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Wenn Geschichte mitten auf dem Trottoir liegt

„Luftschutz Mannesmann“ nächst Sparkassaplatz, Wien 15.
„Luftschutz Mannesmann“ nächst Sparkassaplatz, Wien 15.(c) Freitag
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Mannesmann in der Storchengasse und andere Erinnerungsstücke: Nachschau in Wien Sechshaus.

Das Geld liegt zwar kaum je auf der Straße, aber unsere Geschichte mitunter mitten auf dem Trottoir. Oder auch: ins Trottoir eingelassen. Etwa in der Storchengasse, Wien Sechshaus, unweit des Sparkassaplatzes. An sich ein nicht weiter auffälliges Revier, der übliche Vorstadtmix aus Gründerzeit und verstreut eingefügter Gegenwart, in der Geschäftsebene mit viel Leerstand geschlagen, und das wohl seit Jahrzehnten. Wo sich doch noch Leben in den alten Kontoren regt, da ist es, in ähnlichen Lagen gleichfalls vorstadtnotorisch, ein Gemenge aus Wettlokal und anderweitig Halbseidenem, unterbrochen von ein wenig Einzelhandelsmelancholie auf dem Weg in den nahen Abschied in Richtung Rente, in das sich da und dort ein Stück junger, zukunftsfroher Gastronomie zwängt – gleichermaßen letzte Reminiszenz wie letzter Hoffnungskeim für das, was man früher einmal städtisches Leben genannt hat.

So weit, so gut wie omnipräsent. Doch dann, vor einem verrosteten Rollbalken in der Storchengasse, dieses ins Trottoir eingelassene Gitter und der markante Schriftzug rund um seinen Rahmen: „Luftschutz Mannesmann“. Ich weiß nicht, wie oft ich in den vergangenen Jahrzehnten über Gitter dieser Art achtlos hinweggegangen bin, ohne sie auch nur eines Blicks zu würdigen. Jedenfalls sollen sie, Lüftungsschächte und Notausgänge von Luftschutzkellern markierend, in Wien sehr viel häufiger zu finden sein, als man mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs meinen möchte.

Gleich gegenüber, Storchengasse 21, noch ein Erinnerungsstück, eines der ganz anderen Art: eine Gedenktafel für den „Storchentempel“, bis zu seiner Zerstörung im Novemberpogrom des Jahres 1938 Synagoge des israelitischen Tempelvereins Emunath Awoth.

Geschichte vergeht nicht, Geschichte wirkt fort, gleichviel, ob wir ihrer gedenken wollen – oder nicht.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2018)

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