Vielfrontenkrieg gegen die Wissenschaft

Alternative Fakten, demonstrative Ignoranz, wilde Verschwörungstheorien: Damit die Stimme der Vernunft nicht zu leise wird, muss die Wissenschaft ihren Anspruch auf besseres Wissen verteidigen. Aber wie?

Ist die amerikanische Demokratie stark genug für Donald Trump? Diese Angstfrage warf vor Kurzem Francis Fukuyama auf und lud dazu ein, den neuen Präsidenten als Stresstest für die demokratischen Institutionen zu verstehen. Der US-Politologe, der einst mit seiner These vom „Ende der Geschichte“ für Furore gesorgt hatte, ließ keinen Zweifel daran, dass er Trump für einen denkbar unpassenden Repräsentanten der Demokratie hält.

Doch mit Blick auf die Stabilität der Demokratie gibt Fukuyama Entwarnung. Schließlich funktioniere das System von „checks and balances“, die Gerichte seien nach wie vor unabhängig, und außerdem erlaube der Föderalismus politische Alternativen.

Die Furcht der Wissenschaft

Sicher, die Demokratie mag sogar Figuren wie Trump problemlos verkraften – und dennoch: Eine zentrale Institution der modernen Demokratie, die Wissenschaft, fürchtet sich vor einer neuen Ära der Vernunft- und Wissenschaftsfeindlichkeit. Vollkommen grundlos ist diese Furcht nicht.

Ein Präsident, der verschiedentlich behauptete, dass der Klimawandel eine Erfindung der Chinesen sei und Impfen zu Autismus führe, vermittelt leicht das Gefühl, dass wir in einem postfaktischen Zeitalter angekommen sind – einer Ära, in der Tatsachen weithin als Glaubenssache und rationale Argumente als Zumutung gelten.

Wenig Hoffnung macht auch, dass Trump mit Scott Pruitt ausgerechnet einen Klimawandel-Leugner zum Chef der Umweltbehörde EPA gemacht hat. Im Wahlkampf hatte Trump bereits das Versprechen abgegeben, 100 Millionen Dollar bei der Förderung der Klimaforschung einzusparen. Dagegen machen die Wissenschaftler mobil. Amerika führe einen Krieg gegen die Wissenschaft, erklärte der Direktor der California Academy of Sciences, Jonathan Foley.

Mit der Fixierung auf den skurrilen US-Präsidenten droht freilich aus dem Blick zu geraten, dass wissenschaftsfeindliche Stimmungen und Strömungen schon länger Konjunktur haben. Das Phänomen des „Denialism“ (so viel wie „Leugner-Bewegung“) ist älter als Trumps Wahlerfolg. Zu dieser Bewegung der Vernunftgegner zählen Kreationisten, die die Evolutionstheorie ablehnen, aber auch radikale Impfgegner oder Klimawandel-Leugner. Sie alle lehnen allgemein anerkannte Einsichten der Mainstream-Wissenschaft zugunsten obskurer Verschwörungstheorien oder Ideologien ab.

Die reaktionären Wissenschaftsskeptiker basteln an einer Parallelwelt, in der Logik, Zahlen und rationale Begründungen nicht mehr gelten. Subjektiv sind sie überzeugt davon, eine Graswurzelbewegung gegen die Eliten und das „Establishment“ anzuführen, und preisen ihre bizarren Glaubenslehren als überlegenes Wissen an.

Heraus aus der Komfortzone

Dieser eigenartige Wissenspopulismus findet aktuell seine Parallele auf politischer Ebene, in Gestalt der sogenannten Reichsbürger. Diese rasant anwachsende Bewegung versucht, auf Basis einer demokratie- und staatsfeindlichen Ideologie politische Parallelstrukturen aufzubauen.

Gegen den Wissenspopulismus regt sich nun Widerstand. Rush Holt, Chef der bedeutenden Wissenschaftlervereinigung AAAS, appellierte an die Wissenschaftler, sich aus ihrer Komfortzone herauszubewegen und die politische Herausforderung anzunehmen. Für den 22. April ist ein Wissenschaftler-Marsch angesetzt, der in Washington und in vielen Städten weltweit stattfinden wird.

Auch in Wien will die Wissenschaft marschieren. In Österreich ist der Straßenprotest wohl vor allem als Solidaritätskundgebung mit den US-Kollegen zu verstehen.

Ob die Straße allerdings der richtige Ort ist, um gegen eine „Fake News“-Kultur und die drohende Marginalisierung der Wissenschaft anzukämpfen, ist umstritten. Kritiker wenden ein, dass auf diese Weise die Wissenschaftler lediglich als eine weitere Interessengruppe angesehen werden, wenn nicht gleich als Parteigänger der Demokraten. Dies könnte weit verbreitete Ressentiments gegen die „elitäre“ Wissenschaft verstärken und damit die Chancen auf Dialog vollends zunichtemachen.

Ein paradoxer Effekt: Indem man gegen die Politisierung der Wissenschaft auf die Straße geht, könnten die Bewegungswilligen – ohne es zu wollen – zur Politisierung der Wissenschaft beitragen. Die Wissenschaft – nichts anderes als Politik mit anderen Mitteln. Genau dies dürfte im Übrigen das Wissenschaftsbild eines Donald Trump sein.

Kampf gegen die Ignoranz

Die Wissenschaft, so forderte zuletzt der US-Geologe Robert S. Young in der „New York Times“, sollte besser nicht nach Washington marschieren, sondern in die Gemeinden, in die Schulen und in die Büros der politisch Verantwortlichen, um für ihre Rationalitätsstandards zu werben. Der Kommunikationswissenschaftler Matthew Nisbet plädiert dafür, dass sich Universitäten viel stärker für die Entwicklung lokaler Medien engagieren sollen, denen die Leute vertrauen. Durch den Niedergang lokaler Zeitungen in vielen Regionen Amerikas seien die Leute auf Nachrichtensender wie Fox News angewiesen, weil Zeitungen wie die „New York Times“ von den sozial Abgehängten ohnehin als elitär abgelehnt werden.

All diese Empfehlungen werden jedoch nicht ausreichen, um das Vertrauen in die Wissenschaft zurückzugewinnen. Der Kampf gegen platte Verschwörungstheoretiker und tumbe Wissenschaftsignoranten lädt zum Rückfall in den Wissenschaftsabsolutismus ein.

Wer den Leuten predigt, dass die Wissenschaft im Besitz absoluter Wahrheit ist, macht sie zur säkularen Religion. Wer evidenzbasierte Politik mit dem Versuch verwechselt, die Freiheitsgrade der Politik durch überlegenes Expertenwissen einzuschränken, redet der Expertokratie das Wort.

Protestmärsche reichen nicht

Es reicht heute nicht mehr aus, auf Wahrheit zu pochen und die Leute mit Daten, Fakten und neuesten Erkenntnissen zu überwältigen. Längst haben die Laien gelernt, dass es in vielen wichtigen Fragen zu jeder Expertise eine (wissenschaftliche) Gegenexpertise gibt und dass die Wahrheit eine recht begrenzte Halbwertszeit hat.

Wissenschaftler müssen zeigen, warum und auf welchem Wege sie zu ihren Erkenntnissen gelangt sind, auf Basis welcher Vorannahmen und Überzeugungen, und welche Alternativen jeweils denkbar wären. Auch wenn es elitär klingen mag: Die Wissenschaft, wenn sie einen Wert für die Demokratie behalten will, muss ihren traditionellen Anspruch auf besseres Wissen verteidigen. Sie muss ihre Überlegenheit gegenüber Dogmen, Vorurteilen und Ideologien demonstrieren.

Dies aber wird nur gelingen, wenn ihre Aufklärung auch Informationen über ihr eigenes Nichtwissen und rationale Gegenpositionen umfasst. Um Vertrauen zurückzugewinnen, werden Protestmärsche nicht ausreichen. Es bedarf eines Kulturwandels innerhalb der Wissenschaft.

E-Mails an: obfuscationcom" target="_blank" rel="">debatte@diepresse.com

Der Autor

Alexander Bogner
(*1969 in München) studierte Soziologie an den Universitäten Salzburg, Marburg und Frankfurt am Main. Seit 2011 arbeitet er am Institut für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Sein jüngstes Buch: „Gesellschaftsdiagnosen. Ein Überblick“, Beltz Juventa).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2017)

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