Das Schulbuchdilemma

Bunte Heftumschläge
Bunte Heftumschläge(c) Clemens Fabry
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Als Grazer Kind hatte ich ein wunderbares Privileg: Die Schule ging bei uns immer eine Woche später los als bei den armen Wienern, die praktisch im Hochsommer in ihre Klassen beordert wurden.

Ja, wir steirischen Kinder waren uns einig: Wir haben es viel besser. Dass die Wiener dafür eine Woche früher in die großen Ferien starten durften, tat nichts zur Sache. Denn in unserer letzten Schulwoche hatte man sowieso keinen richtigen Unterricht mehr, da war es also egal, dass man noch in der Schule saß. (Bestechend, diese Kinderlogik.)

Mit einem Wiener Kind aber haben wir die Schultasche längst aus dem Eck geholt, die Buntstifte gespitzt. Als Elternteil ist man bereits auf Volksschulsesselchen beim Elternabend gesessen und hat sich innerlich – die härteste Challenge zum Schulanfang – auf das Einbinden der Schulbücher mit diesen Klebefolien eingestellt. Ein Vorgang, der bei mir ähnliche Zustände (Schweißausbruch, Panik, Verzweiflung) auslöst wie das Verpacken von Lebensmitteln mit Frischhaltefolie, von deren Rolle man großzügig geschätzt in 99 von 100 Fällen kein brauchbares Stück abreißen kann. Die Schulbuchfolien lassen sich zwar zuschneiden, das Ergebnis ist aber trotz jahrelanger Übung verheerend. Und dann die erlösende Nachricht: Nur ein einziges Schulbuch ist seinen Maßen nach verhaltensauffällig und passt in keinen handelsüblichen Schutzumschlag, sprich: Die Tortur des Folierens ist diesmal auf ein Minimum reduziert. Natürlich gibt man sich dann bei diesem einen Buch besonders viel Mühe, was sich aber im Endergebnis keineswegs niederschlägt: Luftlöcher hier, stümperhaft verklebte Kanten da, die das Kind, das in solchen Dinge eine gewisse Ordentlichkeit liebt, längst so stoisch zur Kenntnis nimmt wie die Tatsache, dass die Mutter auch in der dritten Klasse jeden Tag Obst in die Jausenbox packt, wissend, dass dieses in deutlich schlechterem Zustand ein paar Stunden später wieder retour kommt.

In diesem Sinn: Genießen Sie die verbliebenen Ferientage, wenn Sie in einem diesbezüglich privilegiertem Bundesland leben. Und: Guten Schulstart. Folieren Sie nicht zu viel. Ist schlecht für die Nerven.

E-Mails an: mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2018)

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