Fabrice Tourre ist 31 Jahre alt, und ehe er vor Kurzem für unbestimmte Zeit auf Urlaub ging, arbeitete er für Goldman Sachs als „Vice President Structured Products Group“.
Was genau man da tut, weiß ich nicht, laut Firmenchef Lloyd Blankfein verrichtet man jedenfalls „Gottes Werk“. Dazu muss man unter anderem solche Texte schreiben: „2006 vintage. Tier 2/Tier 3 names. Avg spread of approx 450bps mid-market.“ Tourre hat das am 8.Mai 2007 um 21.22 Uhr als E-Mail verfasst, nun ist es veröffentlicht. Denn irgendwie ging es um ein verunglücktes Wertpapiergeschäft. Und so musste sich Tourre letztens unfreundliche Dinge von einem Haufen säuerlicher US-Senatoren anhören.
Seither nennen ihn Gott, dessen Werk nun jemand anderer verrichten muss, und die Welt „Fabulous Fab“. Denn in einem Mail schreibt er seiner Freundin in London, alles gehe den Bach runter, nur er, „Fabulous Fab“, sei „der einzige Überlebende inmitten all dieser Monstrositäten“, die er geschaffen habe, „ohne all ihre Folgen zu verstehen“.
Ballen Sie schon zornig die Faust? Gemach. Denn Tourre hat geschrieben, ein Kollege sähe ihn als „Fabulous Fab“, obwohl nichts „Fabelhaftes an mir ist, nur Freundlichkeit, Altruismus“ und andere Prädikate, die sich wohl auf eher intime Vorzüge beziehen und deshalb geschwärzt wurden. Man stelle sich vor: Der arme Tropf sitzt an einem Dienstag im saukalten New Yorker Jänner um 23.34 Uhr im Büro, sein Girl ist fünf Milliarden Kilometer weit weg, die einzige Verbindung ein Blackberry. So ein Hundeleben!
„Es gibt keine großen Rollen“, sagt meine Freundin L., „nur kleine Schauspieler.“ Die Rolle als Teschek vom Dienst macht Tourre keiner streitig. Für jene als Fratze des Raubtierkapitalismus ist er aber zu klein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2010)