Böser Brecht: „Eine ganz gewöhnliche Hur“ ist die Königin

Wer sich auf „Maria Stuart“ freut, sollte moderne Parodien meiden.

Aus purem Zufall hat sich die Literaturpflege im Gegengift in letzter Zeit bevorzugt mit Brecht und Schiller beschäftigt. Heftiger Streit brach aus: Welcher Klassiker sei heute besser – der richtige oder der verfremdende? Ich liebe Schillers stürmisch-drängende, im Rausch geschriebene Dramen und Brechts Gedichte – nicht nur das mit der Wolke hoch oben. Umgekehrt ist es umgekehrt. Auf manch lehrhafte Gedichte Schillers kann ich so wie auf lahme Lehrstücke Brechts verzichten.

Diese Woche aber hat bei mir der Nachgeborne aus finsterer Zeit gegen den alten Heros der Freiheit gewonnen. Zur Vorbereitung auf eine „Maria Stuart“ in Graz (Kritik folgt hoffentlich bald) habe ich das Trauerspiel und besonders genau die Begegnung der Königinnen Elisabeth und Maria vor Fotheringhay studiert. Mir fiel ein, wie schwärmerisch einst mein Deutschlehrer über diese sexuell aufgeladene Konkurrenz referierte. Offen ließ er, wie die Damen real stritten. Rissen sie einander die Haare aus, nachdem die Fäuste gesprochen hatten? Überließen sie die Drecksarbeit Höflingen? Oder versuchten sie allein mit Pathos zu punkten? Wir wissen es nicht. Der Dichter hat die Szene frei erfunden.

Da stoß' ich auf den bösen Brecht, der Schiller parodiert. Er war dabei! Im „Streit der Fischweiber“ verrät er, wie es wirklich ablief. Frau Zwillich und Frau Scheit sind Konkurrentinnen auf dem freien Markt, sie schenken sich nichts. „Eine ganz gewöhnliche Hur ist sie“, heißt es da. Sie können trotz aller Taktik die Façon nicht wahren. Das ist die ganze tragische Kunst in einer unmoralischen Handlung, ob nun Queen oder Standlerin.

Vielleicht hatte mein Professor recht. Nach Lektüre der Parodie ist es ratsam, sich auf das Hocherotische von „Maria Stuart“ zu konzentrieren. Die Noblesse gekrönter Häupter gibt es für Brecht garantiert nicht mehr. Kopf ab! Wahrscheinlich besiegt sogar schon bei Schiller das neugierige Verlangen die mühsam erworbene Erziehung und feines Gefühl. Für die Politik aber gilt: Beherrschung ist alles.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2018)

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