Die SPD im freien Fall

In der SPD geht es nach der Einigung über eine Große Koalition vor einer Woche drunter und drüber. Olaf Scholz übernimmt interimistisch die Parteiführung - als Statthalter für Andrea Nahles.

Im Vorjahr waren Martin Schulz und Christian Kern beim Aschermittwoch-Treffen der SPD im niederbayerischen Vilshofen noch die umjubelten Stars der Sozialdemokraten. Die Veranstaltung im Bierzelt zog doppelt so viele Besucher an wie die der CSU in Passau. Ein Jahr später sind beide Parteichefs verglüht - und im Fall des Martin Schulz ist der Absturz des Shooting-Stars besonders tragisch. Der 62-jährige EU-Politiker hinterlässt eine Partei, in der es drunter und drüber geht und in dem die einst so stolze Sozialdemokratie, die älteste Partei Deutschlands, im freien Fall ist. In jüngsten Umfragen hält die SPD gerade noch bei knapp 17 Prozent. Die SPD ist an ihrem Tiefpunkt angekommen.

Nicht, dass der SPD seit dem Rücktritt Willy Brandts anno 1987 Intrigen, Turbulelenzen, und Rücktritte fremd wären. Die Namen Engolm, Scharping, Lafontaine, Müntefering, Platzeck, Beck oder Gabriel stehen für kleine Tragödien und auch große Dramen. Doch die gerade einmal elfmonatige Ära Schulz hinterlässt einen Scherbenhaufen. Wer soll da noch den Überblick behalten: Schulz hat einen Salto mortale geschlagen und sich mit seinem Anspruch aufs Außenministerium selbst ins Out manövriert; Gabriel hat in seiner Verbitterung die SPD-Führung mit seiner Abrechnung vollends gegen sich aufgebracht und ist wohl sein Amt des Außenministers los, in der er eine sehr gute Figur gemacht hatte; als seine Nachfolgerin ist die bisherige Familienministerin Katarina Barley im Gespräch, die sich noch nicht sonderlich in der Außenpolitik profiliert hat. Und der Übergang von Schulz zu Andrea Nahles, der starken Frau in der SPD, hat viele in der Partei am Ende überfordert. Dabei haben Schulz und Nahles der Kanzlerin Angela Merkel bei den Koalitonsverhandlungen
einen Erfolg abgerungen, der Respekt gebietet und der die CDU ins Mark trifft.

Es wäre nicht die SPD, würde sie sich durch eine Personaldebatte nicht alles vermasseln. Der Wechsel wird nun doch nicht so reibungslos erfolgen wie ausgemauschelt. Olaf Scholz, der Hamburger Bürgermeister und Wunsch-Finanzminster übernimmt als Statthalter von Nahles interimistisch die Parteiführung bis zu einem - neuerlichen - außerordentlichen Parteitag am 22. April. Es ist der dann bereits fünfte Parteikonvent innerhalb von 13 Monaten. Das qualifiziert die
so debattierwütige SPD zum Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde. Ein sehr zweifelhafter Rekord.

Nahles wird sich in einer Kampfabstimmung gegen die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange gegenüberstehen, die gegen den Willen des eigenen Landesverbandes in Schleswig-Holstein antritt und allenfalls SPD-Insidern zuvor ein Begriff war. Nahles ist angeschlagen, und Scholz - der als möglicher Kanzlerkandidat gilt - ist bei der Parteibasis nicht gerade populär. In drei Wochen muss die SPD zudem ein Mitgliedervotum über eine Regierungsbeteiligung über die Runden bringen. Scholz und Nahles müssen nun darauf achten, dass sich die Partei nicht gänzlich auflöst und sich in einzelne Flügel zersplittert. Angela Merkel hat das Glück einstweilen wieder einmal auf ihrer Seite - sofern ihr nicht noch der Koalitionspartner abhanden kommt. Eine Neuwahl muss die SPD indes mehr fürchten als Merkel und die Union.

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