Tirol: Steiler als die Straße steigt nur die Pulskurve

Radrouten führen über Almen, auf denen sich Kühe frei bewegen.
Radrouten führen über Almen, auf denen sich Kühe frei bewegen.(c) Benedikt Kommenda
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Passend zur Radweltmeisterschaft im September können auch Hobbyradler sich auf den Bergen und dazwischen im Sattel austoben.

Man könnte sich wie James Bond fühlen. Tatsächlich aber kommt man sich eher vor wie ein alter Citroën 2CV, der bei der hochtourigen Fahrt auf einen Pass ein paar Mal zum Abkühlen in eine Pannenbucht ausweichen muss. Nur dass es, wenn man mit ähnlichem Baujahr auf dem Fahrrad einen Berg erklimmt, weniger um die Temperatur als einfach ums Luftholen geht.

Denn auf der Ötztaler Gletscherstraße, entlang derer 2015 der 007-Film „Spectre“ gedreht wurde, wird die Luft zwar kühler, aber auch merklich dünner, je mehr man sich dem Höhepunkt nähert. Dieser liegt beim Rettenbachferner auf 2798,16 Metern Höhe und ist, wie es oben auf der stilisierten metallenen Bergkulisse heißt, der höchste Straßenpunkt Europas.

1400 Höhenmeter auf 14 km

Auch wenn man diesen Superlativ nicht allzu wörtlich nehmen sollte – er wird schon ein paar Hundert Meter weiter durch die Straße zum Tiefenbachferner widerlegt, zu dem man durch einen Tunnel auf 2830Metern kommt: Selbst Rennradprofis haben Respekt vor der Strecke, die von Sölden aus über 14Kilometer verteilt rund 1400 Meter in die Höhe führt. Der frühere deutsche Radrennfahrer Jan Ullrich soll den Anstieg einmal „Tierquälerei“ genannt haben.

Im kommenden September, wenn die UCI-Straßenrad-WM in Tirol Station macht, steht die Ötztaler Gletscherstraße aber nicht auf dem Streckenplan. Stattdessen führen von den Startorten Ötztal, Hall-Wattens, Alpbachtal Seenland und Kufstein verschiedene Routen zum Ziel in der Landeshauptstadt Innsbruck. Die Elite der Herren wird am 30. September, dem letzten Tag der WM, von Kufstein in Richtung Innsbruck fahren und sich sieben Mal auf der Olympiarunde südlich der Stadt über Igls und dann noch zum Abschluss im Norden durch die „Höttinger Höll“ mit einer maximalen Steigung von sagenhaften 28Prozent quälen. Macht alles zusammen 258,5 Kilometer und 4670 Höhenmeter.

Doch auch Hobbysportlern bietet Tirol viele Möglichkeiten, sich auf den Bergen und in den Tälern dazwischen auszutoben. Die Auffahrt in Sölden beginnt nahe dem Feuerwehrhaus gleich einmal mit einer der stärksten Steigungen. Eine gute Gelegenheit, nochmals zu überlegen, ob man die Herausforderung annimmt. Steiler als die Straße steigt nur die Pulskurve. Was hilft, ist, eine möglichst geringe Übersetzung in der Kettenschaltung zu haben, bei gleicher Geschwindigkeit also schneller treten zu können. Bei den gängigen Konfigurationen bedeutet das vorn ein kleines Kettenblatt mit 34 Zähnen und hinten das größte Ritzel mit 32. Das ist bei dauerhaft zehn Prozent Steigung zwar anstrengend genug, doch erfahrene Tiroler Bergfahrer – und in Tirol gibt es topografisch bedingt nur Bergfahrer – begnügen sich mit noch anstrengenderen 28 Zähnen hinten.

So auch mein deutlich sportlicherer Begleiter Dominic Kuen, ein gelernter Tischler, der umge(fahrrad)sattelt hat: auf die Leitung des Organisationskomitees zum legendären Ötztaler Radmarathon, der heuer am 2. September stattfindet. Es ist ein respektgebietendes Rennen mit 238Kilometern Länge und 5500 Höhenmetern über vier Pässe, darunter das Timmelsjoch (2509m). Hobbyrennradfahrer aus dem In- und Ausland reißen sich darum: Die 4000 Startplätze sind derart stark gefragt, dass sie nur per Los unter den Angemeldeten verteilt werden können.

Zurück auf die vergleichsweise harmlose Ötztaler Gletscherstraße. Kuen lässt mir geduldig meine „Fotostopps“, die ich atemlos und öfter als zum Fotografieren eigentlich nötig einlege. Die Kulisse wird aber, vor allem nach der Mautstation und über der Baumgrenze, tatsächlich von Kehre zu Kehre imposanter, bis endlich der Gletscher direkt vor uns liegt. Dass die im Jahr 1972 erbaute Straße hier heraufführt, hat wesentlich zum Erfolg Söldens beigetragen: nicht bloß, weil vier Jahrzehnte später Dutzende Lkw tonnenweise Ausrüstung für die „James Bond“-Dreharbeiten zum Gipfel karren konnten (seit Kurzem kann man oben im Gaislachkogel die cineastische Installation „007Elements“ besuchen), vielmehr hat sie erst ermöglicht, dass auf dem Gletscher Skiweltcuprennen ausgetragen werden, und Sölden damit zu einer Topskidestination gemacht.

Runter ins Tal geht es naturgemäß viel schneller und bequemer als hinauf. Die anschließende Erholung im Wellnessbereich des Die Berge Lifestyle Hotel Sölden tut trotzdem gut, der Pool auf dem Dach des Hauses, von dem aus sich die nahen Hänge betrachten lassen, vermittelt das wohlige Gefühl, schwerelos zwischen den Bergen zu schweben. An der hölzernen Einrichtung des modernen Hotels hat übrigens Kuen noch als Tischler mitgearbeitet.

Um auch zwischen den Skisaisonen Gäste anzulocken, setzt Sölden als „Bike Republic“ ganz aufs Radfahren. Das Angebot reicht von–unterschiedlich schwierigen– Mountainbike-Singletrails auf den Abhängen westlich und östlich des Ferienorts über zwei „Pumptracks“ (möglichst ohne Treten nur durch Gewichtsverlagerung zu durchfahren) in dessen Mitte bis zum Ötztalradweg, der auch für Tourenradler gedacht ist.

Eine größere Auswahl an gemütlichen – und auch ausgedehnten – Touren erreicht man von einem anderen Tiroler Tal aus, dem Tannheimer Tal. Aus österreichischer Sicht ein Geheimtipp: Das Hochtal auf etwa 1100 Metern Höhe liegt im Nordwesten Tirols und ist – jenseits des Fernpasses – selbst für die große Mehrheit der Tiroler ziemlich abgeschieden. Und erst recht für andere Österreicher: Man erreicht Tannheim am besten aus und über Deutschland (zum Beispiel mit der Bahn über München nach Reutte). Die Besucherzahlen sprechen für sich: 85Prozent der Nächtigungen im Tannheimer Tal werden von Deutschen gebucht, nur mickrige zwei Prozent von Österreichern. Dank der A7, der längsten deutschen Autobahn, liegt Tannheim für viele Deutsche quasi vor der Haustür.

Das breit öffnende Hochtal wird von Wanderern – und im Winter von Langläufern – sehr geschätzt; ein Spaziergang zum malerischen Vilsalpsee ist nahezu Pflicht. Radfahrtechnisch besteht der größte Vorteil des Tannheimer Tals darin, dass man von ihm aus in alle vier Himmelsrichtungen radeln kann – und man es daher statt nur raus-rein auch für viele verschiedene Rundtouren nutzen kann. Das hat Michael Keller, ehemaliger Mountainbike-Bundestrainer Österreichs und mittlerweile Geschäftsführer des Tourismusverbandes Tannheimer Tal, schon vor Jahren zum Anlass genommen, ein Rad-Booklet für die Gegend aufzulegen: mit herausnehmbaren folierten Tourenblättern, die Karten und Beschreibungen von 22 Rennradtouren von leicht (mit 51,2 Kilometern und 370Höhenmetern) bis (sehr) schwer (mit 205,8 Kilometern und 2602Höhenmetern, u. a. über das herbe, 1894 Meter hohe Hahntenjoch). Die Strecken vermeiden allesamt nach Möglichkeit verkehrsreiche Straßen – dafür kann es passieren, dass man eine durch Weideroste gesicherte Alm durchfährt und einem dabei Kühe über den Weg laufen.

Ins sanft hügelige Bayern

Ein Mittelding mit knapp hundert Streckenkilometern und harmlosen Steigungen ist die Bannwaldsee-Runde. Sie führt von Tannheim vorbei am Haldensee bis ins sanft hügelige Bayern und dort zu den Königsschlössern Hohenschwangau und Neuschwanstein. Deren genauere Inspektion bleibt dem begeisterten und zahlreich vorhandenen asiatischen Publikum überlassen – Michael Keller muss seine extra große Fahrradklingel einsetzen, um vor Kollisionen zu warnen. Wesentlich ruhiger geht es im Hof des (echt-, nicht neo-)gotischen Hohen Schlosses Füssen zu, der wegen seiner Mauerwerk vortäuschenden Illusionsmalereien bekannt ist.

„Fährst du immer so einen schweren Gang?“, fragt mich unterwegs Michael Keller; der Fahrradroutinier rät zu einer höheren Drehzahl an der Kurbel, womit weniger Kraft und mehr Ausdauer trainiert wird. Das ist nicht jedermanns Sache; bei empfohlenen hundert Umdrehungen pro Minute kommt man auf dem Sattel leicht ins Hoppeln, wenn man keinen ganz runden Tritt hat.

Die Umrundung des Bannwaldsees lassen wir indes aus, weil sich für Nachmittag Schlechtwetter angekündigt hat. Der Regen erreicht uns tatsächlich erst wenige Hundert Meter vor der Rückkehr zum Startpunkt, dem Hotel Bognerhof. Dessen Chef, Hans Haider, ist ebenfalls ein begeisterter Rennradfahrer, das Haus ein radlerfreundliches „Roadbike Holiday Hotel“.

„Der Regen lässt die Muskeln schön glänzen“, scherzt Keller. Zu diesem Zeitpunkt haben wir bereits den letzten Anstieg hinter uns: jenen hinauf ins Hochtal, das wir schon bald nach dem Start verlassen haben. Es sind nicht einmal dreihundert Höhenmeter, aber die Kraft dafür sollte man sich aufheben. Denn gleichgültig, welche Runde man vom Tannheimer Tal aus angeht: Von dort aus geht es zu Beginn immer bergab, am Schluss also zwangsläufig bergauf.

BERG UND TAL

Rennrad, Touren- oder Mountainbike.Tirol bietet für alle Arten von Fahrrädern attraktive Strecken. Die Tirol Werbung hat auf einer Karte „die zehn aussichtsreichsten Rennradtouren für ambitionierte Bergfahrer“ (Great Rides) und „die fünf flowigsten Singletrails für abfahrtsorientierte Mountainbiker“ (Great Trails) zusammengestellt: www.tirol.at/reisefuehrer/sport/rennrad/greatrides bzw. /greattrails

Compliance-Hinweis:
Die Reise wurde von der Tirol Werbung unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2018)

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