Nur Ende, kein Anfang: Eine kleine Bahnsteigphilosophie

Kurzzugende? Kurzzuganfang? Bahnhof Praterstern.
Kurzzugende? Kurzzuganfang? Bahnhof Praterstern.(c) Freitag
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So viel Ende war noch nie.

Aus allen medialen Kanälen prasseln Apokalypsen unterschiedlichster Gewichtigkeit auf uns nieder, und wer zwischen Klimakatastrophe, Grippewelle, Kampf der Kulturen, acht toten Pottwalen an der Nordseeküste und Richard Lugners Ankündigung einer Präsidentschaftskandidatur noch Zeit zum Schnaufen hat, war ja eh immer schon vom Untergang des Abendlandes überzeugt. Statt „Alles Walzer!“ heißt es dieser Tage „Alles Krise!“, und dass kein Ende ohne Anfang sei, glaubt niemand mehr. Nicht einmal die ÖBB.

Und das kommt so. Das Wiener Schnellbahnsystem wird mehrheitlich mit Doppelgarnituren betrieben, und zwar die meiste Zeit des Tages; in den frequenzschwächeren Perioden allerdings (respektive dem, was die Bundesbahnen dafür halten) meint man dann und wann, statt zweien nur mehr der Zugsgarnituren eine auf die Strecke schicken zu müssen. Diese sogenannten Kurzzüge wiederum sind – wenig überraschend – deutlich kürzer als die Bahnsteige, an denen sie halten, schließlich sind die Bahnsteige sinnvollerweise auf die Länge von Doppelgarnituren ausgelegt. Das seinerseits zieht die Notwendigkeit nach sich, jene Bahnsteigbereiche eigens auszuweisen, an denen Kurzzüge tatsächlich stehen bleiben. Womit wir beim Anfang vom Ende wären.

Denn so ein Kurzzug hat, laut Bahnsteigbeschilderung der ÖBB, nicht ein Ende, sondern deren zwei. Ob vorn, ob hinten: Ein Kurzzug fängt nicht an, er hört nur auf. Beides ist als „Kurzzug Ende“ ausgewiesen. Was es dem ortsunkundigen Bahnnutzer – sagen wir: im Bahnhof Praterstern – einigermaßen schwer macht zu erkennen, ob er denn nun vor oder besser hinter der „Kurzzug Ende“-Tafel seines Kurzzugs harren soll, könnte doch dieses Ende tatsächlich das Ende des Zugs wie auch sein Anfang sein. Alles klar?
Ja, wir leben in einer unübersichtlichen Welt. Und sie wird unübersichtlicher mit jedem Tag. Mittlerweile sogar auf den Bahnsteigen.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2016)

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