Staatsanleihen: Die Mutter aller Kurven

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Warum viele aufgrund der US-Anleiherenditen schon die nächste Rezession heraufbeschwören.

New York. Man wähnt sich fast bei einem Autorennen, so viele Spitznamen hat das Ding: Kurve der Angst, Kurve des Grauens, ja sogar Kurve des Todes. Tatsächlich geht es um die Renditekurve, und für internationale Marktteilnehmer ist sie in etwa so wichtig wie die Startkurve in Monte Carlo für den Rennfahrer. Sehr wichtig also. Für Anleger lohnt es sich, einen Blick auf diese Renditekurve zu werfen. Genau betrachtet gibt es mehrere Renditekurven, die wichtigste Kurve, und diese meinen Börsianer, wenn sie von der Renditekurve sprechen, bezieht sich auf zehn- und zweijährige Treasuries. Das mag trocken klingen, aber Achtung: In den vergangenen Jahrzehnten hat diese Kurve noch fast jede Rezession in der weltgrößten Volkswirtschaft konkret vorhergesagt.
Dreht die Renditekurve ins Negative, steigen also die Renditen für zweijährige Treasuries über jene von zehnjährigen, folgt in absehbarer Zeit ein Rückgang der Wirtschaftsleistung. Das kann ein paar Monate dauern, oder auch ein, zwei Jahre, trifft aber so gut wie immer zu. Zumindest bislang.


Das ist bemerkenswert, wer wünscht sich nicht einen verlässlichen Indikator, der die nächste Rezession anzeigt. Schließlich bedeutet eine Rezession meist auch einen Einbruch auf dem Aktienmarkt. Ein besseres Verkaufssignal als eine inverse Renditekurve gibt es gar nicht. Nicht nur das: Auch die wichtigsten Zentralbanken, die Federal Reserve und die Europäische Zentralbank, schauen mit Argusaugen auf die Grafik, und was sie da zuletzt gesehen haben, gefällt den Geldpolitikern eher wenig.
Erstmals seit 2007 fiel die Differenz der Rendite zwischen zehn- und zweijährigen Treasuries diesen Monat auf unter 0,5 Prozentpunkte. Sie ist zwar noch deutlich positiv, doch muss man wissen, dass der Wert vor einem Jahr noch bei über einem Prozentpunkt und 2014 noch bei über zwei Prozentpunkten lag. Geht die Talfahrt in diesem Tempo weiter, könnte die Kurve noch heuer ins Negative drehen. Das geht auch an den Ökonomen nicht spurlos vorbei. Die Großbank Société Générale sagt eine US-Rezession für den Zeitraum 2019 bis 2020 voraus.
Trotzdem besteht noch kein Grund, panisch zum Ausgang zu rennen. Der Teufel liegt wie so oft im Detail. Grundsätzlich heißt es, dass zweijährige Staatsanleihen die Zinserwartungen der Investoren anzeigen. Steigt die Rendite, fällt also der Kurs, erwarten Anleger, dass die Zentralbank Fed die Zinsen wie geplant anheben wird. Dadurch verlieren bereits emittierte Anleihen mit ihren fixen Zinscoupons an Wert, der Kurs fällt und die Rendite steigt. Genau das ist zuletzt auch passiert.

Notenbanken haben Markt verzerrt

Bei zehnjährigen Papieren wiederum geht es eher um die langfristige Gesundheit der Wirtschaft. Glauben Anleger, dass die USA – und mit ihr die Weltwirtschaft – über das nächste Jahrzehnt solide dasteht, erwarten sie auch mittelfristig weitere Zinserhöhungen, und auch die Rendite für zehnjährige Papiere steigt entsprechend an. Das war zuletzt in deutlich geringerem Ausmaß der Fall, auch wenn die Rendite der wichtigsten Staatsanleihe der Welt zwischenzeitlich die psychologisch wichtige Marke von drei Prozent überschritten hat.


So weit so gut, allerdings dürfen zwei Dinge nicht unerwähnt bleiben. Erstens haben sowohl Fed wie auch EZB mit noch nie da gewesenen Kaufprogrammen für Staatsanleihen den Markt verzerrt. Dafür gibt es keinen Präzedenzfall, und deshalb könnte es durchaus sein, dass das Regelbuch für eine inverse Renditekurve diesmal neu geschrieben werden muss. Und zweitens kann sich das Blatt auch schnell wieder wenden. Im November fiel die Differenz zwischen zehn- und zweijährigen Renditen ebenfalls auf weniger als 0,6 Punkte, und Investoren weltweit schrien „Rezession“, bevor der Wert wieder anstieg und alles gut war.
Besonders delikat ist die Sache auf jeden Fall für die EZB. Während die Fed vor vier Jahren ihr Kaufprogramm angehalten hat und ihre Bilanz langsam reduziert, befinden sich Europas Zentralbanker immer noch im Krisenmodus. Zumindest bis Herbst, möglicherweise länger lässt EZB-Chef Mario Draghi weiterhin Staatsanleihen kaufen. Und während die Fed begonnen hat, Zinsen anzuheben, ist im Euroland frühestens 2019 mit ersten Zinsschritten zu rechnen.

Wie reagiert die EZB?

Die Renditekurve könnte genau dann ins Negative drehen, wenn die EZB gerade damit beginnt, aus ihrer ultraexpansiven Geldpolitik auszusteigen. Nun betrifft die relevante Renditekurve freilich US-Staatsanleihen und nicht die europäischen. Doch ist völlig klar, dass eine mögliche Rezession in der weltgrößten Volkswirtschaft auch in Europa eine sehr deutliche Abkühlung bringen würde. Wenn es so weit ist, wird die Fed ein wenig Spielraum für Zinssenkungen haben, um einen völligen Abverkauf an den Märkten abzufedern. Die EZB hat ihr Pulver möglicherweise verschossen. Gerade europäische Kleinanleger sollten die Mutter aller Kurven deshalb genau im Auge behalten.

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