Vorrang für Innenpolitiker - Ein Theater wird das nicht

Was für manche erheiternd wirkt, birgt den Stoff für Fehlentwicklungen. Schafft es Österreich jemals aus dem Schlamassel?

An sich ist eine Zeitenwende Anlass für neue Hoffnungen. Stattdessen treiben Partei- und Persönlichkeitskrisen auf den Zusammenbruch gewohnter Ordnungsprinzipien in der Innenpolitik zu. Was kommt noch alles außer der Not vieler Wähler, die am 22. Mai abermals bis zuletzt unschlüssig sein werden, welchem Präsidentschaftskandidaten sie die Stimme geben sollen? Haben das die Schreiber und Hüter unserer Verfassung eigentlich gewollt?

„Die Presse“ wird davor und danach noch viel Mühe aufwenden müssen, um ihre Kundschaft mit sachlicher Information zu begleiten. Auf eine solche kommt es an, Krisenpanik ist trotz allem nicht nötig. Aber so zu tun, als würden zurzeit bloß lustige politische Wochen veranstaltet, wäre auch eine Themenverfehlung. Eine gute Zeitung ist wie ein guter Porträtmaler: Dessen Modelle werden nicht schöner abgebildet, als sie sind, sondern echter, selbst wenn der Künstler den Pinsel ohne Mitleid führt.

Die Journalisten müssen nicht gleich so nervös werden, dass sie bei der Aufzählung von ÖVP-Chefs den Vornamen des jetzigen verwechseln. Mitterlehner heißt er, aber nicht Josef, wie geschrieben steht, sondern Reinhold (23.4.). Oder dass drei Buchstaben vertippt werden, wenn sie über die rasanten Wählerströme zwischen den Parteien berichten, sodass man liest: „Gleichzeitig lud er sozialdemokratische Wähler auf, zu uns zu kommen“ (2.5.). Eingeladen hat er sie, nicht auf- und wohl auch nicht umgeladen.

***
Gedankenstriche haben eine wichtige Funktion, sehr oft legen sie sich aber quer. Die Überschrift eines Leitartikels lautet „Das Problem der SPÖ ist nicht – nur – Werner Faymann“ (3.5.). Schon staut es sich in den Nervenbahnen des Gehirns, denn dieses fragt nach, ob die Gedankenstriche nicht besser auf folgende Weise positioniert werden sollten: „Das Problem der SPÖ ist – nicht nur – Werner Faymann“. Ehe die grauen Zellen Antwort geben, haben sie die zwei Gedankenstriche schon gemordet und schlagen vor: „Das Problem der SPÖ ist nicht nur Werner Faymann“. Das liest sich leicht, und niemandem geht etwas ab. Wäre ja ewig schade, würde ein Leser oder eine Leserin bloß wegen zweier Querstriche den aufschlussreichen Artikel nicht gelesen haben.

Inzwischen meldet sich mein Gehirn noch einmal und fragt mich, ob ich zu einem krankhaften Sprachpurismus neige und deshalb Gedankenstriche für bedenklich halte? Wieder einmal scheint etwas an mir zu liegen.

Ein kurzer Bindestrich ist andererseits selbst dann brauchbar, wenn er keiner Regel entspricht und dennoch Klarheit schafft. „Ursula Stenzel wird nicht amtsführende Stadträtin“ (4.5.). Wird sie es, oder wird sie es nicht? Der Tag mit der „Presse“ beginnt nachdenklich. So könnte er sich aufhellen: Stenzel wird eine nicht-amtsführende Stadträtin.

***
Leser sind an Basisinformationen interessiert. Sie wollen etwa wissen, wie alt Kandidaten sind, die gewählt werden wollen. Bei der Vorstellung von sechs möglichen Nachfolgern von SPÖ-Chef Werner Faymann hapert es. „Der Jüngste ist der 60-jährige Wiener Gerhard Zeiler zwar auch nicht mehr – Christian Kern oder Peter Kaiser würden frischer wirken“, heißt es (3.5.). Aha. Aber ausgerechnet von Kern und Kaiser erfahren wir das Alter nicht, und auch das von Andreas Schieder bleibt verborgen.

Fast möchte ich den Mathematiker Rudolf Taschner fragen, ob sich aus dem zitierten Satz über Zeiler das Alter der anderen errechnen lasse. Geradezu selbstlos springt Brigitte Ederer den Journalisten bei. „Ich bin eine alte Frau“, habe die 60-Jährige zu ihnen gesagt. Das wenigstens ist geklärt. Hans Peter Doskozil ist 45, eine in ihrer Einfachheit kluge Angabe.

Ein Gustostück rätselhafter Bildbeschreibung liefert die Außenpolitik aus Tobruk in Libyen (20.4.). Abgebildet sind eine Frau und drei Männer. Zwei Männer werden mit Namen genannt, aber nur einer von dreien wird als „Zweiter von links“ kenntlich gemacht. Wo sitzt der Zweite mit Namen, und wer sind die Namenlosen? Der senkrechte Spalt im breiten Bild hilft auch nicht weiter.

***
Eine anspruchsvolle Zeitung wie „Die Presse“ beschränkt sich nicht auf europäische Nabelbeschau. Ist das Flüchtlingsproblem Thema Nummer eins in Europa geworden, so relativiert eine eindrucksvolle Jordanien-Reportage wie „Das Wüstenkönigreich kann nicht mehr“ zum passenden Zeitpunkt das Ausmaß solcher Katastrophen: 1,26 Millionen Syrer und 630.000 Irakis fristen in Jordanien ihr Leben, zum Teil in Zeltlagern (12.4.).

***
Die Autokarosserie würde sich „ungewollt in seine Einzelteile zerlegen“ (30.4.) In ihre Einzelteile wäre richtig.

„In den Umfragen liegt Lugner aussichtlos zurück“ (20.4.). „Zurück“ gibt eine Richtung an, „hinten“ ist auch eine schönes und treffendes Wort.

„Anders als die meisten Maler verzichtet der niederländische Meister (Salomon Koninck, Anm.)auf jegliche Darstellung des Königs und des Schloss“ (3.4.). Da fehlt etwas, ich läse lieber „des Schlosses“.

André Malraux' Bildband heißt richtig „Le Musée imaginaire“ und nicht „Le Musée imaginair“ (27.4.). Und der Demel schreibt sich nach der k. u. k. Hofzuckerbäckerei Demel noch immer ohne h (20.4.).

Die Arbeiterkammer wünscht sich „eine aufgabenorientierte Verteilung der Budgetmitteln“(22.4.). Ein n zu viel macht einen falschen Genitiv.

Ein Ägyptologe „promovierte mit sub auspiciis“ (16.4., Wissen). Er promovierte sub auspiciis (praesidentis), also unter dem Ehrenschutz des Bundespräsidenten.

***
Vor längerer Zeit warnte ich in der „Spiegelschrift“ vor abgegriffenen Phrasen und zählte drei auf: „nachvollziehbar“, „Nägel mit Köpfen machen“ und irgendetwas „einläuten“. Es ist Zeit, die Liste zu ergänzen. „Man muss sich austauschen und die Pluralität der Möglichkeiten schätzen“, heißt es (20.3.), und: „Man findet sehr schnell Gleichgesinnte, man kann sich austauschen“ (27.3.). Es laufen so viele ausgetauschte Menschen herum.

In geradezu inflationärer Weise wird etwas „angedacht“. Sozialminister Stöger hat ein Verbot der Bankomatgebühren angedacht, Innenminister Doskozil denkt höhere Gehälter für Milizsoldaten an. Wer andenkt, hat aber noch lange nichts erledigt.

„Vor Ort“ ist ein Fachausdruck aus dem Kohlenbergbau und wird unüberlegt in alle möglichen Lebenslagen eingepasst. Geradezu absonderlich: „Mindestens 70 niederländische Kinder seien in IS-Gebiete gebracht oder vor Ort geboren worden“ (3.5.).

Um wie viel ist „proaktiv“ aktiver als aktiv? Niemand, der „proaktiv“ sagt, hat je darüber nachgedacht. Im Interview mit dem Präsidentschaftskandidaten Andreas Khol bemerkt die Journalistin: „Sie binden Ihre Familie proaktiv in den Wahlkampf ein“ (16.4.). Schon, aber genützt hat es ihm wenig.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.