Urwald-Tirol: "I bin a Peruaner"

(c) REUTERS (ENRIQUE CASTRO-MENDIVIL)
  • Drucken

Tief im peruanischen Regenwald versteckt sich Pozuzo, eine österreichisch-deutsche Kolonie. Hier wird Schnitzel serviert und gejodelt. Doch nur noch wenige Junge pflegen alte Traditionen.

Die ersten Bananen reifen schon, auch die Kakaofrüchte kann man direkt von den Bäumen pflücken. Ein Kolibri schwirrt um eine Hibiskusblüte, die Luft ist angenehm warm. Das südamerikanische Idyll hier in Pozuzo, einem 1000-Seelen-Ort im peruanischen Regenwald, ist eigentlich perfekt.

„Wos mogsch du denn essn?“, hört man es auf einmal rufen. „A Schnitzl, bitte“, lautet die Antwort. Andrés Egg Gstir nimmt die Bestellung auf und verschwindet wieder in die Küche. Hier in seinem Restaurant gibt es Fleischlaibchen, Würstel und Wienerschnitzel. Als Beilage bekommt man frittierte Yucca, zum Dessert Banenstrudel. Die Speisekarte ist genauso wie der Ort selbst: Hier treffen zwei Welten aufeinander.

Pozuzo nennt sich die „einzige österreichisch-deutsche Kolonie der Welt“. 8000 Menschen leben insgesamt in der Gemeinde, rund 2000 davon stammen aus dem Alpenraum. Entstanden ist die Kolonie nach einer Idee der peruanischen Regierung in den 1850er-Jahren: Die fruchtbaren Gebiete des Regenwaldes sollten genutzt werden, doch dafür fehlten die Arbeitskräfte. Also schloss man einen Vertrag mit Baron Damian Freiherr von Schütz-Holzhausen, einem deutschen Forscher. Innerhalb von sechs Jahren sollten 10.000 katholische Bauern in das Gebiet einwandern. Auch für Österreicher war das Angebot verlockend: In Tirol konnten Bauern von der Landwirtschaft nicht mehr leben, die Industrialisierung raubte ihnen den Lebensunterhalt.


Zwei Jahre unterwegs. Das erste Schiff dockte im Jahre 1857 an. 300 Einwanderer waren an Bord, davon 180 aus Tirol. Doch ihre Ankunft war bei Weitem nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatten. Zwei Jahre lang mussten sie sich den Weg bis zu ihrer neuen Heimat, Pozuzo, bahnen. Zehn Jahre später kam ein zweites Schiff mit Österreichern und Deutschen an, danach zogen nur mehr vereinzelt Familien hierher.

Einer der ersten „Pozuziner“ war Andrés Eggs Ururgroßvater. Darauf ist der Restaurantbesitzer sichtlich stolz. Er packt ein Fotoalbum aus und zeigt Bilder aus seiner Kindheit, von seinen Eltern und den zwölf Geschwistern. „Hier haben wir gelebt, da bin ich zur Schule gegangen.“

Doch der Enthusiasmus lässt bereits eine Generation später nach: Seine Tochter Odi spricht bereits kein Deutsch mehr. Mit seiner Frau, einer Peruanerin, habe Egg immer Spanisch gesprochen. So habe auch seine Tochter nie die Sprache erlernt. „Die Jungen interessieren sich aber auch nicht mehr dafür. Der Dialekt wird aussterben.“ Er halte zwar sehr an den Traditionen fest, fühle sich auch nicht wirklich als Tiroler – in Europa war er überhaupt erst ein einziges Mal zu Besuch. „I bin a Peruaner“, meint Andrés Egg. Tatsächlich sieht man auffällig viele junge, blonde Menschen auf den Straßen. Dialekt spricht aber keiner von ihnen. „Nur die Älteren können das noch“, erzählt die 20-jährige Diana. Ihr Vater spreche zwar Deutsch, habe es ihr aber nicht beigebracht. Ob sie denn nicht einen Kurs machen wolle? „Vielleicht“, meint sie. Richtig interessiert scheint sie nicht. Warum auch? Sie identifiziert sich nicht mit der Tradition, das ist nicht ihre Welt.

Schuhplattler. Das versucht die Gemeinde nun zu ändern. Die Kinder lernen die Sprache in der Schule, ihre Uniform gleicht einer Tiroler Tracht. Sogar typische Tänze und Schuhplatteln werden, bei Interesse, gelehrt. „Dafür interessieren sich aber vielmehr die Kinder, die nicht von deutschsprachigen Familien abstammen“, erzählt Maria Egg, Andrés Schwester. Sie hat an diesem Abend ein Fest mitorganisiert, bei dem die Schüler auftreten sollen. „Es ist interessanter, neuer für sie.“

Als eine Gruppe von Mädchen in Dirndl und jungen Männern in Lederhosen auftaucht, wird gejodelt und getanzt. Mari Egg versucht mit solchen Veranstaltungen auch, die Tradition am Leben zu erhalten. Denn sie selbst habe auch einen Fehler gemacht: „Ich habe meiner Tochter nie Deutsch beigebracht“, erzählt sie. „Meine Ausrede war immer, dass mein Mann ohnehin auch nur Spanisch spricht.“ Es sei einfacher bequemer gewesen. Jetzt bereue sie es.


Wenige Touristen. Die Menschen, die noch Deutsch lernen, tun es auch für die Touristen. Sie hoffen darauf, dass die Ortschaft bekannter wird. Das Problem: Pozuzo ist nur schwer erreichbar. 14 Stunden dauert die Busfahrt von der peruanischen Hauptstadt Lima. Und die Straße, die die nächstgelegene Stadt Oxapampa mit Pozuzo verbindet, ist nur außerhalb der Regenzeit passierbar.

Verirrt sich doch ein Ausländer in die Ortschaft, nimmt Maria Egg ihn in einem ihrer Bungalows auf. Dazu gibt es eine kleine Tour durch das Gebiet bis zu ihrem Elternhaus – jenem, das auch ihr Bruder im Fotoalbum gern herzeigt.


Tiroler Baustil. Das alte, dunkle Holz und der Balkon erinnern stark an den Tiroler Baustil. Auch eine alte Ziehharmonika von ihren Vorfahren hat Maria Egg noch. „Spielen kann ich darauf allerdings nicht.“ Im Garten baut sie Salat, Kräuter und exotische Früchte an, daneben wachsen Bananenbäume. Wenige Meter daneben hat Egg auch ihre eigene Ananasplantage. „Auch damit haben unsere Vorfahren erst lernen müssen umzugehen.“

Ob sie denn daran denken würde, nach Europa zu ziehen? „Manchmal schon“, meint sie. Dann müsste sie ihre peruanische Staatsbürgerschaft aufgeben. „Und das will ich nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.