Zumindest der Bart verbindet: Vom Pointillisten zum Hipster

Die Albertina hätte ihre große Herbstausstellung auch mit langen Bärten bewerben können, denen der neoimpressionistischen Anarcho-Maler.

Wer Bart trägt, sollte hier jetzt keinen Punkt machen. Denn was die Albertina nobel verschweigt, besser gesagt nobel nicht zeigt bei der Bewerbung ihrer großen und auch großartigen Pointillismus-Ausstellung, die morgen für alle, auch Glattrasierte, offen steht, das ist ihre absolut modische Aktualität.

Denn man trug Bart im Paris der Impressionisten und der Pointillisten. Damals, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde der Vollbart sogar erstmals seit dem Mittelalter wieder salonfähig. Wenn das also keine Hipster-Show ist. Hätte man die Wuschelbärte von Seurat und Signac oder den eleganteren Shortcut van Goghs statt ihrer Namen plakatiert, hätte man wohl nicht weniger Aufmerksamkeit bekommen. Doch das Gegenteil findet statt: Weder in der Ausstellung noch im Katalog findet sich auch nur ein einziges Porträtfoto, ein einziges Konterfei von einem der bärtigen Maler, um die es geht. Von wegen „Personalize it!“. Das Ausschlachten von Lebensläufen und Starkult kann man der Albertina tatsächlich nicht vorwerfen, man hat sich mit der reinen Kunst zu begnügen.

Dabei sind die Bärte eine Pracht, beginnend beim Urvater der Impressionisten, der später auch die Neoimpressionisten (Pointillisten) pushte, Camille Pissarro. Der extrem lange Bart ist allerdings eher lieber Gott- als kapitalistischer Hipster-Style, wie übrigens gerade wieder der neue (glatt rasierte) Kulturminister Englands, Matt Hancock, betont hat: „The hipster is a capitalist.“ Der bärtige Pointillist war Anarchist, zumindest politisch gesehen. Zumindest stand er weit links, manche, wie der Maler Maximilien Luce (Vollbart, Filzhut, schwarzer Anzug) und der Pointillistenkunstkritiker Félix Fénéon (sehr charismatischer Ziegenbart), wurden sogar verhaftet, weil sie 1894 an einem anarchistischen Attentat in einem Pariser Restaurant beteiligt gewesen sein sollen.

Das Interessante ist, dass in den von einem starren Punkteraster geprägten „Konfettibildern“ der Pointillisten von ihren extremen politischen „Bärten“ nicht nur nichts zu sehen ist. Sie beschwören im Gegenteil sogar eine wie eingefroren wirkende Idylle in Zuckerlfarben. Ein Widerspruch? Nein, meint Kurator Heinz Wiedauer. Der Anarchist zeige sich hier eben nicht als Zerstörer, sondern als Utopist. In dieser Utopie ist dann alles Harmonie pur, wie Paul Signac sie versteht: bärtige Männer beim Boule und an der Staffelei, ein Paar beim Tanz, eine Frau mit Kind. Eine ziemlich bürgerliche Utopie für Anarchomänner – denn Malerinnen fanden sich im Gegensatz zur vorangegangenen Gruppe der Impressionisten hier keine mehr.

1901 wurde schließlich der Rasierhobel von King Camp Gillette erfunden. Und auch der Punkt konnte sich aus der Geiselhaft der bärtigen Männer wieder befreien.

E-Mails an: almuth.spiegler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2016)

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