Grönland: Endstation Eiskante, ohne Gewehr

Der Winter ist die attraktivste Jahreszeit im ostgrönländischen Tasiilaq, Tageslicht gibt es auch am kürzesten Tag des Jahres (21. 12.) fast fünf Stunden, Zeit genug, sich im Schnee und auf dem Eis auszutoben.
Der Winter ist die attraktivste Jahreszeit im ostgrönländischen Tasiilaq, Tageslicht gibt es auch am kürzesten Tag des Jahres (21. 12.) fast fünf Stunden, Zeit genug, sich im Schnee und auf dem Eis auszutoben.(c) Martin Wein
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An der Ostküste der Insel verkauft ein Deutscher Briefmarken in alle Welt. Ein Inuit bewahrt an der Schleifmaschine arbeitend sein kulturelles Erbe, und was die Eisbären unten auf dem Eis treiben, weiß eigentlich keiner so genau.

Tasiilaq war eine bescheuerte Idee. Wer im langen Winter mit Schneeschuhen und etwas Ausdauer die 679 Höhenmeter über einen steilen Sattel auf den Hausberg Qaqqartivakajik steigt, der sieht tief unter sich die Holzhäuser des Dorfs als Ansammlung winziger bunter Punkte in einer endlosen Wildnis schrundiger Felswände, tief eingeschnittener Fjorde und verkeilter Eisberge und -schollen auf der Ammassalik-Insel vor der Ostküste Grönlands liegen. Die enge Hafenzufahrt ist nur von Juni bis November eisfrei. 625 Kilometer Luftlinie trennen Tasiilaq vom nächsten Flughafen in Islands Hauptstadt Reykjavík. Propellermaschinen starten dort dreimal pro Woche, falls der häufig heftige Wind, Nebel und Schneefall es zulassen und der Flugplatz auf der Nachbarinsel Kulusuk mit dem Hubschrauber aus Tasiilaq überhaupt erreichbar ist.

Selbst den Inuit war die unwirtliche Ostküste über Jahrhunderte zu lebensfeindlich, nur ein paar Hundert streiften die durch Pack- und Treibeis hermetisch abgeriegelte Küste entlang. Doch im 19. Jahrhundert waren weiße Flecken auf der Weltkarte für die Nationalstaaten ein unhaltbarer Zustand. Aus Angst vor anderen Interessenten ließ Dänemarks Kolonialregierung 1894 am König-Oscar-Havn eine Handelsstation errichten. Strukturschwaches Gebiet nennt man so etwas – oder eben eine bescheuerte Idee, allerdings mit kolossaler Aussicht. Heute ist Tasiilaq für ostgrönländische Verhältnisse so etwas wie eine Boomtown. Die zwei Supermärkte, das Krankenhaus, die Schule, das Sporthaus und die Pizzeria werden in den noch viel kleineren Dörfern ringsum geschätzt, viele Familien lockt es von dort an die Hänge des Qaqqartivakajik. Sogar einen kleinen Schlepplift für Skifahrer gibt es hier.

In den letzten Jahren ist die Bevölkerung um 300 auf 2100 Einwohner angestiegen. Auch Volker Nitschmann hat sich hier niedergelassen. Der Software-Entwickler aus Deutschland kam vor Jahren als Tourist hierher. Dann wurde er für einen Sommer Reiseleiter für einen deutschen Veranstalter. Schließlich übersiedelte Nitschmann ganz. „Mich hat gereizt, den Lauf der Jahreszeiten viel intensiver zu erleben als in Deutschland“, sagt der 44-Jährige. „Hier kann man den Winter noch auf der Haut fühlen. Wenn ein Piteraq aufzieht, ein ablandiger Eissturm, wie es ihn in dieser Stärke nur hier gibt, schwebt man draußen in Lebensgefahr.“

Grönländische Sonderbriefmarken

Seit drei Jahren sorgt Nitschmann im Auftrag der grönländischen Post mit dafür, dass im Osten der größten Insel der Welt so etwas wie Exportwirtschaft existiert: Die Filatelia verkauft Sonderbriefmarken in alle Welt. 6000 Abonnenten gibt es weltweit und mehr als 10.000 Kunden jährlich, die die dreimal im Jahr aufgelegten Markensets oder Einzelmarken mit nordischen Tieren, traditioneller Kleidung oder Weihnachtsmotiven bestellen. Um ein Gefühl für die Größe der Natur Ostgrönlands zu bekommen, empfiehlt Volker Nitschmann einen Ausflug nach Kuummiut, etwa 40 Kilometer weiter nördlich. Die Siedlung liegt viel geschützter und war früher der Siedlungsschwerpunkt. Heute leben dort noch etwa 300 Menschen vom Fischfang und der Jagd. Da der einzige Hubschrauber der Region wegen Sturms vier Tage lang nicht fliegt, bringt Ulrich, ein Inuit, die Gäste auf seinem Schneemobil samt Pulka über einen verschneiten, fast 1000 Meter hohen Pass in das Dorf.

Eher mehr als weniger Eisbären

Winkende Kinder mit bunten Plastikschlitten empfangen die Ankömmlinge mit ein paar Brocken Englisch. Ein Däne stellt seine Hütte zur Verfügung. Fließendes Wasser gibt es nur an einigen blauen Brunnenhäusern. Die wenigen Leitungen müssen teuer mit dem Dieselaggregat beheizt werden. Die Toilette hat einen Schlauchbeutel, den man tunlichst alle drei Tage wechselt, soll das fragile Konstrukt nicht platzen. Duschen und Waschmaschinen gibt es im Gemeinschaftshaus, die Wäsche trocknet draußen neben Fellen von Eisbären. Wie viele es hier gibt, wüssten auch Christina und Peter aus Seattle gern, die für ein Forschungsprojekt im Auftrag der autonomen Inselregierung seit vier Wochen in Kuumiut ausharren und zwischendurch auf einen Plausch vorbeischauen. Mit Sendern und Zählungen wollen sie herausfinden, wie sich die Bestände an der Ostküste, seit alters her ein Eisbärenland, entwickeln. 25 Bären dürfen die Jäger von Tasiilaq jährlich schießen, wenn die Raubtiere den Orten zu nahe kommen. Bislang glaubte man, das zunehmend schmelzende Meereis bringe sie in Bedrängnis. Doch in Tasiilaq glauben viele, dass die Bären eher mehr als weniger werden. „Es sind nicht nur vorbeiziehende Tiere“, sagt Christina. „Einige haben hier ihr Revier“.

Ihre Worte klingen nach, als Bootsführer Eli Ignatiuson die Gäste drei Tage später mit seinem Motorboot über den offenen Fjord zurück zur Flughafeninsel fährt. Fünf Kilometer vor dem Ziel geht aber gar nichts mehr. Eli Ignatiuson wendet das Boot und spricht aufgeregt in sein Funktelefon. Der Hafen ist vom Meereis blockiert. Beherzt rammt er das Boot schließlich auf die Eiskante. Hier sei Endstation. Aber wenn man Glück habe, komme in einer Stunde Mads mit seinem Hundeschlitten aus Kulusuk. Augenblicke später stehen zwei Reisetaschen und ein Rucksack gottverlassen auf der schwankenden Eisdecke. Der nächste Schneesturm ist zum Glück erst für den Abend angekündigt und ein Eisbär zumindest nicht zu sehen. Trotzdem wäre ein Luftgewehr sinnvoller als die Sondermarken im Gepäck. Eine Stunde später lenkt Mads mit seinem kleinen Sohn Asger an Bord sein Hundegespann an die Eiskante. Mads ist die Ruhe selbst: Vor der Abfahrt wolle er, wo man doch schon einmal da sei, noch seine Fangleinen kontrollieren. „Im Sturm wäre das nachher keine gute Idee.“

MIT HELI, SCHNEESCHUHEN, BOOTEN UND SNOWMOBILEN UNTERWEGS

Anreise: Air Iceland fliegt Kulusuk mehrmals wöchentlich in gut 1,5 Stunden vom Inlandsflughafen in Reykjavik an, Kosten ca. 800–1100 Euro. Eine Zwischenübernachtung in Reykjavik ist jeweils erforderlich. Es empfiehlt sich dringend, den Flug nach Island bei Air Iceland zu buchen, da die Airline auch bei wetterbedingten Verspätungen kostenlos umbucht. KEF–KUS–KEF 837 Euro (airiceland.is). VIE-KEF-VIE via CPH/MUC ab 725 Euro.


Hotel Angmagssalik: gemütlicher Aufenthaltsraum, gute Küche hoch über dem Ort gelegen, DZ mit Du/WC und Frühstück ca. 140 Euro.


Hotel Kulusuk: behagliche Zimmer mit Flughafentransfer EZ/F ca. 140 Euro, Info für beide Häuser: www.arcticwonder.com/hotels.


The Red House des Abenteurers Robert Peroni mit Restaurant. Einfaches DZ mit Frühstück ca. 110 Euro, www.the-red-house.com/de


Rumkommen: Vor Ort lassen sich einige schöne Wanderungen unternehmen, im Winter sind Schneeschuhe erforderlich. Nachbarorte erreicht man nur mit dem Heli von Air Greenland (begrenzte Kapazitäten, daher rechtzeitig buchen) www.airgreenland.com. Die Hotels und lokalen Touristenbüros vermitteln alternativ Bootstransfers und Fahrten mit Hundeschlitten.


Touren: Alle genannten Unterkünfte vermitteln Ausflüge in Nachbarorte mit dem Hundeschlitten oder Snowmobile (im Winter) bzw. mit Fischerbooten oder Flüge zu den Gletschern per Heli.


Informationen:www.eastgreenland.com


Compliance-Hinweis: Die Unterkünfte und Transfers der Reise wurden von Visit Greenland übernommen.

(Print-Ausgabe, 08.10.2016)

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