Das Team Stronach: Die österreichische Tea Party

Stronach "entlarvt" die Elite als Schuldige an der Krise und verspricht simple Lösungen. Doch auch er fördert letztlich nur wirklich Reiche.

Frank Stronachs „geistige Revolution für Österreich“ wird inhaltlich kaum kommentiert. Seine skurrilen Fernsehauftritte und die Wertewerbung verdecken den Inhalt seiner Botschaft. Aber Stronachs Politik verfolgt ein klares Ziel. Im Kern denkt er wie die US-amerikanische Tea Party.

Die Tea Party entstand Ende 2008/Anfang 2009. Der Auslöser war die Finanzkrise, die ihren Höhepunkt im Herbst 2008 hatte, und die Wirtschaftspolitik danach (Bankenrettungen, Konjunkturpaket). Ihr Erfolg wurde durch ein historisches Versagen der politischen Klasse möglich, nicht nur in den USA.

Politik muss die Krise erklären

Vor allem US-Präsident Barack Obama (seit Anfang 2009 im Amt) hat es trotz seiner „Change“-Rhetorik unterlassen, der Bevölkerung auf verständliche Weise zu erzählen, warum die Krise eingetreten ist, weshalb man mit historisch einmaligen Hilfen reagiert hat, und wie man in Zukunft eine Krise verhindern will. Eine solche Geschichte hatte etwa Roosevelt der Bevölkerung nach der Weltwirtschaftskrise erzählt.

Die Tea Party liefert die fehlende Erzählung auf demagogisch-rechte Art. Die Story im Schnelldurchgang: Einer korrupten „Elite“ auf der einen steht „das Volk“ auf der anderen Seite gegenüber. Die Elite hat sich des Staates bemächtigt, eine Verschwörung zur Durchsetzung unberechtigter Privilegien.

Warum kam es zur Krise? Weil die Elite falsch regiert hat, z. B. hat Clinton gesetzlich die Vergabe von Krediten für Häuser erleichtert. So ist es zur Krise auf dem Hausmarkt gekommen. Warum die riesigen Rettungen? Weil es Betroffene geschafft haben, den Staat für ihre Interessen einzuspannen. In der Ablehnung staatlicher Hilfe wird vieles in einen Topf geworfen: die Bankenrettungen, die Hilfen für unrentable Industrien, die Unterstützung für insolvente Hausbesitzer, auch die Arbeitslosen- und Krankenversicherung, kurzum: alle Subventionen, d. h. fast der ganze Sozialstaat.

Wie kann man das ändern? Durch eine moralische Rückbesinnung auf die glorreiche Anfangszeit der USA, vorgetragen im prophetischen Ton. Die Helden der Tea Party sind die „Gründungsväter“, welche die Verfassung von 1776 geschrieben haben. Dort ist aber von Staatsschulden oder von einem Sozialstaat nichts zu lesen. Konkret geht es um bekannte Politiken: Abbau des Staates, „Entfesselung der Wirtschaft“, Bahn frei für den „freien Markt“. Kein Wunder, dass rechte Medien wie „Fox News“ und reiche Finanziers wie die Koch-Brüder die „Bewegung“ kräftig fördern.

Stronach als Tea-Party-Guru

Stronachs Programm passt in dieses Bild. Der Auslöser für seine „Bewegung“ ist nicht die Finanzkrise von 2008, sondern die Euro-Staatsschuldenkrise ab dem Jahr 2010. Sie wird analog zur Tea Party erzählt: Eine privilegierte „Elite“, vor allem „Berufspolitiker“, „Staatsbeamte“ und Gewerkschafter (seine Texte verwenden konsequent die männliche Form) hat den Staat erobert – auf Kosten der hart arbeitenden Menschen, wie Stronach selbst, „ein Mann des Volkes“.

Wer Politiker werden will, „drängt zum Futtertrog“. Politiker sind „korrupte Machterhalter“. Aber die „freie Wirtschaft“ ist frei von moralischen Problemen, „freies Unternehmertum“ hat auch nichts mit Macht zu tun. Die Lösung für alle Probleme ist mehr „freier Markt“, Bildung z. B. hat dem Nutzen „der Wirtschaft“ zu dienen. Der Staat muss vom „Managementteam“ der Regierung wie ein Unternehmen geführt werden, alle Politikbereiche sind „effizient“ zu gestalten. Dazu muss die Demokratie eingeschränkt werden (mit wörtlichen Anlehnungen an Friedrich Hayek): ein „Weisenrat“ aus „unabhängigen angesehenen Personen“ soll „effiziente Lösungen“ erarbeiten.

Symbiose aus Geld und Moral

Stronach predigt einen rigiden moralischen Neoliberalismus. Wirtschaftlicher Erfolg ist eine Frage der „Werte“, der eigene Erfolg ist Folge seiner überragenden Ethik. Persönlicher Einsatz und überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft machen jemanden zum Milliardär. Dazu wird die eigene Geschichte als individuelle Erfolgsgeschichte mythologisch verklärt, andere Personen und historische Zufälle spielen keine Rolle. Krisen, Korruptionsvorwürfe und gescheiterte Projekte werden nicht erwähnt.

Angesprochen wird auch nicht, dass Stronach (wie sein Biograf schreibt) sich in Österreich „einen ganzen Hofstaat von ehemaligen Politikern“ gehalten hat – unabhängig von deren politischen Ausrichtung und ihren „Werten“. Denn: „Wer das Geld hat, macht die Regel.“ Geld und Moral gehen bei Stronach eine Symbiose ein. Stronachs Erfolg und Stronachs Werte befähigen ihn als Politiker – im Gegensatz zu seinen Rivalen, die keine „Arbeitsplätze geschaffen“ haben und nicht über seine überragende Moral verfügen.

Das Problem wird zur Lösung

Stronach gibt sich in seiner politischen Rolle – wie die Tea Party - als Prophet mit übermenschlichen Qualitäten. Wie ein Guru möchte er „den Menschen die Augen öffnen“. Unter seiner Leitung würde Österreich „zum höchsten Lebensstandard auf der ganzen Welt“ aufsteigen. Stronachs Auftreten markiert ein historisches Ereignis. Der Tag der Bekanntgabe des Teams Stronach wird „in die Geschichte Österreichs eingehen“, aber „auch in die Geschichte der Welt“.

Stronach teilt mit der Tea Party ein Bild der Gesellschaft. Geschichtlich vollzieht sich ein bemerkenswerter Vorgang: Die jahrzehntelange Politik der „Entfesselung der Märkte“, die das große Programm einer Deregulierung möglich gemacht (und auf diese Weise für die Finanzkrise mitverantwortlich war), wird als Abhilfe für die Probleme aus der Krise empfohlen. Eine Ursache der Krise mutiert zur Lösung für die Folgen der Krise. Das alte Programm von „Markt gegen Staat“ wird nicht problematisiert, sondern verschärft und radikalisiert. Es wird in ein rigides Schwarz-Weiß-Bild der Gesellschaft übersetzt: Die Guten (die hart arbeitenden Menschen) stehen im Kampf gegen die Bösen (die Privilegienritter des Staates). Der neoliberal geprägte Kapitalismus soll durch eine moralische Neubesinnung reformiert werden. Die Tea Party rekurriert dabei auf eine mythisch verbrämte Ursprungszeit der USA, Stronach auf eine romantische Art der Wirtschaftsführung, die auf bewährten patriarchalen Strukturen beruht.

Stronach fördert die Reichen

Aber dieses Programm fördert die Interessen der wirklich Reichen. Es stellt auch eine „Revolte von oben“ dar. Milliardäre (wie die Gebrüder Koch) greifen direkt in die Politik ein. Man will die progressive Einkommensbesteuerung abschaffen und den Sozialstaat abbauen. Die zunehmende Ungleichheit der Vermögen und Einkommen (die durch die Politik der Deregulierung gefördert wurde) würde sich dadurch drastisch verschärfen.

Auf einen Blick


E-Mails an: debatte@diepresse.comWalter Ötsch (geboren 1950) ist Ökonom und Kulturhistoriker an der Johannes-Kepler- Universität in Linz. Er leitet das gesamtuniversitäre Zentrum für soziale und interkulturelle Kompetenz sowie das (Forschungs-)Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft. Bekannt wurde Ötsch mit seiner Untersuchung des „Phänomens Jörg Haider“. [www.sozialekompetenz.org]

Eine Langfassung dieser Analyse, die mit Stephan Pühringer erstellt wurde, kann nachgelesen werden unter www.icae.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2013)

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