Diese Deutschen

Welchen Sprachstil pflegt man eigentlich in den Stadtrandgebieten von Bremen oder Berlin? Einen abscheulichen. Das behauptet zumindest ein österreichischer Journalist.

Im Sommer 2010 ging ein empörtes Schreiben einer deutschen „Presse“-Leserin an die Chefredaktion. Es war eine Beschwerde, dass „bei jeder möglichen Gelegenheit“ negativ über die Deutschen berichtet werde. Ich hatte damals meine Kolumne gerade erst gestartet, und Michael Fleischhacker, der damalige Chefredakteur, schlug vor, dass ich der Leserin antworten sollte.

Ich schrieb ihr, mir sei zwar bewusst, dass unsere Landsleute in den Medien bisweilen nicht gut wegkämen, aber in der „Presse“ seien mir diese deutschfeindlichen Töne bisher nicht aufgefallen. Ob sie mir ein Beispiel nennen könne? Sie antwortete, sie habe gerade keines zur Hand. Dann schickte sie mir einen Artikel von Peter Pelinka, der mit dem Satz beginnt: „Ich gestehe: Mir fällt es nicht leicht, für die in Österreich gern als ,Piefke‘ gescholtenen Nachbarn Sympathie zu empfinden.“ Der Artikel war aber nicht in der „Presse“ erschienen, sondern in einem Boulevardblatt.


Anfang 2012erschien in der „Presse“ ein Beitrag aus der Reihe „Spiegelschrift“ von Engelbert Washietl. Darin rügt der regelmäßige Blattkritiker der „Presse“ einen Redakteur, weil dieser folgenden Satz geschrieben hatte: „Die Jesusstatue auf dem Zuckerhut hat man jedenfalls schon mal jetzt grün erleuchtet.“ Washietls Kommentar dazu: „Das ist erstens ein Satz, dessen abscheulicher Stil zweifeln lässt, ob ,Die Presse‘ in Wien und nicht etwa in Stadtrandgebieten Bremens oder Berlins erscheint. Zweitens aber steht die Christusstatue auf dem Corcovado.“

Interessant an Washietls Rüge ist, dass sie den Stil des Satzes nicht nur geografisch, sondern auch soziologisch zuordnet. Nicht einfach in Bremen oder Berlin wird dieser „abscheuliche Stil“ angesiedelt, sondern in den dortigen „Stadtrandgebieten“. Weniger fein ausgedrückt würde die Kritik lauten: Der Redakteur schreibt wie ein prolliger Piefke.

Meine seinerzeitige Antwort an die Leserin muss ich dennoch nicht zurücknehmen. Unter Washietls Blattkritiken steht jedes Mal der Hinweis: „Die ,Spiegelschrift‘ erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors.“ Das hat auch seinen guten Sinn, denn nur so ist gewährleistet, dass sich der Blattkritiker bei seinem Tun kein Blatt vor den Mund nehmen muss. Und das kann man Washietl bei seiner Rüge des „Presse“-Kollegen ja nun wirklich nicht vorwerfen. Der aufgebrachten Leserbriefschreiberin kann ich jedenfalls erneut versichern: In der „Presse“ hat noch niemand sonst den Sprachstil in einer Region meines Heimatlandes als „abscheulich“ bezeichnet. Das wäre mir aufgefallen.

Ich habe hier schon einmal die These zur Diskussion gestellt, dass es keine klare Grenze zwischen Patriotismus und Nationalismus gebe. Entspannte Patrioten trifft man selten. Ein Patriot ist allzeit bereit, sein Allerheiligstes zu verteidigen, das kostbare Eigene scheint ihm unentwegt von außen gefährdet. Es ist dann im Eifer des Gefechts oft nur ein kleiner Schritt, das Fremde und vermeintlich Bedrohliche zu diffamieren. Denn so hält man es sich am besten vom Leib. Und genau das nenne ich Nationalismus.

dietmar.krug@diepresse.com

diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2014)

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