Pullover zum Fürchten

Dieses ästhetische Kleidungsstück heißt „The Night Before“ und stammt von der britischen Firma Cheesy Christmas Sweater.
Dieses ästhetische Kleidungsstück heißt „The Night Before“ und stammt von der britischen Firma Cheesy Christmas Sweater.(c) cheesychristmassweater.com
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Warum manche Menschen gerade unter dem Christbaum nicht schön sein wollen und wie es die hässlichen Weihnachtspullover nach Österreich geschafft haben.

An Weihnachten scheiden sich bekanntlich die Geister. Die einen können dem dickbauchigen, weißbärtigen Santa Claus aus Übersee genauso etwas abgewinnen wie elektrischen Lichterketten oder gefüllten Socken über dem Kamin. Für die anderen kommen nur goldlockiges Christkind, handgeschnitzte Holzkrippe und echte oder gar nur naturbelassene Wachskerzen auf dem Christbaum infrage. Für Letztere, die Traditionalisten unter Ihnen, wird sich das, was jetzt folgt, vermutlich wie Folter anhören.

Dabei wäre es zu viel, von einem echten Trend zu sprechen. Doch spätestens seit dem Vorjahr sind sie auch bei uns nicht mehr zu übersehen, die sogenannten Ugly Christmas Sweaters. Oder anders gesagt: Ästhetisch sehr fragwürdige Winterpullover mit Weihnachtsmotiven sind gerade in Mode. Die Pullover in wilden Farb- und Mustermischungen, mit Motiven von Schneemann und Rentier bis zu Katze und Einhorn (den Hit-Tieren des Internets) oder mit Sprüchen wie „Single & Ready to Jingle“ oder „Ho ho holy Shit“ werden von ihren Käufern allerdings nur mit gebotener Ironie getragen. Ein Ugly Christmas Sweater ist ein Statement unter dem Christbaum. Wobei es dann offenbar doch zu wenig Anlässe gibt, einen solchen Ironie-Sweater auszuführen, denn in den USA lädt man seit den frühen 2000er-Jahren gern zu sogenannten Ugly Sweater Parties. So überhaupt noch Zeit für eine weitere Mottofeier vor, nach oder zwischen Halloween und Thanksgiving bleibt. 

Hässlich in Wien

Clemens Steinmüller, Ko-Geschäftsführer des in Wien stationierten Verlags Plastic Media („Indie Magazine“) und der Agentur Heroes & Heroines, kann der schrägen Pullovermode nicht nur etwas abgewinnen, er war auch einer jener, der sie nach Österreich gebracht hat. Seit dem Vorjahr bietet er in seinem 2014 eröffneten Concept-Store Uppers & Downers in der Wiener Burggasse in der Adventzeit eine Auswahl an Ugly Christmas Sweaters an. Verkauft wird die bunt gemusterte Stoffware nicht nur im Geschäft, sondern auch bei einem eigenen Stand auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Spittelberg. Er kann damit leben, dass da manch eingefleischter Adventmarktstandler vor sich hin murmelt: „Ah, jetzt sind die Verrückten mit den depperten Pullis wieder da.“ Die Kunden freut das Angebot.

Steinmüller legt außerdem Wert darauf, dass er seine Ware bei den Pionieren des schrägen Trends besorgt. Das US-amerikanische Unternehmen Tipsy Elves hat bis heute eines der größten Sortimente in diesem Segment. Bekannt wurde es erst durch die Teilnahme an der Start-up-Reality-Show „Shark Tank“. Die ABC-Sendung ist eines der Vorbilder der Puls4-Show „2 Minuten, 2 Millionen“. Da wie dort buhlen Jungunternehmer um Interesse und Geld von Investoren. Die Tipsy Elves traten zwei Jahre nach ihrer Gründung, im Dezember 2013, in der Show auf und wurden mit 100.000 Dollar gefördert. Das Geld gab den Anstoß für ihren heutigen Erfolg. In den zwei darauffolgenden Jahren haben sie ihre erste Million Dollar Umsatz gemacht.

Wobei man sagen muss, dass die Tipsy Elves nicht die Erfinder dieses seltsamen Weihnachtstrends waren. Das „Time Magazine“ widmete den Ugly Sweaters schon 2011 eine kleine Ode und ortete deren Geburtsstunde irgendwann im Jahr 2001. Im Kino lief da gerade die Hollywood-Romanze „Bridget Jones“; ein tannengrüner Pullover mit überdimensionalem Elchkopf hatte darin – getragen vom damals noch glücklosen Mark Darcy (gespielt von Colin Firth) – einen wichtigen Auftritt. Doch wer wirklich als Erstes die alten Wollpullover mit fragwürdigen Motiven aus den 1970er- und 1980er-Jahren, die die Eltern noch ohne Ironie trugen, aus dem Keller holte und wieder anzog, lässt sich schwer sagen. Der Mut zur Hässlichkeit in der Mode ist im Grund kein neuer Modetrend. Das haben auch schon einige Ausläufer des Normcore (Abkürzung für Hardcore normal) gezeigt. Außerdem hat die Hipsterkultur die Ironie zurück in den Kleiderschrank gebracht.


Zuerst Metallica, dann Beyoncé. Der Ugly Christmas Sweater ist für Millennials, also für junge Erwachsene unter 30, so etwas wie das symbolisierte Weihnachtskränzchen bei der schrägen Großtante. Der Sonntagsbesuch bei ihr ist alles andere als angenehm, aber bei den Eltern dagegen rebellieren, noch dazu rund um Weihnachten, trauen sich die Jungen dann doch nicht. Also lassen sie die paar Stunden, in denen Tee getrunken, Kekse gegessen und alten Geschichten gelauscht wird, irgendwie über sich ergehen. Der Ugly Christmas Sweater schreit förmlich: „Ich hasse Weihnachten, aber ich kann es nicht ignorieren.“

Die Ironiepullover sind längst an vielen Stellen erhältlich. Zuerst waren es Metall- und Rockbands wie Metallica oder die Foo Fighters, die auch hässliche Weihnachtsexemplare in ihr Artikelsortiment aufnahmen. Dann zogen die Merchandise-Abteilungen von Film- oder Seriengroßproduktionen wie „Game of Thrones“ oder „Star Wars“ nach. Dass Weihnachten grundsätzlich gar nichts mit ihrer Geschichte zu tun hat? Geschenkt.

Late-Night-Talker Jimmy Fallon hat ebenso einen Anteil daran, dass sich die Ugly Christmas Sweaters weiterverbreitet haben, wie Sängerin Beyoncé. Sie trägt die Teile nicht nur gern, sondern produziert sie auch in ihrer eigenen Modelinie. Wobei man an ihren „I Sleigh All Day“-Pullovern (so viel wie „Ich fahr den ganzen Tag Schlitten“) erkennen kann, wie schwer es der Dame fällt, etwas Unschönes anzubieten. Abgesehen von der Farbe (Ketchuprot) sind die Kapuzenpullover schon wieder richtig schön.

Ach ja, Fallon. Er hat in seiner Sendung bereits vor einigen Jahren die Schiene „The 12 Days of Christmas Sweaters“ eingebaut, die wiederum eine MTV-Teenager-Dokureihe persiflieren sollte. Und so dreht es sich immer munter weiter, das popkulturelle Zitatekarussell.

Den jüngsten Ugly-Christmas-Sweater-Boom hat im Vorjahr Schauspieler Seth Rogen in seiner Weihnachtskomödie „The Night Before“ (deutscher Titel: „Die Highligen Drei Könige“) ausgelöst. Darin trug er als Hauptfigur Isaac Greenberg einen Ugly Sweater, allerdings abgewandelt auf das jüdische Lichterfest Hanukkah mit einem riesengroßen Davidstern. Auch diese eindeutig ironische Geste wurde zum Erfolg. Pulloverfabrikant Tipsy Elves hat die Hanukkah-Version aus dem Film natürlich sofort in ihr Sortiment aufgenommen. Das Trendfeuer muss schließlich warmgehalten werden.

Ugly Sweater

Urheber unbekannt. Zuerst waren die Winterpullover in ästhetisch fragwürdigen Versionen da, man denke an die 1970er- und 80er-Jahre. 30 Jahre später kehrten sie als ironische Statements zurück. Wer genau damit begonnen hat, die hässlichen Weihnachtspullover wieder auszugraben, bleibt offen.

In Österreich bekommt man Ugly Christmas Sweaters unter anderem im Concept Store Uppers & Downers, Burggasse 46 (1070 Wien) oder auf dem Adventmarkt auf dem Spittelberg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2016)

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