Von der neuen Heimat in der alten Peripherie

Gottverlassen: Johannes Nepomuk, Kagraner Platz.
Gottverlassen: Johannes Nepomuk, Kagraner Platz.(c) WOLFGANG FREITAG
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Gottverlassen steht er da, der heilige Johannes Nepomuk, wie ein alter Kasten, den die Übersiedlungsfirma beim großen Umzug am Straßenrand vergessen hat.

Gottverlassen steht er da, der heilige Johannes Nepomuk, wie ein alter Kasten, den die Übersiedlungsfirma beim großen Umzug am Straßenrand vergessen hat. Noch vor Kurzem markierte er, samt einem baumbestandenen Dreieck hinter sich, das östliche Ende des Kagraner Platzes. Das ganze Dreieck freilich, ein magistratisches Gebäude inklusive, ist mittlerweile der Verlängerung der Straßenbahnlinie 26 Richtung Aspern gewichen. So rollt der Kagraner Platz jetzt haltlos Richtung Osten aus, bis er an einer Lidl-Filiale ein nicht sonderlich erbauliches Gestade findet.

Einziger Rest von ehedem: die „überlebensgroße Figur“ in ihrem „kapellenartigen Breitpfeiler“, wie das der „Dehio“ nennt. Gleich daneben die jungen Straßenbahngeleise. Und weil's offenbar schon wurscht ist, hat ein städtischer Ästhet dem Märtyrer aus Prag einen Laternenmasten knapp vor die Nase gesetzt. Macht nichts, ist eh nur eine Kopie (das Original steht im Bezirksmuseum).

Zugegeben, viel attraktiver war sein Quartier davor auch nicht: Wo die Brücke zum Brückenheiligen gewesen sein mag, ist schon seit Jahrzehnten nicht einmal mehr vorstellbar, und vielleicht wird er es sich dereinst, haben sich erst die erbarmenswürdigen Stangen rundherum zu Bäumen ausgewachsen, womöglich gar verbessert haben. So wie er sich freilich gegenwärtig präsentiert, einsam und verlassen, umtost vom vielen öffentlichen und noch mehr nicht öffentlichen Verkehr, ist er mir Symbol für die Unbehaustheit an der Peripherie: für das Verschwinden gewachsener Bezüge in einem Umfeld, das in der Dynamik seiner Veränderung nichts dringender als genau solche Bezüge braucht – um jene Eigenart zu bewahren, die so etwas wie Heimat erst begründet.

Wie sich in so gut wie zeitgleich zuwachsenden Stadterweiterungszonen solche Ankerpunkte der Identität erhalten oder auch erschaffen lassen, wie sich verhindern lässt, dass Stadtentwicklung zum amorphen Wohnbaugewabere verkommt, an diesen Fragen wird entschieden, wie weit die Stadt Wien sich künftig noch Stadt wird nennen dürfen: nur innerhalb des Gürtels oder auch in Strebersdorf, Rothneusiedl – und eben in Kagran.

E-Mails an:wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2013)

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