Wenn man sein Leben vor roten Ampeln verbringt

Der Kaffee der anderen riecht immer besser. Da ging jemand zu einer besonders koffeinbedürftigen Zeit an einem vorbei, ein Häferl mit frischem Kaffee in der Hand, und es duftete nach der Lösung aller Probleme.

Minuten später, selbst einen Kaffee in der Hand, gleiche Marke, gleiches Wasser, gleiche Maschine, bemerkt man mit leichter Enttäuschung, dass der eigene mit dem anderen nicht mithalten kann.

Es ist offenbar so wie mit dem Gras, das immer grüner ist auf der anderen Seite (wobei derzeit ohnehin kein Gras grün ist, es sei denn, es ist Kunstrasen oder es wurde so exzessiv gegossen, dass das Grün schon fast provokant aussieht, inmitten der grasgelben Flächen). Es lässt sich auf vieles umlegen. Wer schon einmal in einem Restaurant das Gleiche bestellt hat, was vorhin so verheißungsvoll an den Nachbartisch serviert wurde, wird wohl auch die Ernüchterung kennen, wenn das Essen auf dem eigenen Teller plötzlich nicht mehr so viel hermacht. Der ganz normale Neid also?

Dass es dem anderen immer besser geht, weiß jeder, der mit Geschwistern aufgewachsen ist. Da ist sogar die Luft, die der andere atmet, nur einen Meter weiter, besser, und wenn man die Plätze tauscht, weil der andere den netteren hat, ihn aber abtritt, um ein Drama zu vermeiden, kann es nicht gut werden, denn dann kommt mit Sicherheit eine Wespe dahergeflogen. Immer nur zu mir kommen die Wespen, übrigens.

Es ist schlimm genug, mit den Ungerechtigkeiten des Lebens fertig zu werden, wenn man fünf Jahre alt ist, aber wie schlimm ist es erst, wenn man als ausgewachsener Mensch immer den Kürzeren zieht, immer in der falschen Schlange steht, nie eine grüne Welle auf dem Wiener Gürtel erleben darf, sein Leben also quasi vor roten Ampeln verbringen muss. Wenn der eine fährt, muss der andere stehen bleiben. Es hält sich die Waage, auch wenn es sich nicht so anfühlt.

Aber wie hat es ein Kleinkind unlängst auf den Punkt gebracht: „Dein Rot ist viel grüner.“

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2018)

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