Die Sprache und das Familiäre

Oder: Warum das Hochdeutsche sich manchmal für die besonders vertrauten Momente eignet.

Unlängst habe ich ein Gespräch zwischen meiner Freundin und unserer achtjährigen Nichte belauscht. Es war so ein richtig vertrauter Tante-Nichten-Moment. Das Kind wirkte entspannt, hörte zu, und plötzlich sagte es: „Du redest ja wie der Dietmar.“ Was die Nichte da an mich erinnerte, war weder der Tonfall noch das Thema, es war das Idiom. Denn meine Freundin sprach hochdeutsch, was sie sonst so gut wie nie im familiären Umfeld tut, da redet sie ein ungezwungenes Steirisch. Übrigens bisweilen auch mit mir, was seit über zwei Jahrzehnten zu einer kuriosen Art der Zweisprachigkeit führt. Schließlich habe ich nie auch nur den Versuch gemacht, mir das Steirische anzueignen, dafür müssen Kiefer, Kopf und Kehle ein paar Kunststücke vollbringen, auf die man schon in ganz jungen Jahren vorbereitet werden muss.

Dass ich meiner Freundin nicht in dem Dialekt antworte, mit dem ich aufgewachsen bin, hat nicht allein den praktischen Grund, dass wir uns so im Beisein Dritter einen dreisprachigen Dolmetscher ersparen. Meine Mundart ist mir nicht mehr vertraut, seit ich die Welt, in der sie gedeiht, verlassen habe. Einmal aber musste ich selbst in die Rolle des Übersetzers schlüpfen, als ich meine Freundin meinem Vater vorgestellt habe. Das Hochdeutsche war für ihn zeit seines Lebens die erste, ungeliebte Fremdsprache, und als er hörte, dass meine Freundin mit mir Dialekt redete, tat er sich keinen Zwang an und sprach mit ihr rheinisches Platt. Alles, was jetzt noch fehlte, war ein Gesprächsthema. Und was bietet sich in einer solchen Situation mehr an als das Kulinarische? Über das Wort „Ribisel“ kam mein Vater tagelang nicht hinweg, und als meine Freundin von Wuchteln in Vanillesoße schwärmte, runzelte er zunächst die Stirn und meinte dann später zu mir: „Janz schön nobel, dat die dahem Wachteln koche. Aber in Vanillesoß...“


Zurück zu meiner Nichte, die übrigens weder so redet wie ihr steirischer Vater noch wie ihre polnische Mutter; sie spricht, was sie in der Schule hört, ein Hochdeutsch mit leichtem Wiener Akzent. Es ist schon erstaunlich, welch exotische Blütenmischungen das weite Feld des Deutschen zulässt. Wie gut, dass auch eine Papierblume wie das Schriftdeutsch darauf seinen Platz hat. Dass meine Freundin ins Hochdeutsche verfällt, wenn sie innig mit der Nichte plaudert, ist nämlich mehr als ein Zugeständnis an deren Sprechweise. Da hat sich für einen besonderen Moment der Nähe das passende Sprachgewand gefunden, ein Festtagskleid, das ausnahmsweise einmal nicht zwickt oder einengt. Ich gestehe:Mich freut's. Denn hier wird das emotionale Gepräge, das man so oft mit dem Hochdeutschen verbindet, auf den Kopf gestellt. Meine Art zu reden steht endlich einmal nicht für das Forsche noch für die Zumutung, „schön sprechen“ zu müssen.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2011)

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