Im Bankenmeer der trägen Tanker und schnellen Boote

Die Finanzwelt wird seit dem Schock von 2008 von einer beispiellosen Regulierungswut heimgesucht.
Die Finanzwelt wird seit dem Schock von 2008 von einer beispiellosen Regulierungswut heimgesucht. Kufner http://www.peterkufner.com/
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Gastkommentar. Die Finanzwelt wird seit dem Schock von 2008 von einer beispiellosen Regulierungswut heimgesucht. Wo soll das hinführen?

Die Versuchung ist groß, nach 33 Jahren einschlägiger Berufstätigkeit im Bankwesen die Verhältnisse früherer Jahre nostalgisch zu verklären. Aber bei näherer Betrachtung ist unverkennbar unter dem Schock von 2008 eine Veränderung festzustellen. Unmittelbar ausgelöst durch den Fall von Lehmann Brothers haben die sich angeblich selbst regulierenden Finanzmärkte begonnen, verrückt zu spielen. Ein weltweiter Felssturz hat die Wirtschaft, insbesondere die Finanzbranche, erschüttert und schnelles Reagieren erfordert. Diese „Akutphase“ wurde gut bewältigt. Ein Zusammenbruch der Märkte wegen fehlender Liquidität konnte erfolgreich verhindert werden.

Was aber verabsäumt wurde, ist, die (hoffentlich) einmalige Gelegenheit zu nutzen, bei einer nahezu gleichzeitig in allen Teilen der industrialisierten Welt auftretenden Wirtschaftskrise länderübergreifende strukturelle Weichenstellungen vorzunehmen. Beispielsweise eine kostenmäßige Entlastung der menschlichen Arbeitsleistung, entsprechende Bepreisung des Verbrauchs von nicht erneuerbaren Ressourcen, eine wirklich durchdachte Finanztransaktionssteuer, kritische Betrachtung der Größenordnungen von Wirtschaftsunternehmungen etc.

Die Regulierungswalze rollt

Nach einer zumindest scheinbar eingetretenen Beruhigung (die Unmengen an Liquidität, die von den Notenbanken bereitgestellt wurden, suchen nach Veranlagungsmöglichkeiten und treiben die Börsenkurse nach oben) wurde in aller Eile die Regulierungswalze auf den Weg geschickt.

Fast täglich wird nun mit neuen Auflagen, Vorschriften und Lenkungsmaßnahmen eingegriffen, saniert, geregelt, strukturiert: Basel II und Basel III, EBA-Guidelines, Fit-&-Proper-Richtlinien und vieles andere mehr, maßgeblich von den USA initiiert, die ihre eigenen Geldhäuser freilich nur zu einem geringen Teil diesen Maßnahmen unterwerfen. Und in typisch österreichischer Manier wird da und dort noch ein Schäuferl nachgelegt, um ja den gestrengen Augen der neuen Kontrollore keine Angriffsflächen zu bieten.

Was war vor 2008? Auch damals wurde bereits geprüft und kontrolliert – die Revision, die Finanzmarktaufsicht (FMA), Nationalbank, jedoch mit „unterschiedlichen Ergebnissen“ (siehe Hypo Alpe Adria etc.). Und jetzt? Einfach mehr vom Gleichen, mehr Bürokratie, mehr Prüfberichte, die auch gelesen, interpretiert werden wollen und in konkrete Maßnahmen münden sollen? Führt das zum Erfolg? Eine gewisse Orientierungslosigkeit, manchmal sogar Hilflosigkeit scheint der Ratgeber zu sein, besonders auf politischer Ebene.

Nationale Politik kann angesichts der globalen Wirtschafts- und Finanzwelt nur beschränkt wirksam werden. Auf internationaler Ebene stehen Eigeninteressen und kurzfristige Erfolgschancen der Sicht auf das „große Ganze“ entgegen. Siehe etwa Ungarn: Mit rechtlich bedenklichen Rundumschlägen wird in nationalistischer Manier versucht, das Ruder herumzureißen. Oder die Ukraine, die in ihrer politischen Instabilität jede Rechtssicherheit vermissen lässt. Großbritannien verweigert sich der Diskussion um eine Finanztransaktionssteuer aus Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit des Bankplatzes London.

Andererseits: Die Bankenwelt gleichzeitig mit massiven rechtlichen Eingriffen „zu disziplinieren“, durch neue Steuern und Abgaben auf nationaler und internationaler Ebene zu belasten und mit verschärften Eigenkapitalvorschriften höhere Sicherheit anzustreben, gleicht der Quadratur des Kreises.

Und die EU? Kommission und Rat sind, was die Bankenwelt betrifft, dominiert von Vertretern der angelsächsischen Systeme. Genossenschaftlich organisierte Raiffeisenbanken, Gemeindesparkassen oder regionale Volksbanken sind nicht ihr Thema. Aber gerade diese kleinen regionalen Institute sind der Garant für eine gesicherte Finanzierung der Klein- und Mittelbetriebe. Diese wiederum stellen ihre Krisenresistenz, ihre Anpassungsfähigkeit und damit ihre Bedeutung für unser Wirtschaftssystem täglich unter Beweis.

Bürokratische Überwucherung

Aber was kümmert das einen Vorstand einer kleinen Raiffeisenbank in Vorarlberg? Im klein strukturierten ländlichen Raum, mit einer breit gestreuten Kreditnehmerschaft, solidem Handwerk, überschaubarer Risikolage – was sollen da Wien, geschweige denn Brüssel oder gar die fernen USA großen Einfluss nehmen?
Die neuen Vorschriften gelten für alle, die Regulierungsmaßnahmen haben alle zu tragen, die bürokratische Überwucherung lähmt alle. Nicht im gleichen Ausmaß: Je kleiner die Einheit, desto übermäßiger sind die Belastungen. Und man darf die Frage stellen, von welchen Einheiten die großen Probleme ausgegangen sind und ob die vielleicht richtigen Maßnahmen für international tätige Institute auch adäquat sind für örtlich beschränkt agierende Raiffeisenbanken, Sparkassen Volksbanken etc. Die FMA betont zwar die Proportionalität der anzuwendenden Regularien – in der Praxis scheint diese aber nicht wirklich gegeben zu sein.

Nur noch große Brüder?

Wahrscheinlich steckt mehr hinter dieser Regulierungswut. Irgendwann werden sich die kleinen selbstständigen Banken (und andere Wirtschaftsbetriebe) unter dem Kostendruck der auferlegten Maßnahmen „freiwillig“ einem großen Bruder an den Hals werfen.

Aus Brüssel hört man, dass für Europa 30 bis 40 Banken ausreichend wären. Allein in Österreich gibt es zurzeit 800 – mit durchaus positiven Effekten für die Kunden: breite Risikostreuung, gute Konditionen durch scharfen Wettbewerb.

Sollen hier vielleicht einige wenige große, systemrelevante (marktbeherrschende?) Institute geschaffen werden? Größenordnungen, die schwer steuerbar und schon gar nicht mehr kontrollierbar sind. Die natürlich noch ausgefeiltere Systeme, Aufbau- und Ablauforganisationen, Gremien, Beschlussorgane und Ähnliches erfordern. Und wenn sie trotzdem ins Schlingern kommen, sind unabsehbare Kraftakte für die „Rettung“ erforderlich. To big zu fail – nicht, weil sie so stark sind, sondern weil sie im Insolvenzfalle einen todbringenden Dominoeffekt auslösen würden.

Tanker sind träge, reagieren langsam auf erforderliche Kurswechsel. Schnellboote sind wendig und aufmerksam gegenüber Veränderungen, bei guter Kommunikation effizient und im Verbund stark. Kleine Organisationsstrukturen bieten zudem Arbeitsbedingungen, die persönliches Engagement vor hierarchisches Taktieren stellen, ein gelebtes Naheverhältnis von Finanz- und Realwirtschaft verkörpern und regionale Wertschöpfung sichtbar machen.

Machtlos gegen das System

Aber diese Entscheidungen fallen anderswo. Ein Einzelner kann die Systeme nicht ändern, also habe ich mich selbst verändert: ausgestiegen aus der finanziellen Komfortzone eines beachtlichen Einkommens. Eingestiegen in den unbezahlbaren Luxus der eigenen Gestaltung des Tagesablaufs, der Alleinherrschaft über den Terminkalender. Eingestiegen in eine Welt also, in der Blackberry wieder und ausschließlich die süße Frucht eines Beerenstrauches meint . . .

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Wilhelm Sutterlüty (*1957) trat 1980 in die Raiffeisenlandesbank Vorarlberg ein und wechselte im Jahre 1982 in die Raiffeisenbank Mittelbregenzerwald nach Egg. 1989 wurde er zum Geschäftsleiter bestellt, bis zum 30. September 2013 war er Vorstand dieser Bank (300 Millionen Bilanzsumme, rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter).

("Die Presse" Printausgabe vom 10.10.2013)

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