Baugruppen: Einer für alle, alle für einen

Die Idee des gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens findet auch hierzulande immer mehr Anhänger. Gefragt sind Geduld und Durchhaltevermögen.

Mitte Juni fand in der niederösterreichischen Gemeinde Wölbling, auf einem Grundstück am Rande des Dunkelsteiner Waldes, die offizielle Grundsteinlegung für das Bauprojekt Pomali statt. Entstehen soll eine kleine Passivhaussiedlung mit insgesamt 29 eigenständigen Wohneinheiten unterschiedlicher Größe zwischen 50 und 110 Quadratmetern, von denen 17 bereits Ende dieses Jahres fertiggestellt und bezogen werden können. Vorgesehen ist auch ein Gemeinschaftsgebäude, in dem Einrichtungen wie Werk- und Arbeitsstätten, eine gemeinsame Küche, Speisesaal, Waschküche oder Kinderräume vorgesehen sind. Das eigentlich Besondere an diesem Genossenschaftsprojekt ist jedoch weniger seine bauliche Umsetzung als vielmehr seine Organisationsstruktur: Zwar fungiert als (gemeinnütziger) Bauträger Heimat Österreich, initiiert wurde die Errichtung der Wohnanlage jedoch vom Verein Gemeinsam Zukunft bauen, einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die sich dem Gedanken einer nachhaltigen und gemeinschaftlichen Lebensweise verschrieben hat.

Unterschiedliche Partizipationsmodelle

„Die Idee, sich zu organisieren, um ein gemeinschaftliches Wohnprojekt auf die Beine zu stellen, gibt es in Österreich zwar schon seit einigen Jahrzehnten, im Gegensatz zu Deutschland haben sich Baugruppen hierzulande aber nie richtig durchgesetzt“, erzählt Lorenz Potocnik, Stadtentwickler und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Stadtambulanz, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Gedanken des gemeinschaftlichen (städtischen) Bauens und Wohnens zu forcieren. Als Grund führt er die starke Stellung der heimischen Bauträger und Genossenschaften an, die an alternativen, von Privatinitiativen getragenen Geschäftsmodellen wenig Interesse hätten. Das scheint sich aber mittlerweile zu ändern. So haben sich etwa allein für das Stadterweiterungsareal der Seestadt Aspern fünf verschiedene Baugruppen zusammengefunden, um dort ihre Vorstellungen vom gemeinschaftlichen Bauen und Wohnen zu realisieren.

Ein weiteres Baugruppenprojekt (Verein Wohnprojekt Wien) mit 40 Wohneinheiten ist auf dem Nordbahnhofgelände im zweiten Wiener Gemeindebezirk im Entstehen, in Simmering ist der Verein [Rosa] nach Kalypso im Zwölfen und Donaustadt 1220 gerade dabei, sein drittes, gemeinschaftliches Frauenwohnprojekt umzusetzen. „Solche Modelle können durchaus unterschiedlich gestaltet sein. Sie reichen vom direkten Erwerb eines Grundstücks über die Partizipation im Gestaltungsprozess bis hin zur Kooperation mit einem Bauträger“, berichtet Katharina Bayer vom Architekturbüro Einszueins, das unter anderem für die Planung der Wohnanlage des Vereins Wohnprojekt Wien verantwortlich zeichnet. Auch rechtlich gibt es Unterschiede: Klassisches Wohnungseigentum ist ebenso vertreten wie Miete oder die Rechtsform des „Wohnheims“, das ähnlich wie eine Genossenschaft funktioniert. Für das Baugruppenmodell sprechen einige Argumente. Die in der Regel geringeren Errichtungskosten oder die Möglichkeit, eigene Vorstellungen für das künftige Domizil einzubringen, sind nur zwei davon. „Am wesentlichsten ist aber der Gedanke eines ,Miteinanders statt eines Nebeneinanders‘“, meint Potocnik mit Verweis auf die Bemerkung eines Baugruppenpioniers: „Zuhause beginnt bei uns an der Haustür, nicht der Wohnungstür.“

Schwierige Entscheidungsprozesse

Der Weg dorthin kann aber mitunter ein recht steiniger sein. Die Pomali-Siedlung beispielsweise hätte ursprünglich bereits 2011 fertiggestellt werden sollen, lange Entscheidungsprozesse, ein Architektenwechsel, das Ausscheiden einiger Gründungsmitglieder und das Dazustoßen neuer haben das Projekt jedoch verzögert. Mittlerweile hat man diese Schwierigkeiten überwunden, unter anderem durch eine Organisations- und Entscheidungsstruktur, die der Verein „Soziokratie“ nennt. Gemeint ist eine straffe Moderation der Entscheidungsfindung, „bei der sich jeder einzelne Teilnehmer Gehör verschaffen kann, ohne dass es zu elendslangen Diskussionsrunden kommt“, erläutert Vereinsobfrau Brigitte Zahrl. Tatsächlich gehört die Konsensbildung zu den schwierigeren Prozessen eines Baugruppenprojekts, meint auch Potocnik, verweist aber gleichzeitig auf Fortschritte. „Früher waren die Diskussionen oft sehr ideologiebehaftet, heute gibt es auf Baugruppen spezialisierte Architekten, die das sehr professionell aufziehen.“

Auf einen Blick

Aktuelle Baugruppenprojekte in Wien gibt es derzeit in der Seestadt Aspern, auf dem Nordbahnhofgelände und in Simmering. Im niederösterreichischen Wölbling erfolgte vor Kurzem die Grundsteinlegung für Cohousing Pomali, eine Passivhaussiedlung, in der noch Wohneinheiten frei sind.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER

www.gemeinsam-bauen-wohnen.org

www.aspern-baugruppen.at

www.wohnprojekt-wien.at

www.frauenwohnprojekt.info

www.pomali.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2013)

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