Hipsterzonen und Orte für den Dude

Brooklyn Botanical Garden
Brooklyn Botanical Garden(c) imago/robertharding (imago stock&people)
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In New York kann man wunderbar Rad fahren. Vor zehn Jahren hätte dieser Satz ungläubiges Kopfschütteln verursacht. Doch in den vergangenen Jahren wurden an die 600 Kilometer Fahrradweg geschaffen.

Nirgendwo wird so viel Rad gefahren wie in Brooklyn, dem Epizentrum der Hipness. Mit seinen 250 Quadratkilometern ist der Stadtteil viermal so groß wie Manhattan, und viele seiner Ecken sind tretend schneller zu erreichen als mit der Metro. Zunächst muss einmal ein Fahrrad her. Das entpuppt sich als leichte Übung. Zahlreiche Fahrradläden haben einen Verleih, oder man kauft sich ein Gebrauchtbike auf Craigslist. Schnell die Anzeigen auf der Website studiert, und schon eine Stunde später kann man das Damenrad für 90 Euro ein paar Straßen weiter abholen. Eines der blauen Citi Bikes, die überall in der Stadt stehen, lohnt sich dagegen nicht für längere Ausflüge. Zwar gibt es Dreitagespässe, doch auch diese beinhalten lediglich 30 Minuten am Stück. Wer ein Fahrrad länger behält, zahlt vier Dollar je angefangene 15 Minuten. Da ist das gebrauchte Rad ein richtiges Schnäppchen. Anfangs kann es einem im New Yorker Verkehr noch ein wenig mulmig zumute sein. Er hat etwas vom Dschungel – so als könnte hinter jedem Baum beziehungsweise jeder Straßenkreuzung etwas Gefährliches hervorspringen. Zum Glück führt die wohl schönste Sightseeing-Strecke Brooklyns überwiegend über separate Radwege, sodass man sich die Straße selten mit vorbeirasenden Autos teilen muss.

Immer am Wasser entlang

Gut fünf Meilen hat die Etappe von Williamsburg nach Red Hook. Start ist die Kent Avenue, NYC's erste straßenunabhängige zweispurige Fahrradstraße, die 2009 installiert wurde. Wo früher Autos in zwei Reihen parkten, muss man als Radfahrer heute nicht mehr auf der Hut sein. Vor allem die schnittig einparkenden Taxis, deren Türen oft unachtsam aufgerissen werden, stellen in New York die häufigste Unfallursache für Cyclisten dar. Die Amerikaner haben für diese Gefahr ein eigenes Wort: Dooring.

Wer dagegen nicht auf die Gefahren achten muss, dem bleibt Zeit, verträumt in der Gegend umherzuschauen. Aufmerksamkeit erwecken die für das alte New York typischen Industriebauten entlang der westlichen Flushing Avenue. Seit der Schließung der alten Schiffswerft Brooklyns werden diese hauptsächlich von Vertriebsunternehmen, aber auch einigen wenigen Künstlern genutzt. Dann geht die Fahrt weiter, rechts in Richtung Wasser und durch das Viertel Dumbo – das Kürzel steht für Down under the Manhattan Bridge Overpass – das nahtlos in den Brooklyn Bridge Park übergeht. Von hier aus hat man einen wunderbaren Blick auf alle drei Brücken: Brooklyn, Manhattan und Williamsburg Bridge. Passiert man die Brooklyn Heights Promenade, erhebt sich am rechten Horizont die mächtige Skyline von Downtown Manhattan. Bald darauf fällt der Blick auf Governors Island und die Freiheitsstatue. Mehr Ausblick gibt's einfach nicht.

Die Fahrt bis Red Hook dauert eine gute Stunde. Es ist eines der wenigen noch nicht völlig gentrifizierten Viertel Brooklyns. Das mag auch daran liegen, dass es keine Metroanbindung gibt. Stadtbusse tuckern in das einstige Hafen- und Industrieviertel, doch das kostet Zeit. Nicht selten ist man mit dem Fahrrad deutlich schneller am Ziel.

Auch wenn im Hafen keine Fischerboote, sondern nur Kreuzfahrtschiffe und Fähren einlaufen, ist die Van Brunt Street ein gutes Ziel für Lobster-Liebhaber. Der Hummer, der im Red Hook Lobster Pound serviert wird, wird jeden Morgen an der wilden Küste von Maine frisch gefangen. Der geräumige Laden ist am Wochenende gut gefüllt. Das Lobster Pound ist bei den New Yorkern beliebt. Emily, kirschroter Lippenstift, freundliches Lächeln, hat noch einen Tisch frei und empfiehlt den Klassiker: die Conneticut Lobster Roll. Dazu gibt es reichlich French Fries und Coleslaw, den typischen amerikanischen Krautsalat. Nicht gerade billig, das Sandwich, aber sehr gut.

Gut zum People Watching

Auf dem Rückweg gen Norden lohnt ein Abstecher zum Main Street Pebble Beach. Am kleinen Strand im Brooklyn Bridge Park lässt sich auf den großen Steinen wunderbar pausieren. Während über ihnen die Bahnen über die Manhattan Bridge rattern, versammelt sich eine große Hochzeitsgesellschaft mit offensichtlich schottischen Wurzeln, wie die Röcke der Herren verraten. Zurechtgemachte Damen stolpern freudig über den steinernen Strand. Um eine Genehmigung für die Zeremonie im Park zu erhalten, muss man lang warten. Da stört sich auch niemand daran, dass andere Paare samt Fotografen und Entourage durchs Bild laufen, um selbst Fotos vor der atemberaubenden Kulisse zwischen Brooklyn und Manhattan Bridge zu schießen. Alles vor den Augen fremder Neugieriger.

Überhaupt ist People Watching, wie die New Yorker sagen, etwas, was die Einheimischen lieben. Der beste Ort dafür sind die zahlreichen Ausstellungseröffnungen, die jedes Wochenende stattfinden – und oft der eigentliche Grund hinzugehen. So gibt es etwa in einer Galerie in Bushwick nicht nur Kunst aus der Bronx zu bestaunen, sondern auch die Rückkehr der 1990er-Jahre-Mode.

Satt gesehen an den modischen Ausschweifungen gibt es in Brooklyn auch hipsterfreie Zonen. Wie etwa im The Gutter, an der Grenze zwischen Greenpoint und Williamsburg. Die Bar mit Bowlingbahn und dem uncharmanten Namen ist ein Ort, an dem der Dude sich wohlfühlen würde: Retro- und Industriemix mit Flohmarktlampen und roten Ziegelwänden. Während im großen Pub-Bereich Craft Beer getrunken wird und in einem Nebenraum eine krachige Punkband auf ihre Instrumente eindrischt, geht man in den Gutter, um vor allem eines zu machen: bowlen. An den Bahnen herrscht regelrechte Picknickatmosphäre. Pizza und andere Snacks werden auf Pappteller verteilt, denn in den Gutter darf man sein Essen mitbringen. Gebowlt wird zudem analog. Die Computer aus den 70ern benutzt niemand, Punkte werden auf Papier notiert – oder eben auch nicht. „Just for the fun of it“, sagen die Leute.

Food-Park und Kult-Spelunke

Auch wenn die Nacht kurz war, ist der zeitige Aufbruch in Richtung Prospect Park schnell vergessen. Der 1867 eröffnete und zweieinhalb Quadratkilometer große Park ist ein Traum für eine Radtour und für die Großstadtlunge. Sieben Stadtteile umgeben den zauberhaften Park, der einen großen See, Wiesen, ein Picknickhaus und sogar ein Naturschutzgebiet samt Zoo birgt. Die zahlreichen Sportanlagen werden von den New Yorkern zum Baseball- und Basketballspielen bevölkert. An Wochenenden und Feiertagen ist das Parkgebiet neuerdings komplett autofrei. Dann übernehmen Jogger, Spaziergänger und Radfahrer die mehrspurige Einbahnstraße. Letztere sollten sich auch an autofreien Tagen an die Regelung halten, nicht selten werden Verkehrsrowdys durch andere Radfahrer zurechtgewiesen.

Zum Breeze Hill, rechts des Sees im Prospect Park, steuern bei solchen Gelegenheiten wie dem „Smorgasburg“ – jeden Sonntag von April bis Ende Oktober – Hungrige in Scharen. Der Geruch von Gegrilltem weist den Weg, noch bevor das Auge Schirme, Pavillons und Foodtrucks erblickt. 100 Stände und Foodtrucks machen die Entscheidung schwer, denn am liebsten würde man den Pulled Pork Burger, dessen vegane Version, die flambierten Wachteleier am Stock und frisch aufgeschlagene grüne Kokosnüsse auf einmal bestellen. Alles wird frisch zubereitet. Touristen verirren sich nicht so viele her.

Die sind auch in der Charleston Bar überschaubar. In der berühmten Bedford Avenue befindet sich die nicht weniger berühmte Spelunke. In einer Ecke, in der Läden und Bars mit der Mode kommen und mit ihr auch wieder verschwinden, steht sie seit 1933. Ein Trinkloch ohne Schickimicki, eine schäbig-schöne Institution, die Williamsburg-Hipstern und Seniorenpaaren eine Koexistenz möglich macht wie eine ökologische Nische mit auffälliger Artenvielfalt. Das Tageslicht hat hier keine Chance, und so kann sich die Happy Hour problemlos von Mittag bis 20 Uhr erstrecken. Diese kommt allerdings recht harmlos daher: Zu jedem Drink gibt es eine kleine Pizza. Der Barkeeper schiebt das Pale Ale und den roten Bon über die Theke. „Die Pizza gibt es dort drüben“, sagt er und deutet mit einer saloppen Handbewegung in Richtung des Pizzabäckers, der erwartungsvoll durch seine direkt in die Bar reichende Küchendurchreiche lugt. Ein perfekter Ort, um ein Wochenende in Brooklyn ausklingen zu lassen – und das Rad nach ein paar Pizzas am Ende nach Hause zu schieben.

Fahrplan durch die Neighborhoods

1. Radspektakel: Beim Red Hook Crit, dem legendären New Yorker Radrennen, geht's gefährlich zu. Berühmt für seine spektakulären Crashs, wird dort auf Fixies (Eingangrädern ohne Bremsen) gefahren. Es treten professionelle Straßenfahrer, Fahrradkuriere und Fahrradcowboys über mehrere Runden gegeneinander an. 2008 erstmals in den Straßen Brooklyns ausgetragen, findet es auf dem Areal des Kreuzfahrthafens in Red Hook statt. Brooklyn Cruise Terminal/Red Hook, www.redhookcrit.com

2. Shopping:
Secondhand ist in New York noch schöner als in London und nicht teurer. Die New Yorker shoppen viel, leben aber meist in kleinen Apartments. Um wieder Platz für Neues zu schaffen, tragen sie ihre Sachen vor allem in einen Laden: „Beacon's Closet“, wo man sowohl Teile von Designern wie Alexander Wang als auch Vintageschätze findet. Was hier täglich in die Regale kommt, wird vorab ganz penibel begutachtet. 74 Guernsey St, Brooklyn, www.beaconscloset.com

3. Grünzone: Eine richtige naturwissenschaftliche Attraktion ist der botanische Garten in Brooklyn. Er beherbergt fast 30 Gärten, darunter einen japanischen Garten, den Cranford Rose Garden mit der drittgrößten Rosensammlung der USA, Orchideen und ein Bonsai-Museum. Doch am schönsten ist es im Frühjahr, wenn die Cherry Blossoms der 200 Kirschbäume erblühen und alles in eine japanische Märchenwelt verwandeln. 990 Washington Ave, Brooklyn.

4. Tour mit Locals:
Wer New York durch die Augen eines Einheimischen kennenlernen möchte, bucht eine Tour mit einem der Ehrenamtlichen von Big Apple Greeter. Man kann sich das Viertel aussuchen. Man sollte lediglich spätestens drei Wochen vorher anfragen. Die Tour ist kostenlos, eine Spende an die Organisation jedoch Ehrensache. www.bigapplegreeter.org

5. Beachlife: New York ist eine Stadt der Inseln. Keine amerikanische Stadt hat so viele lange Stadtstrände. Was bei keinem NYC-Besuch fehlen darf, ist ein Tag in Coney Island. Die berühmte Strandpromenade, die Achterbahn Cyclone, aber auch der Teil Brighton Beach mit dem russischen Viertel lohnen. Die Meerjungfrauen-Parade im Juni, zu der Tausende strömen, ist ein Spaß für die ganze Familie. www.coneyisland.com

6. Biergenuss:
In Brooklyn findet man viele Mikrobrauereien. Ein Vorreiter ist die Brooklyn Brewery, die sich vom Wohnzimmerexperiment zur renommierten Craft-Beer-Schmiede entwickelt hat. Jeden Samstag finden hier kostenlose Touren statt, die einen Blick hinter die Kulissen erlauben. Ein Bier-Tasting im Taproom ist wärmstens empfohlen, denn neben vielen Ales und anderen Spezialitäten gibt es saisonale Biersorten, die man eben nur hier bekommt. 79 North 11th Street, Williamsburg, Brooklyn,
www.brooklynbrewery.com


7. Vinyl kaufen:
Die Dependance des berühmten Londoner Plattenladens und Labels Rough Trade ist New Yorks größter Record-Store. Der Laden ist, getreu dem Motto, mehr als nur ein Plattenshop. Kaffeetrinken, Konzerte, Aktionen sind Konzept. 64 North 9th Street, Brooklyn, www.roughtradenyc.com


8. Stöbern:
Der New Yorker Flohmarkt schlechthin ist der Fort Greene Flea. Von April bis Ende Oktober warten 150 Stände rund um die 176 Lafayette Avenue darauf, nach Schätzen abgegrast zu werden. Wenn es in New York zu ungemütlich wird, wird der Flohmarkt in den Williamsburg Savings Bank Clocktower verlagert (1 Hanson Place/ Ecke Ashland Place).

9. Low Budget schlafen: Wer nichts über Airbnb bekommen hat und die meisten Hotels zu teuer findet, kann sich ins YMCA in Greenpoint einbuchen. Die Lage ist super, die Ausstattung der Zimmer ist simpel, es gibt jedoch eine Klimaanlage. Für alle, die wenig Zeit im Zimmer verbringen und ihr Geld lieber anderweitig investieren möchten. 99 Meserole Avenue, Greenpoint, Brooklyn, www.ymcanyc.org/association/guest-rooms

10. Chic übernachten:
In einem einstigen Fabriksgebäude aus dem Jahr 1901 liegt das Wythe Hotel an der Wasserseite Williamsburgs. Das Designhotel verbindet Industrie-Chic mit Vintage: Zimmer mit hohen Decken, rote Backsteinwände und riesige Sprossenfenster. Von der Rooftop-Bar gibt es einen wundervollen Blick auf den East River samt Manhattan. 80 Wythe Avenue, Brooklyn, www.wythehotel.com

11. Geheimtipp: Beim Ange Noir Café muss man nur durch die alte englische Telefonzelle gehen und landet dahinter in einem romantisch-gemütlichen Restaurant, das einem Film noir entsprungen sein könnte. Im Hell Phone, auf das weder ein Schild noch ein anderer Hinweis hindeutet, gibt's amerikanisch-französische Fusion-Cuisine, vegetarische und glutenfreie Optionen sowie hervorragende Drinks. 247 Varet St. (Bushwick), www.hellphonebrooklyn.com


12. Signature Cocktails:
Mit im Schnitt zehn bis zwölf Dollar sind die Cocktails im Topaz für New Yorker Verhältnisse günstig. Doch was in der Bar, die früher ein Fahrradshop war, geboten wird, beeindruckt echte Kenner. Neben Klassikern werden hier vor allem Signature-Cocktails wie der „Dead Man's Mask“ serviert: Mit schwarzem Kardamon durchzogener Bourbon, Zitrone, geräucherter Honig, Ananas, Totes-Meer-Salz. 251 Bushwick Avenue, Brooklyn, www.topaz.nyc

Zur Orientierung:
New York möchte Fahrradstadt werden und baut sein Radwegenetz stetig aus. Jedes Jahr bringt die Stadt die kostenlose NYC Bike Map heraus. Die Karte ist in jedem Fahrradladen erhältlich und digital: www.nycbikemaps.com

13. Kunst!
Die New Yorker Underground-Pop-Art-Szene stellt in der MF Gallery aus. Sie ist in Brooklyns Viertel Boerum Hill ansässig. Zu Halloween gibt's eine tolle Art-Show. 213 Bond Street, Brooklyn, www.mfgallery.net


14. Retrotorte:
In der Konditorei aus den 1950er-Jahren ist die Zeit stehen geblieben, inmitten der neuen, hippen und oft völlig überteuerten Cupcake-Manufakturen ist Peter Pans Bakery eine Institution. Hier wird selbst gebacken, die Auswahl an kleinen süßen Cakes und Donuts ist groß. Die Konditorei liegt in Greenpoint, dem ehemaligen polnischen Arbeiterviertel, das allein einen Spaziergang lohnt. 727 Manhattan Avenue, Greenpoint, Brooklyn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2017)

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