie nur ablenkt von dem, was wirklich wichtig ist.

Eine andere Frage, die in diesem Zusammenhang nicht uninteressant ist: Würden Sie mir beipflichten, dass in der rezenteren Mentalitätengeschichte die Mode eher weiblich konnotiert - und dadurch verrufen - ist, wohingegen Produktdesign und Architektur männlich besetzt - und ungleich salonfähiger - sind?

Natürlich ist das so. Etwa im Bauhaus; da durften die Frauen in der Textilwerkstätte herumtun, und die Männer haben sich ernsten Aufgaben wie dem Schriftdesign und dem Häuserbauen gewidmet. Wobei zeitgleich Coco Chanel ihren Aufschwung erlebte, und das ist wieder symptomatisch für den großen Machtkampf, der sich durch das ganze 20. Jahrhundert zog und in dessen Rahmen die Männer sich dagegen verwahrt haben, ihre über Jahrhunderte angesammelten Privilegien aufzugeben. In diesem Kampf, der alle erdenklichen Bereiche erfasst hat, wurde zum Teil mit den härtesten Bandagen gekämpft. Die Mode war da ein Schauplatz unter vielen.

Der Bereich - Mode, Design, Inneneinrichtung - in dem Sie sich seit Jahren als Meinungsbildnerin betätigen, wird von Pierre Bourdieu in seiner Untersuchung „Die feinen Unterschiede" als jener identifiziert, der, weil außerhalb des Bildungskanons angesiedelt, von wahrhaft gutem Geschmack zeugt.

Das konnte er schreiben, weil er eine Situation noch vor der Medienära beschrieb. Was aber den guten Geschmack betrifft, so wird meiner Meinung nach in Deutschland in Modetexten viel zu oft auf Begriffe wie Geschmack, Stil, Mut rekurriert. Und wenn man bestimmte Aspekte dermaßen betont, heißt das im Umkehrschluss nur, dass es hier ein Defizit gibt. Da kann auch überhaupt niemand etwas dafür, ich meine das weder anklagend noch abwertend: Das hat sich historisch in Deutschland so entwickelt. Ein Grund ist zum Beispiel, dass es nie einen zentralen, Ton angebenden Hof gab - bei den Bourbonen oder den Habsburgern war das zum Beispiel anders.

Ihnen wird nachgesagt, mit AD Architectural Digest den Wohnstil der Deutschen maßgeblich geprägt zu haben.

Das stimmt auch, und nur wenn das gelingt, hat ein Magazin auch einen Sinn. Wenn ich da nur herumtändle, wie eine Kirsche am Kuchen der Wirtschaft, ist die kulturelle Bedeutung ja null. Ein Medium muss schon etwas bewirken, in der Gesellschaft. Auch gutes Entertainment bleibt nicht ohne Wirkung. Es gibt nichts, das wirklich gut ist und bei den Menschen nichts auslöst.

Frei nach Horaz, „prodesse & delectare"?

Wie sonst? Wir sind ja nicht in der Schule, wenn wir eine Zeitschrift kaufen. So nach dem Motto: Oh la la, jetzt muss ich einmal nachschauen, was denn die richtige Rocklänge ist, weil wenn ich's falsch mache, kriege ich eine schlechte Note. So funktioniert es ja zum Glück nicht. Andererseits ist es natürlich eine keineswegs unernste Sache, was man sich auf den Leib holt. Völlig unüberlegt sollte man das lieber nicht angehen.

Eine ähnlich Stil bildende Rolle, wie Sie sie im Bereich Wohnen innehatten - ist das in der Mode überhaupt vorstellbar?

Sagen wir so: Das gut gemachte Medium sagt den Menschen nicht einfach nur, was sie zu tun haben, sondern es erklärt ihnen, warum. Es ist dazu da, zumindest einen Gedanken darauf zu verwenden, was es dem Leser für einen Vorteil bringen soll, und damit nützlich zu sein. So verrückt sie zum Teil auch gewesen sind: Aber bei den „Why Don't You...?"-Tipps von Diana Vreeland ging es tatsächlich um Anregungen für die Leserin. Es war ein Vorteil für die Frauen damit verbunden, und darum ging es Vreeland sehr wohl. Vordergründig wirkte vieles ganz exzentrisch und womöglich verrückt, aber die Leserinnen wussten, was sie sich aus diesen Tipps herausholen konnten.

Sie haben eine solche „Why Don't You...?"-Seite in der deutschen Ausgabe von Bazaar wieder eingeführt und die Vreeland wiederholt in Ihren Editorials zitiert. Das heißt, sie ist für Sie eine wichtige Referenz in der Geschichte der Zeitschrift?

Auf jeden Fall. Wenn man mit einem neuen Projekt beginnt, Tom Ford etwa hat das damals bei Gucci nicht anders gemacht, dann geht man zuerst einmal ins Archiv und schaut sich die Vergangenheit an. Das macht auch großen Spaß. Es gibt vieles, das im Moment keine Bedeutung mehr hat. Und dann gibt es andere Punkte, wo man sagt, das hat etwas, oder das kann etwas haben. Auf der anderen Seite ist so ein Magazin aber sehr im Jetzt verankert, weil es sich ja auf die aktuelle Mode bezieht. Da bin ich täglich, ja ständig gefragt, gewisse Parameter anzusetzen und zu sagen, welche Geschichten entwickle ich, basierend auf dieser Mode? So entwickelt sich das, wie ein Puzzle oder Mosaik, das allmählich Gestalt annimmt.

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