Vorarlberg: Von Tür zu Tür, von Zürs nach Lech

Entlang des Grünen Rings, hoch über Zürs, Lech und Zug, verteilen sich Türen als Kunstinstallationen in der Landschaft.
Entlang des Grünen Rings, hoch über Zürs, Lech und Zug, verteilen sich Türen als Kunstinstallationen in der Landschaft.Lech Zürs Tourismus (Daniel Kocher)
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Nicht Behübschung, nicht Landschaftsmöblierung, sondern eine Kunstaktion. Zwischen Lech, Zürs und Zug stehen Türen in der Landschaft – an ganz besonderen Stellen der Wanderroute des Grünen Rings.

Einzelne Türen mitten in ein hochalpines Wandergebiet zu stellen: Die Idee hatte Daniel Nikolaus Kocher, ein Bildhauer aus Tirol und künstlerischer Leiter des Grünen Rings am Arlberg – einer anspruchsvollen Wanderroute zwischen Zürs, Lech und Zug. Neun Künstler aus fünf Nationen konnte er für das Projekt gewinnen, das nun im zweiten Jahr ist und heuer mit einem Anerkennungspreis des Tourismusforums Vorarlberg ausgezeichnet wurde. Um das Zusammenspiel von Kunst und Berg bei allen Objekten zu erleben, braucht es etwa drei Tagesetappen, die Strecke ist insgesamt 25 Kilometer lang. Interessant ist auch der Tagesausflug, wie ihn Kocher vorschlägt: Aufstieg zur blauen Tür oberhalb des Zürser Sees, ein idyllisches Gewässer, über das man im Winter ahnungslos mit Skiern hinweggleitet. Kocher hatten Türen schon lang fasziniert, dann konnte er weitere Künstler begeistern. Sie erhielten metallene Industrietüren, wobei sie die weißen Türblätter möglichst nicht als Leinwand betrachten sollten.

Als Metapher

Der Anstieg neben dem Zürserseelift ist recht schweißtreibend. Unten funkelt das dunkelgrüne Wasser, in dem sich die Berge spiegeln. Endlich ist der Grat erreicht, und etwas tiefer wird die blaue Tür des Südtirolers Christian Piffrader sichtbar. Dahinter öffnet sich eine weite Ebene, durch die steil aufragenden Felsen begrenzt. Die Tür ist beidseitig von Spionen durchlöchert, sodass sie aus jeder Höhe Ausblicke erlaubt. „Sie ist ein Symbol. Während man die Tür öffnet und schließt, wird einem bewusst, dass man einen Raum verlässt und einen neuen betritt. Es gibt ja Metaphern: Ich lasse mir alle Türen offen. Oder: Da hat sich mir eine Tür geöffnet“, erklärt Kocher. Leider ließ sich die Tür von Piffrader nicht mehr öffnen. Anzeichen von Vandalismus? Es fehlen Metallteile am Griff. Doch der Briefkasten in der Nähe ist intakt, wie eine Gruppe französischer Wanderer begeistert feststellt. Auch Kocher schreibt seiner kleinen Tochter eine Karte. Am Ende der Saison wird der Briefkasten geleert, und die Karten werden frankiert in alle Welt geschickt.

Lech Zürs Tourismus (Daniel Kocher)

Landschaft im Weitwinkel

Von hier könnte man bei entsprechender Kondition weiter zur Tür des Armeniers Hrachya Vardanyan wandern, die sich beim Madloch befindet: Öffnet man diese, wird eine kleine Hütte am Berg sichtbar. Vardanyan zeigt damit die rastlose Suche nach einem neuen Symbol für Heimat. Zwischen Stierlochkopf und Zuger Mittagsspitze erreicht man die Tür von Daniel Nikolaus Kocher selbst: Auf der einen Seite zeigt sie sich fröhlich bunt mit Briefkasten. Öffnet man sie, schaut man durch ein Gitter. Von der anderen Seite wird eine Gefängnistür sichtbar.

Von Lech aus erreicht man bequem mit der Rüfikopfbahn die Tür von Gottfried Bechtold. Der Vorarlberger, bekannt durch seinen Betonporsche vor dem Schloss in Karlsruhe und dem vergoldeten Baum vor dem Festspielhaus in Bregenz, hat sein Objekt mit zwei Spionen ausgestattet: Die Landschaft dahinter erscheint im Weitwinkel. „Eine Tür in der Natur ist ihrer angedachten Funktion enthoben. Die erste Idee war deshalb, nichts an ihr zu verändern. Dann kam mir diese Idee. Durch den extremen Weitwinkel blickt man völlig anders auf das Gebirge rundherum“, erklärt Bechtold. „Offen oder zu: Dadurch lassen sich auch menschliche Ereignisse, Bedürfnisse und Momente als Metapher darstellen.“

Nach einem viertelstündigen Fußweg leuchtet die Lieblingsfarbe Blau des St. Galler Künstlers Patrick Kaufmann auf. Für ihn ist die Natur Quelle der Inspiration. In seiner Arbeit finden sich Wellen, Wolkenbilder, Hügelzüge, Gebirgsketten: organische Formen, fließende Bewegungen. Der Standort seiner Tür auf der Passhöhe bietet dem Wanderer eine wild zerfurchte Karstlandschaft auf der einen Seite, einen lieblichen See auf der anderen. Je nach Standpunkt scheinen die weichen Formen auf dem Kunstwerk direkt in den Faltenwurf des dahinterliegenden Gebirges überzugehen, obwohl Kaufmann die Landschaft und den Standort vorher nie gesehen hat. Auf der anderen Seite der Tür arbeitete Kaufmann mit Spachtelmasse, Kaffeesatz und blauen Pigmenten, schichtweise aufgetragen. Das Bild tritt in einen Dialog mit dem wilden, steinigen Gelände.

Lech Zürs Tourismus (Daniel Kocher)

Große Fragen in der Natur

Wanderer haben von hier die Möglichkeit, weiter Richtung Zürs zu marschieren, wo sie auf die Tür des Tirolers Reinhold Neururer stoßen. Nach langem Hin und Her hatte er beschlossen, sich wieder seinem Thema „Internet und Vernetzung“ zu widmen. Er bedeckte seine Tür mit einer Platinenstruktur und schnitt viele Fenster hinein, hinter denen eine Nackte sichtbar wird. Er will damit aufzeigen, dass man Bilder, die man ins Internet stellt, nie wieder loswird. Er nennt es Spydoor: Spionentür.

Mit einer dritten Etappe, in der Nähe des Kriegerhorns, wäre die Tür von Andreas Koop, Designer aus dem Allgäu, zu erreichen. Er beschäftigt sich mit Freiheit: wie viel der Mensch erträgt, was der Gegensatz zum Freisein ist. In dieser Gegend befindet sich auch der Beitrag der Autorin Daniela Egger aus Bregenz. Sie setzte ihre Tür Wind und Wetter aus, so dass sie rostig wurde. Darauf schrieb sie: „Oben steht der Samurai und verneigt sich.“ Und weitere Zeilen aus ihrem Buch „Der Samurai am Kriegerhorn“, das sich mit Wandern am Grünen Ring beschäftigt. „Frech und witzig“ findet sie es, Kunstobjekte in den Bergen zwischen Lech und Zürs aufzustellen.

Lech Zürs Tourismus (Daniel Kocher)

Unter der Leitung der Grafikerin Martina Strolz haben auch Lecher Jugendliche eine Tür gestaltet, die ihnen einen digitalen Raum öffnet: Auf www.lech-heimat.at können sie ihre Hoffnungen, Ängste und Wünsche mitteilen. Sie sind wegen fehlender schulischer Ausbildungsmöglichkeiten gezwungen, ihre Heimat Lech in jungen Jahren zu verlassen. Berufsmöglichkeiten bietet ihnen allenfalls die Sparte Tourismus.

Der Grüne Ring ist ein Wanderweg, der immer wieder mit neuen Aktionen lebendig gehalten wird. Die Türen mit ihrer Symbolkraft tragen dazu bei. Ab Mitte Oktober, Ende der Sommersaison, gehen sie in den Winterschlaf zu ihren Türpaten. Doch im nächsten Jahr werden die Türen unter großer Kraftanstrengung wieder hinaufgetragen und befestigt. „Der Grüne Ring macht bescheiden“, sagt Daniel Kocher. Schließlich sollen die Türen danach weiterwandern. Wohin die Reise geht, steht noch nicht fest.

www.lech-zuers.at/tuere

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2018)

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