Michael Musalek: "Jeder Spielsüchtige hat einmal gewonnen"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Michael Musalek, ärztlicher Direktor des Anton-Proksch-Instituts, spricht über spielsüchtige Börsenhändler und kokainabhängige Manager und erklärt, warum jede Art von Sucht zu Geldproblemen führen kann.

Die Presse: Gibt es Leute, die direkt nach Geld süchtig sind, also mehr haben wollen um des Immer-mehr-Habens willen?

Michael Musalek: Wir setzen den Suchtbegriff restriktiv an. Sucht ist eine schwere Krankheit. Da braucht es eine Substanz bzw. Situation, die eine psychotrope Wirkung hat, die man immer wieder wiederholen will. Bei Geld ist die psychotrope Wirkung zu gering. Aber es gibt Verhaltenssuchtformen wie Glücksspielsucht oder Kaufsucht. Da geht es aber nicht um das Geld an sich, sondern um den Kaufakt. Und bei allen Suchtformen kann Verschuldung ein Problem werden.

Den Spielsüchtigen geht es nicht um Geld?

Am Anfang schon. Das Gewinnen spielt zumindest am Beginn eine Rolle. Jeder Glücksspielsuchtkranke hat einmal groß gewonnen. Dann versucht man das wieder, es gelingt aber nicht, und man verschuldet sich. Dann möchte man die Schulden wieder hereinbringen über das Glücksspiel, und ist in einem Teufelskreis. Wobei bei der Sucht selbst das Spiel im Vordergrund steht, nicht das Geld. Die Glücksspielsüchtigen wissen, dass sie auf Dauer verlieren. Sie wissen, dass diese Automaten 60 zu 40 eingestellt sind, und je länger sie spielen, desto geringer ist die Chance, dass sie gewinnen können.

Ist Spielsucht eher ein Problem von Gutverdienern oder von Wenigverdienern? In den Wettcafés sitzen eher nicht die Reichen ...

Im Prinzip kann jeder suchtkrank werden, es ist nur eine Frage der Verfügbarkeit der Suchtmittel. Und es sind unterschiedliche Orte. Den finanziell Hochgestellten finden Sie nicht in der Reinprechtsdorfer Straße, den finden Sie halt in Monte Carlo. Die häufigste Sucht in diesem Zusammenhang ist aber das Automatenspiel, weil es am leichtesten zugänglich ist, auch für Menschen, die eher finanzschwach sind. In ein Casino geht kaum jemand, der wirklich finanzschwach ist.

Gibt es auch Leute, für die die Börse das Casino ist?

Ja, ich bin sehr froh, dass Sie das sagen. Ich bin überzeugt, dass sich dort auch viele Spieler befinden, die aber als solche nie diagnostiziert werden. Ich war selbst einmal an der Stock Exchange in New York und habe mir das angeschaut. Wenn man vom Fach ist, sieht man das von Weitem: diese glasigen Augen, genau die Typen, die an den Tischen im Casino spielen. Und zwar nicht die, die dort einen netten Abend verbringen, sondern die, bei denen man schon von außen sieht, wie sie eingebunden sind in das Geschehen, für die nichts anderes mehr zählt als das Spiel– die findet man auch an der Börse.

Dort fällt es nicht auf?

Bei der Sucht geht es immer auch um Akzeptanz. Es gibt Suchtmittel, die sehr akzeptiert sind. In Österreich ist Alkohol akzeptiert, Heroin nicht. Ins Casino zu gehen und stundenlang um Geld zu spielen ist weniger akzeptiert als an der Börse zu gambeln, noch dazu vielleicht sogar mit dem Geld von jemand anderem. Die Börse genießt ein sehr hohes Ansehen, obwohl alle Finanzkrisen dort ihren Ursprung haben. Aber in einer Gesellschaft, die auf Geld aufgebaut ist, ist das akzeptiert, was nicht heißt, dass es weniger gefährlich ist.

Ist der Anteil der Spielsüchtigen unter Tradern höher?

Wir wissen es gar nicht. Das ist ein nicht untersuchtes Feld, und die, die dort tätig sind, gehen üblicherweise nicht in eine Suchtklinik. Wenn etwas schiefgeht und sie so große Verluste gemacht haben, dass ihnen Nachteile entstehen, kommen sie in die Privatordination und lassen sich wegen Burn-outs oder schwerer Depression behandeln. Wenn man das zurückverfolgt, dann sind es eindeutig Suchtmechanismen, die die Betroffenen auch als solche erlebt haben. Sie sagen: „Es hat überhaupt keine Rolle mehr gespielt, ob ich einen Gewinn mache oder nicht, ich konnte mich nicht davon lösen.“

Führt Sucht oft zu Verschuldung?

Verschuldung spielt bei allen Suchtformen eine Rolle. Bei der Alkoholsucht sekundär, wenn man den Beruf verliert. Verschuldung spielt vor allem bei illegalen Substanzen eine Rolle, weil die sehr teuer sind. Für eine durchschnittliche Sucht muss man zwischen 3000 und 5000 Euro pro Monat aufbringen. Da gibt es vier Möglichkeiten: den reichen Papa, Prostitution, Stehlen– oder selbst mit Drogen zu handeln. Es gibt nur wenige Berufsgruppen, die zwischen 3000 und 5000 Euro netto nebenher flüssig machen können. Eine Gruppe, die praktisch nicht verschuldet ist, das sind die Kokainisten unter Managern. Die haben genug Geld, um sich das leisten zu können.

Warum greifen Manager zu Kokain? Weil sie ihr Arbeitspensum sonst nicht bewältigen können?

Es ist sicher zum Großteil ein Dopingmittel. Es ist ja nicht nur das Kokain, es gibt auch andere leistungssteigernde Substanzen, die dann auch in Kombination mit Beruhigungsmitteln, Schlafmitteln und Alkohol eingenommen werden, um sich wieder herunterzuholen. Doping im Beruf ist hoch tabuisiert. Das betrifft nicht nur das Management, das beginnt schon in der Schulzeit: Da gibt man dem Kind, das in der Schule Probleme hat, halt ein Priserl von dem, was die Oma zum Schlafen nimmt. Mit Pharmakologie in den Leistungsbereich einzugreifen, ist weit verbreitet. Nur Kokain kostet einfach so viel, dass man es sich nicht so leicht leisten kann.

Ist Verschuldung oft der Anlass, eine Sucht behandeln zu lassen?

Die Verschuldung ist in der Tat ein Anlass, etwas dagegen zu tun, vor allem, wenn andere merken, dass man verschuldet ist. Bei der Glücksspielsucht ist fast immer die Verschuldung der Punkt, an dem die Umgebung sagt: So kann es nicht weitergehen.

Wie weit geht das? Hatten Sie schon Patienten, die sich in die hunderttausenden Euro verschuldet haben?

In die Hunderttausenden– das ist schon etwas sehr Seltenes. Aber zwischen 30.000 und 70.000 Euro ist bei Glücksspielsüchtigen gar nicht selten. Also ein Vielfaches dessen, was man in einem normalen Beruf verdienen kann. Oft fragt man sich, wie das funktionieren kann, wenn man bedenkt, welche Auflagen es gibt, wenn man einen Kredit haben will. Das hängt damit zusammen, dass diese Menschen oft eine hohe Überzeugungskraft haben und meistens mehrere Geldquellen gleichzeitig anzapfen.

Verschulden sie sich bei Bekannten?

Sie verschulden sich bei der Bank, bei privaten Geldgebern und natürlich bei Verwandten, die für die Kredite gutstehen.

Sagen die Leute, dass sie das Geld für etwas anderes brauchen?

Am Beginn meistens schon. Relativ schnell kommt dann aber heraus, dass man diese Summen nicht für etwas anderes brauchen kann. Trotzdem ziehen Eltern, Ehepartner oder Freunde mit, um dem Betroffenen zu helfen, dass er rauskommt aus dem Ganzen. Denn, wenn man bei bestimmten Geldbüros nicht zahlen kann, bleibt es ja nicht beim Kuckuck. Da wird das Geld unmittelbarer eingetrieben. Das Tragische bei solchen Situationen ist: Ohne Behandlung kann es nicht aufhören. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Suchtkrankheit spontan aufhört, liegt bei fünf bis maximal zehn Prozent.

Was soll man als Angehöriger tun in so einem Fall?

Demjenigen zur Behandlung raten und nur tun, was man leicht machen kann. Das hängt von der eigenen finanziellen Situation ab. Auf keinen Fall darf man so weit gehen, dass es für einen selbst existenziell bedrohlich wird, weil man davon ausgehen muss, dass dieses Geld weg ist. Wir raten, so etwas nicht finanziell zu unterstützen, außer, wenn es zusammen mit einer Behandlung erfolgt. Dann ist die Chance größer, dass man die Situation in den Griff bekommt. [ Fabry ]

ZUR PERSON

Michael Musalek (*1955) ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie Psychotherapeut. Seit 2004 ist er Ärztlicher Direktor des Anton-Proksch-Instituts in Wien. Dort werden Alkohol-, Medikamenten-, Nikotin- und Drogensucht sowie nicht stoffgebundene Suchtformen wie Spielsucht, Internetsucht oder Kaufsucht erforscht und behandelt. Musalek ist auch Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2015)

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