Griechenland

Anafotika: Ein Dorf, von Zeus unter die Akropolis gebeamt

Aufgebaut, so wie sie es von ihrer Heimat in den Kykladen kannten: Bürger von Anafi bauten ihr Dorf unter der Akropolis.
Aufgebaut, so wie sie es von ihrer Heimat in den Kykladen kannten: Bürger von Anafi bauten ihr Dorf unter der Akropolis.(c) imago/Pacific Press Agency (imago stock&people)
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Wie aus einer anderen Zeit liegt ein weißes Inseldorf mitten in Athen.

Sotiris wartet an der Laterne des Diogenes. Das Monument des Lysikrates steht in einem Garten – mit ein paar Bänken und Büschen zu klein, um schon ein Park zu sein. Wir umrunden den sechssäuligen Monopteros, einen Rundbau aus Marmor vom nahen Penteli-Berg, der Lysikrates' Sieg im Sängerwettstreit 335 vor Christus feiert. Denn es war sein Knabenchor, der bei den Festspielen zu Ehren von Dionysos am schönsten sang und Chorleiter Lysikrates den vergoldeten Bronzedreifuß bescherte.

Sotiris winkt herüber, „Hello!“ und springt behände von der Bank auf, sodass die auf dem Monument dösenden Katzen verwundert in die Morgensonne blinzeln. Wir ziehen los, am Café Diogenes vorbei die Epimenidou-Gasse ein paar Schritte hinauf und stehen bereits vor dem Fels der Akropolis. Über Kopf quasi sitzt das Parthenon auf seinem gewichtigen Fundament. Doch hier, zu Füßen des weltbekannten Bauwerks, liegt auf dem Osthang eine architektonische Besonderheit – und die will der Athener Stadtführer Sotiris Fragkidis interessierten Stadtwanderern zeigen.

Ein Werk der Kykladen

An der Kirche Agios Georgios führen Stufen hinauf und hinein in Gassen mit kubischen kleinen Häuschen und noch kleineren Gärten. Bougainvilleen blühen rosa und purpurfarben, und der Schmetterlingsflieder steht in schönstem Lila. Mitunter besteht der Garten nur aus ein paar Blumentöpfen, die bunt gestrichen neben die Haustür platziert wurden, dazu ein Tischchen und ein Stuhl. Das ganze Dorf strahlt hell weiß. Dorf? Wir sind doch mitten in Athen! Und doch wirkt das idyllische Gassenviertel mehr wie eine kleine Gemeinde denn als Teil einer Vier-Millionen-Einwohner-Metropole. Ja, Anafiotika sieht aus wie das Dorf einer Kykladeninsel, von Zeus in die Moderne gebeamt und in der Großstadt gelandet.

Dieses besondere Viertel wurde von Handwerkern der Insel Anafi, die zu den Kykladen gehört, errichtet. Nachdem der in Salzburg geborene Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach als König Otto die Regentschaft von Griechenland übernahm, verlegte er 1834 die damalige Hauptstadt, Nafplion, nach Athen, und eine rege Bautätigkeit setzte ein. „Am Fuß der Akropolis, durch seine steile Hanglage nicht als Wohngebiet vorgesehen, ließen sich hier die Handwerker nieder, die damals von den Kykladen und insbesondere aus Anafi kamen“, erzählt Sotiris, der Welterfahrene.

Hoffnung auf Denkmalschutz

Als in Alexandria gebürtiger Grieche kam Sotiris als Steward der Olympic Airways viel herum, zwischen den Inseln und in der Welt, er lernte seinen Chef, den griechischen Reeder Aristoteles Onassis, persönlich kennen und führt heute im Ruhestand Besucher durch seine Heimat – und gern nach Anafiotika hinauf. „Die Handwerker aus Anafi bauten sich also ihr Zuhause in der Fremde auf, so wie sie es aus der Heimat kannten.“

Die Siedlung hatte, wie damals üblich, keine Baugenehmigung. Daher mussten bislang 27 Häuser abgerissen werden. Die verbliebenen Einwohner kämpfen für den Erhalt der einfachen Häuschen und für ihr Wohnrecht in einem der ältesten Stadtviertel von Athen: Anafiotika soll mit den noch verbliebenen knapp fünfzig Häusern gänzlich unter Denkmalschutz gestellt werden.

Wir bummeln weiter, folgen den Wäscheleinen, die sich vor weiß gekalkten Hausmauern ziehen, bewundern die blauen Haustüren und die malerischen roten Fensterrahmen. Auch die Tür von Anafiotika 39 ist im typischen Kykladen-Blau des Meers gestrichen. Ein paar Meter weiter räkelt sich eine Katze auf dem Marmorgartentisch. Sie wohnt im Haus Anafiotika 41. Hier haben die Gassen keine Namen, nur die Häuschen tragen aufwärtszählend eine Nummer – in dem kleinen Dorf in der großen Stadt.

ATHEN, DÖRFLICH

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2018)

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