Afrika

Sudan: Ein "Schurkenstaat" zeigt sich von der besseren Seite

 Nubische Pyramiden haben zumeist einen steileren Neigungswinkel.
Nubische Pyramiden haben zumeist einen steileren Neigungswinkel. (c) imago/imagebroker (imago stock&people)
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Seit 2011 ist der Sudan geteilt. Der muslimische Norden ist ein Land, das bei Tauchern und Abenteurern mitunter auf dem Radar auftaucht. Eine Zeitreise zwischen Nil und Rotem Meer.

Kaum hat sich die Tür des Überlandbusses von Port Sudan nach Kassala geschlossen und Adam Hamid es sich auf einem Platz neben dem Busfahrer bequem gemacht, beginnt er schon, seine Rubaba aus ihrer Instrumentenhülle zu nehmen. Gemeinsam mit seinem älteren Freund Kamal Omar Adschadsch ist der 18-jährige Musiker auf dem Weg nach Gibet. Dort findet eine Graduiertenfeier von Studenten statt, die die Zweimannband gebucht haben. Die Straße ist wenig befahren, und so war es ein Zufall, dass unser Busfahrer, als er an einer Raststätte hielt, seinen alten Bekannten Adam stehen sah. Auch wenn der Bus bereits bis auf den letzten Platz belegt ist, zurückgelassen wird im Sudan niemand.

Ein kurzer Blick in die Runde, und schon entlockt Adam seiner Rubaba die ersten Töne. Zuerst spielt er zaghaft auf dem fünfsaitigen, einer Mischung aus Laute und Leier ähnelnden Instrument. Von Stück zu Stück entwickelt sich mehr Dynamik. Das dritte klingt plötzlich etwas verhaltener, und in einem Ritardandomoment setzt Kamal mit seinem trockenen Bariton ein. Auch wenn die Passagiere nicht unbedingt fit im Dialekt der Beja sind, ist sofort klar: Hier kann es sich nur um ein Liebeslied handeln – die Intonation lässt keinen anderen Schluss zu. Und in der Tat erzählt das Lied „Sabalal“ vom Leiden eines jungen Mannes, der sich nach seiner fernen Geliebten verzehrt. Der Gesang berührt, und die Zeit verrinnt im Fluge während sich die weite Ebene hinter dem Saum des Roten Meeres plötzlich zu wandeln beginnt. Die Fernstraße führt nun steil durch eine Klamm, die Agaba-Schlucht. Hier beginnt die Hochebene von Kassala. Nur wenig Vegetation begleitet das ausfransende Asphaltband, hauptsächlich vereinzelte Koloquinten, eine Kulturfolgepflanze, die auf frühere Spuren von Landwirtschaft verweist. Im Südosten ist die Grenze nach Eritrea nicht mehr weit.

Kassala und die Taka Mountains.
Kassala und die Taka Mountains. (c) imago/robertharding (imago stock&people)

Der Sudan ist erst seit Kurzem wieder auf der Tourismuslandkarte aufgetaucht. Vor der Jahrtausendwende gab es noch einen DuMont-Kunstreiseführer, aber die letzte Auflage von 1998 ist lang vergriffen. Damals umfasste der Band noch ein Land, das deutlich größer als der heutige Staat Sudan war. Mit der Abspaltung des Südsudan 2011 verlor das Land ein Viertel seiner Fläche und fast alle Erdölvorkommen. Während von Reisen in den christlichen Südsudan wegen des Bürgerkriegs dringend abgeraten wird, lassen sich im muslimischen Norden, im heutigen Staat Sudan, einige Regionen bereisen. Bei einer Fläche von 1.886.000 Quadratkilometern ist derSudan mehr als 22-mal so groß wie Österreich. Jedoch spielen sich über 90 Prozent des Tourismus an der Küste des Roten Meers ab, genauer gesagt an den Korallenriffen.

Stupende Artenvielfalt

Tauchtourismus ist der Fuß, den das Land in die Tür des internationalen Markts gestellt hat. Bislang bilden die Basis dafür jedoch nicht Tauchressorts am eigenen Strand, sondern zumeist von Ägypten aus betriebene Boote. Spricht man mit Tauchern, hört man immer wieder, dass sich Riffe und Meeresvegetation vor Port Sudan oder bei Sanganeb in einer Pracht zeigen, wie man sie aus Ägypten vor 30 Jahren kennt. Was dort durch Generationen von Tauchern zerstört wurde, präsentiert sich hier noch in einer Artenvielfalt, die sprachlos macht.

Einen ersten Blick in diese Unterwasserwelt werfen kann man bei einem Ausflug von Port Sudan zum Leuchtturm Sanganeb. Von der Anlegestelle nahe dem Fischmarkt der Hafenstadt bis zur Lagune des Leuchtturms, Zentrum des Meeresnationalparks Sanganeb-Atoll, sind es 21Kilometer. Dort forschen Studenten der Ozeanografie und erklären begeistert, welche Fische, Seesterne und Korallen sie zuletzt gesehen haben. Auf dem Rückweg nach Port Sudan sollte unbedingt ein Tauchstopp beim Wrack der Umbria eingeplant sein. 1940, im Zweiten Weltkrieg, war der italienische Frachter, bis unter das Deck beladen mit Militärfahrzeugen, Granaten und einer Bar-Espressomaschine, unterwegs zur Versorgung der Truppen in Ostafrika. Als die gegnerischen Engländer näherrückten, hat der Kapitän den Entschluss gefasst, die Umbria zu versenken, um zu verhindern, dass das Schiff mitsamt seiner militärischen Ladung in die Hände des Feindes fällt. Da liegt sie nun, wenige Meter unter der Wasseroberfläche. Ein Paradies für Wracktaucher, und vielleicht das schönste Geschenk Italiens zur Förderung des Tourismus im Osten Afrikas.

Sawakin
SawakinImago

Lang vor der Gründung von Port Sudan führte der Weg der afrikanischen Pilger nach Mekka über die Hafenstadt Sawakin. Bis zum Ende des Osmanischen Reichs ein blühender Handelsort, besteht Sawakin fast nur noch aus Trümmern. Das Gümrük Binasi, das Zollhaus aus osmanischer Zeit, wurde gerade von türkischen Archäologen aufwendig restauriert. Weitere Gebäude sollen in den kommenden Jahren rekonstruiert werden – und an die Zeit erinnern, in der dies der letzte Punkt auf afrikanischem Boden war, den die Pilger betreten haben, bevor sie sich zur arabischen Halbinsel aufgemacht haben. Zahlreiche Völker und Stämme siedelten auf dem Gebiet des Sudan; sowohl Handel als auch Pilgerfahrten nach Mekka sorgten dafür, dass es zum Austausch zwischen Bevölkerungsgruppen kam. Während zu englischer Kolonialzeit hier 350 Sprachen gesprochen wurden, sind es in der Zwischenzeit nur mehr 160.

Kassala am Fuß der Zuckerhut-artigen Taka-Berge ist nicht nur bekannt für einen der lebendigsten Märkte des Landes, sondern vor allem als religiöses Zentrum. Viele Tariqas, mystische muslimische Orden, haben hier ihren Sitz und Ursprung. Das vermutlich schönste Heiligtum ist die Moschee mit dem Heiligengrab des Khatmiyya-Ordens. Etwas außerhalb des quirligen Stadtzentrums präsentiert sich die Moschee, der im Lauf der Jahrhunderte das Dach abhandengekommen ist, als eine Oase, in der man sich spätnachmittags trifft. Während die Großfamilien im Schatten ihr Picknick verzehren, Kaffee kochen und erzählen, klettern die Buben auf den Felsen hinter der Moschee um die Wette.

Kein Besuch der Hauptstadt Khartum wäre komplett ohne Dinner Cruise auf dem Nil. In Khartum fließen der Weiße und der Blaue Nil zusammen, die Lebensadern des Landes. Sobald sich die Sonne der Horizontlinie nähert, unterhält die Band Balimba auf der Barkasse Marsa die Passagiere. Das Zentrum der Gruppe bildet Awad Ahmad Krar. In einem Kostüm, das an Sun Ra zu dessen besten Zeiten erinnert, zaubert er auf seiner mit Kaurimuscheln verzierten Kalebasse einen Groove, der die Gäste so mitreißt, dass sie den Sonnenuntergang hinter der Nil-Insel beinahe versäumen und überrascht sind, wenn das Boot nach zwei Stunden plötzlich wieder am Anleger festmacht.

Pyramiden vom Berg Barkal
Pyramiden vom Berg BarkalImago

Zentrum für Pharaonen

Für die meisten Besucher Sudans bleibt Khartum aber nur ein Zwischenstopp. Nach einem Besuch des Nationalmuseums geht die Fahrt in den Norden des Landes. Etwa auf halber Strecke zur ägyptischen Grenze liegt, ein wenig südlich des vierten Nilkatarakts, die Stadt Karima. Auf dem Gipfel des heiligen Berges Gebel Barkal eröffnet sich dem Besucher ein grandioser Blick auf die Oasenstadt.

Vom Hochplateau dieser einzigen Erhebung weit und breit lässt sich ahnen, warum die ägyptischen Herrscher vor 3500 Jahren unter Thutmosis III. diesen Ort zum Zentrum ihres Reichs erwählt haben. Hier war es möglich, Landwirtschaft zu betreiben, und hier konnte sich der Jenseitskult der Pharaonen entwickeln und verfeinern. Bis zur 20.Dynastie diente der Gebel Barkal als Sitz des Gottes Amun, als südliches Pendant zur heiligen ägyptischen Stadt Karnak. Gut tausend Jahre später wurden 18 Pyramiden angelegt und so ausgerichtet, dass die Sonne, von der Spitze des Tafelbergs aus gesehen, direkt hinter ihnen untergeht. Vor 2000 Jahren versprach dies die Gewissheit ewigen Lebens im Jenseits, aber auch heute umweht selbst den religionsfernen Besucher des heiligen Berges dieser Hauch. Die Hitze des Tages weicht, die Luft wird zart, sie umschmeichelt die Reisenden. Vom Nil kommend, trägt sie leise das Geräusch Fußball spielender Kinder mit sich, wie auch den regelmäßig wiederkehrenden Ruf eines traurigen Esels. Sonst nur Stille.

Schon lang ist die Sonne versunken, bis sich die kleine Gruppe von der besonderen Aura trennen kann und sich nach Karima aufmacht. Hinunter geht es über eine Düne feinsten Wüstensands an der Südflanke des Gebel Barkal. Schuhe ausziehen, springen, rutschen, möglicherweise sogar einen Purzelbaum schlagen – vielleicht nicht die Leichtigkeit eines ewigen Lebens, aber eine Leichtigkeit, die den Abend über anhält und an die am Morgen der Sand erinnern wird, der beim Anziehen der Hose auf den gestampften Lehmboden des Gästehauses rieselt.

Die Felsnadel des Jebel Barkal bei Karima.
Die Felsnadel des Jebel Barkal bei Karima.Imago

Schlafen bei Pyramiden

Der gebürtige Römer Enrico Meoni, Manager des Nubian Guesthouse in Karima, lebt zwar noch nicht so lang im Sudan, aber schwärmt: „Karima ist romantisch, Meroë magisch.“ Trifft voll und ganz zu. Nicht nur in Karima, sondern auch unweit der Ruinen von Meroë betreibt „Italosudan“ eine Unterkunft. In Meroë handelt es sich um ein Zeltcamp, vermutlich das romantischste, magischste Quartier, das sich im Sudan finden lässt. Unser Budget reicht für ein Fünf-Sterne-Zeltcamp nicht aus, aber für die Fünf-Millionen-Sterne-Schlafstätte, die unser Guide Muiz gewählt hat: ein Quartier aus Bastmatten unter freiem Himmel, fünf Gehminuten zur nächstgelegenen der fast hundert Sandsteinpyramiden, bietet zwar keinen weltlichen Komfort, der luxuriöse Blick zur Milchstraße dürfte aber derselbe sein.

Fast 300Kilometer führt die Strecke von Karima in Richtung Osten durch die Bayuda-Wüste, bis sie in Atbara erneut das Niltal erreicht und sich nach Süden, dem Nil flussaufwärts folgend, wendet. Lang orientiert sich der Blick am Gebel Hassania, der höchsten Erhebung der Bayuda-Wüste. Hier ist die Vegetation noch spärlicher. Stattdessen ziehen immer wieder Sandhosen vorbei, verweilen an einer Stelle, umspielen einen Felsen, ziehen weiter. Siedlungen finden sich keine, auch die vereinzelten Schaf- und Ziegenhirten, die weiter südlich dann und wann am Wegesrand aufgetaucht sind, sucht man hier vergeblich.

Schließlich Meroë. Schon allein wegen der Pyramiden unweit von Bagrawija lohnt sich eine Reise in den Sudan. In einem Zeitraum von 600Jahren, beginnend unter Ergamenes, etwa 300 vor der Zeitrechnung, entstanden an die hundert Pyramiden. Keine auch nur annähernd so groß wie jene von Gizeh, aber durch die schiere Zahl von fast noch stärkerer Faszination. Seit 2011 gehört das gesamte Ensemble zum Unesco-Weltkulturerbe. Dennoch, der Besucher fühlt sich wie ein Entdecker. Zwei, drei Kamelführer bieten ihre Dienste an, weitere Touristen kann man an einem Finger abzählen. Es gibt Tage, an denen die Wärter 15 Besucher kontrollieren, an anderen drei, aber es gibt auch Tage, da umstreicht nur der Wind die Reihe der Pyramiden und verweht die Fußspuren der Gäste des Vortags. Welch ein Kontrast zu den überlaufenen pharaonischen Sehenswürdigkeiten Ägyptens!

Vieles übernahmen die nubischen Herrscher von den Ägyptern: den Glauben an ein Leben nach dem Tod, die Totengötter Osiris, Isis, Anubis, Riten des Übergangs. Unabdingbar dabei: die Pyramide als Idealform sakraler Architektur. Einen entscheidenden Unterschied jedoch machten die nubischen Baumeister: Sie wählten einen viel steileren Neigungswinkel, zumeist um die 72Grad, gegenüber nur 54 Grad in Ägypten.

Vermutlich haben wir es einem dicken Hanfstrick zu verdanken, dass uns der Fahrer Yasir wieder gut an den Ausgangspunkt der Reise zurückgebracht hat. Als unverzichtbares Accessoire fällt dieser an fast jedem Fahrzeug auf, vom Laster bis zum Tuk-Tuk. Yasir kann erklären, warum ein Stück Seil hinter jedem Wagen herbaumelt: eine Erinnerung an Zeiten, als Kamelbeine zur Nachtruhe mit einem Strick zusammengebunden wurden. Nachdem der Besitzer des Kamels den Knoten gelöst hatte, brachte das Tier ihn unversehrt zur nächsten Wasserstelle und wieder nach Hause. Zurück in der Heimat hängt nun ein Strick an der hinteren Stoßstange meines Autos. Ich könnte ihn nun dazu verwenden, mein Fahrzeug sicher an einer Parkuhr zu vertäuen. Oder bringt er mich vielleicht wieder zurück ins Land am Mittellauf des Nils?

LAND DER NUBISCHEN KÖNIGE

Anreise: Türkish Airlines (via Istanbul) oder Emirates (via Dubai).

Anschauen: U.a. die Pyramiden bei Meroë, den Saganeb-Nationalpark bei Port Sudan, die Ruinen und den Berg Gebel Barkal bei Karima.

Übernachten: Preise liegen in gut aus- gestatteten Unterkünften bei ca. 100€. In Port Sudan: Basiri Plaza, www.basiriplaza.com. Coral Hotel, info.portsudan@coral.htmh.email. In Khartoum: Acropole Hotel, www.acropolekhartoum.com. In Karima: Bayt Mahally, 5 Privathäuser. Im Zentrum, Haus zu je zehn bis zwölf Personen, bei Nub Kush Travel Agency, moezhmahir@gmail.com. Nubian Guesthouse: 21 Zimmer, eine Suite, www.italtoursudan.com, In Meroë: Meroë Camp, 22 Zweibettzelte, www.italtoursudan.com.

Karte: Sudan/Südsudan, 1:1,8 Mio., Reise Know-How Verlag.

Preise: (1€=53,9SDG) ein Glas Tee: 5 Sudanesische Pfund, Thunfisch mit Zwiebeln: 50 SDG, 1kg Orangen: 35 SDG.

Hinweis: Für manche Teile des riesigen Landes gibt es Reisewarnungen, etwa in Grenzgebieten zu Eritrea oder zum Südsudan. Veranstalter meiden diese Ziele.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2019)

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