Wiener Wurstigkeit versus deutsche Gründlichkeit

Oder: Warum Tee und Bier in einer Band zum Problem werden können.

Ein alter Freund aus Deutschland ist ein Musiker, mit dem ich vor dreißig Jahren zum ersten Mal in einer Band gespielt habe. Bis heute nutzen wir jede Gelegenheit, um miteinander Sessions zu machen, entweder in seiner Band im Rheinland oder in meiner hier in Wien. Nun ist Bandmusik mitunter ein schweißtreibendes Geschäft, und wo geschwitzt wird, da wird getrunken. Die Frage ist nur, was.

Man wird wohl kaum einen Proberaumkühlschrank finden, der nicht mit Bier gefüllt ist. Löscht man indes seinen Durst ausschließlich mit dem schäumenden Gesöff, dann hat das Folgen für den Gesamtklang. Ich nenne nur: verpatzte Einsätze, Texthänger und Soli, die dem Gitarristen Glücksräusche und den Kollegen temporäre Schwerhörigkeit bescheren. Meine Methode, diesem Problem mit Kräutertee beizukommen, hat mir eine besorgte Erkundigung aus der rauen Rockband eingetragen, mit der wir den Proberaum teilen. Auf der Teepackung stand, gleich unter dem „Fühl dich wohl“-Logo: „Oida, bist krank, sauf a Hüsn!“ Immerhin hinterließ der Schreiber später auch eine Nachricht für den Bierbesorger: „Bring a poar Bleifreie!“


Das logistische System hinter der Bierversorgung hat sich grenzüberschreitend durchgesetzt. Sowohl in meinem Proberaum als auch in dem meines Freundes wirft man für jede entnommene Flasche ein Geldstück in eine Kasse. Irgendwann kommt dann eine gute Fee und füllt den Kühlschrank wieder auf. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied in der Abwicklung: In meinem Proberaum steht auf dem Kühlschrank ein schäbiges, offenes Plastikkistchen für die Münzen. Prellt man im Eifer des Gefechts mal die Zeche, dann zahlt man halt das nächste Mal doppelt. In all den Jahren hat unsere Fee nur ein einziges Mal einen Zettel hinterlassen: „Bei Entnahme bitte zahlen!“

Von der Band meines Freundes habe ich viele Bilder vor Augen, eines ist das der gezückten Geldbörse. In seinem Proberaum steht nämlich eine massive Metallbox samt Vorhängeschloss und einem Schlitz für die Münzen. Vergisst man ein Geldstück einzuwerfen, wird man sofort vom Zuständigen auf das Versäumnis aufmerksam gemacht. Dann heißt es Gitarre abhängen, Geldbörse suchen, womöglich gar Geld wechseln, da man aus dem Safe ja nichts herausnehmen kann.

Aber selbst dieser Aufwand genügt der deutschen Bilanzfee nicht, immer wieder gibt es Beschwerden über Fehlbestände, ein Mal gar in zweistelliger Höhe! Mag sein, dass sich da die deutsche Gründlichkeit nicht bewährt, weil man sich nicht in Preußen, sondern im Rheinland befindet, wo man fünf genauso gern gerade sein lässt wie hierzulande. Mein Vorschlag, es doch einmal mit der Wiener Wurstigkeit zu probieren, hat sich noch nicht durchgesetzt. Aber ich arbeite daran.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2010)

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