Frontnachrichten aus dem Kulturkampf

Normwähler und Frauen

Die Wahl zeigt: In geschlechtergerechtem Sprechen kann man sich leicht verheddern. "Frauen wählen anders" z. B. ist semantisch ein Macho-Spruch.

Es ist ja eher nur Nebensächliches – aber diese Wahl hat sogar mich gender-sensibel gestimmt. Ich meine nicht Christian Kern als „Prinzessin mit dem Glaskinn“, was doch etwas ganz Wunderschönes ist. Was hätten die Geschwister Grimm aus so einem Stoff alles gemacht! Eher schon, dass die Grünen mich – und meine Frau? - per Plakat ermahnen: „Sei ein Mann – und wähle eine Frau. Das ist grün!“ Kehrtwendung einer Partei, die doch bisher Geschlechterrollen-Diktate bekämpft hat und es auch eher macho fand, wenn Franzosen Marine Le Pen wählen? Jetzt ist das auf einmal grün?

Wirklich zum Grübeln gebracht hat mich aber der „profil“-Covertitel „Frauen wählen anders“. Anders als was? Als früher? Als wenn sie betrunken sind? Im Heftinneren steht dann erwartungsgemäß: „anders als die Männer“. Aber wenn Männer und Frauen unterschiedlich wählen – warum nennt man am Cover nur und ausgerechnet die Frauen? Darin, dass sie anders wählen, sind sich Frauen und Männer doch gleich.

„Frauen wählen anders“ ist eigentlich ein Macho-Titel. Er deutet an, dass sie es sind, die von einer Norm abweichen: Der Mainstream wählt so, aber die Frauen eben anders. Dabei sind die Frauen doch die Mehrheit, und die von ihnen favorisierten Parteien gewinnen in der Regel die Wahlen. Naheliegender wäre zu schreiben, warum Männer anders wählen - sie sind die Abweichler.

Aber im Internet habe ich einen einzigen Artikel mit dem Titel „Männer wählen anders“ gefunden. Der Titel „Frauen wählen anders“ ist hingegen geradezu populär. Außer im „profil“ findet er sich etwa bei orf.science (2016), im Standard (August 2017), in der NZZ (Juni 2016), sogar in „Emma“ (August 2008). Auch im „stern“ im Mai 2014. Dort präzisiert der Vorspann: Frauen wählen „klüger und humaner als der stumpfe, männliche Rest“. Das könnte nahelegen, dass die Autorinnen „anders“ bloß im Sinn von „besser“ verwenden. „Frauen wählen besser“ ergäbe ja auch Sinn: Von zweien kann einer allein der bessere sein. Anders als der andere sind aber immer beide gleich.

Wie gesagt: Nebensächliches. Immerhin ist es wieder in, Männer und Frauen als unterschiedlich wahrzunehmen. Aber wenn selbst progressive Autorinnen immer noch unbewusst in die Falle tappen, „die Frau als solche“ (©Loriot) als abweichend von der Norm zu präsentieren, und damit den Mann als Norm, nährt das meinen Verdacht, dass die ganzen gewissenhaft ausgeführten Binnen-Ismen und Gendersprachkrämpfe im Grunde nichts gebracht haben. Außer vielleicht mein Sensorium so über Gebühr anzustacheln, dass es nun Kolumnen wie diese triggert.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2017)

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