Fahndungszone

Wie eine TV-Sendung es schaffte, mein verschlafenes Heimatdorf in eine gefährliche Fahndungszone zu verwandeln.

An meiner Pinnwand hängt eine Postkarte mit dem Konterfei von Eduard Zimmermann, dem Moderator der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“. Darunter ist nur ein derbes zweisilbiges Schimpfwort gedruckt, sonst nichts. Was mich immer wieder in den Bann der Karte zieht, ist dieser Blick. Es ist ein sehr ernster Blick, eine Spur Bestürzung liegt darin, wohl über das, was diesen Mann zwingt, so ernst sein zu müssen. Und ganz hinten lauert ein aggressiver Funke.

Mit diesem Blick signalisierte Eduard Zimmermann einst allwöchentlich den Menschen vor den TV-Schirmen: Seid wachsam, sie sind überall! Und im Nu verwandelte sich mein verschlafenes rheinisches Heimatkaff in einen Ort, wo jeder an Leib und Leben bedroht war. Ein ganzes Land wurde zur Fahndungszone, für jeden, der etwas gehört oder gesehen hatte.

Eduard Zimmermann verkörpert für mich eine Seite der deutschen Spießigkeit, mit der nicht zu spaßen ist, eine Humorlosigkeit aus höherem Auftrag, die sich stets im Recht wähnt, irgendwem das Lachen gründlich vergehen zu lassen.

Allein der Titel der Sendung war ein Geniestreich. Er treibt jene Irrationalität des Rationalen auf die Spitze, von der hier bereits die Rede war: Jede noch so preußisch-penibel angelegte Akte kann den Keim des Unlösbaren in sich tragen und ein Fall für Eduard, den Ernsten, werden.


Diesem Mann verdanke ich auch die Begegnung mit meinem ersten Wiener. Am Ende jeder Sendung hieß es: „Jetzt schalten wir mal nach Wien. Teddy Podgorski, liegen bei Ihnen schon Hinweise vor?“ Bisweilen hatte der Teddy auch was zu melden, und ein Schelm, wer denkt, da sei so manches aus dem Hut gezaubert worden, um vor den Piefkes nicht wie die Trottel dazustehen.

Podgorski hat später eine Anekdote erzählt, die mir, hätte ich sie schon als Kind gekannt, so manchen deutschen Albtraum erspart hätte. Einmal stand der „Rote Heinzi“ auf der Fahndungsliste, und Zimmermann warnte todernsten Blickes: „Vorsicht, macht sofort von der Schusswaffe Gebrauch!“ Podgorski hatte als ehemaliger Radio-Polizeireporter gute Beziehungen zur Wiener Polizei und zur Unterwelt, er kannte den Verdächtigen, und er wusste, dass der Mordversuch, den man dem „Roten Heinzi“ unterstellte, ein Blödsinn war: „Diese Fahndung war sehr minutiös, sehr deutsch und sehr falsch.“ Als dann die obligatorische Frage nach den Hinweisen kam, erfand Podgorski spontan eine „heiße Spur“.

Nach der Sendung machte er noch einen Abstecher in die Loos-Bar. Als er dort ankam, stand die Eingangstür offen, und ein Mann, der entspannt an der Bar lehnte, begrüßte ihn mit den Worten: „Seavas Teddy – i hab g'hört, du suchst mi.“

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2012)

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