Gastkommentar

Die Orbánisierung Österreichs und Europas

Auf EU-Ebene wie in EU-Mitgliedstaaten sind verstärkt Versuche zu beobachten, die Existenzgrundlage von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu beschneiden. Dem sollte mit entschlossenem Widerstand begegnet werden.

Die politische Repression durch die Autokraten unserer Tage verläuft stets nach demselben Muster: Zuerst werden politische Gegner diskreditiert, dann staatliche Institutionen angegriffen und kritische Medien neutralisiert. Parallel dazu werden zivilgesellschaftliche Organisationen unter Druck gesetzt.

Wir beobachten dies in vielen Staaten der Welt – seit einigen Jahren aber auch mitten in Europa: Ungarn ist unter Viktor Orbán ein Vorreiter dieser Entwicklung geworden. Sehr rasch wurde unliebsamen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die von staatlicher Finanzierung abhängig sind, der Geldhahn abgedreht.

Nach russischem Vorbild wurde ein eigenes Gesetz beschlossen, mit dem NGOs, die überwiegend Geld aus dem Ausland empfangen, gezwungen werden, dies in einer Art Selbstbezichtigung öffentlich zu deklarieren. In Russland geht es noch weiter, dort muss man sich in solchen Fällen als „ausländischer Agent“ registrieren – ein Begriff aus der stalinistischen Zeit!

Unerlässliches Korrektiv

Die Organisationen, die am stärksten angegriffen wurden, waren im Bereich der Flüchtlingsbetreuung tätig. Deren freiwillige Helferinnen und Helfer mussten zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise schier Übermenschliches leisten, weil der Staat nicht nur überfordert war, sondern vielfach sogar Lösungen behindert hat – auch in Österreich.

Hilfsorganisationen und Hunderttausende Ehrenamtliche sind ein Pfeiler des Staates und der Demokratie, manchmal aber auch ein unerlässliches Korrektiv der Mächtigen. Ohne eine kritische Zivilgesellschaft gäbe es heute kein Frauenwahlrecht, das AKW Zwentendorf wäre in Betrieb, der Nationalpark Donauauen nicht vorhanden.

Doch die einst hart erkämpften politischen Freiheiten werden von illiberalen Kräften Stück für Stück beschnitten. Autoritäre Regierungen in Ungarn, Polen oder der Türkei demontieren die Grundlagen der Demokratie und der Freiheit. Überall ist das Muster das gleiche: Zuerst werden Grundpfeiler der Rechtsstaatlichkeit wie unabhängige Gerichte ausgehebelt, dann unabhängige Medien und Bürgerrechte wie das Demonstrationsrecht infrage gestellt.

Innenminister Wolfgang Sobotka plante nach dem Vorbild Viktor Orbáns, seines Parteifreundes aus der Europäischen Volkspartei, auch in Österreich einen Angriff auf demokratische Rechte. Er griff nach dem Urteil rund um die dritte Flughafenpiste in Wien-Schwechat unabhängige Gerichte an und will weiterhin das Versammlungsrecht stark beschneiden. Das wäre ein Dammbruch, dem eine Welle des Abbaus von Bürgerrechten folgen könnte.

Staat als Spendenkontrolleur

Im Herbst 2016 hat „Lebensminister“ Andrä Rupprechter einen Vorstoß gemacht, nach dem NGOs gesetzlich gezwungen werden sollten, alle ihre Spenden offenzulegen. Gefragt, ab welcher Spendenhöhe das gelten sollte, meinte er in einem Interview: „Ab 1 Cent. Transparenz muss für alle gelten, auch für Vereine und Stiftungen.“

Was also für politische Parteien explizit nicht gilt, will der Minister zivilgesellschaftlichen Organisationen vorschreiben. Gerade kleine Spenden würden dann nicht mehr Privatangelegenheit bleiben, sondern könnten vom Staat kontrolliert werden.

Rupprechter ist mit seinem Vorstoß nach heftigen Protesten zunächst gescheitert. Es ist aber alles andere als sicher, dass solche Ideen bei anderen Mehrheitsverhältnissen nicht bald wieder auf den Tisch kommen. So haben in den letzten Jahren Abgeordnete der FPÖ im Nationalrat Serienanfragen zu Organisationen aus dem Sozial-, Menschenrechts- und Umweltbereich gestellt und deren Förderungswürdigkeit infrage gestellt. Dem Muster Orbáns folgend, könnte es also für unliebsame Organisationen bald zu Kürzungen von Förderungen oder der Abgeltung gemeinnütziger Dienstleistungen kommen.

Dazu kommt noch, dass etliche große Konzerne oft Hand in Hand mit staatlicher Politik agieren und zu Akteuren der Repression werden: Am 14. September 2017 wurde im Europaparlament über Anträge der Europäischen Volkspartei abgestimmt, mit denen all jenen Organisationen jede weitere finanzielle Unterstützung entzogen werden soll, die „Unwahrheiten“ verbreiten und deren Ziele „im Gegensatz zu den fundamentalen Werten und den Politikzielen der EU“ stehen. Hinter diesen Anträgen stehen unter anderem Konzernlobbyisten für Freihandel und für Glyphosat.

EU als Wahrheitskommission?

Wir haben es hier mit einer europäischen Variante der Orbánisierung zu tun: Was „die Wahrheit“ ist, könnte dann in Zukunft die EU-Kommission bestimmen, und Kritik an politischen Zielen der EU, die vielleicht zu unfairen Handelsbeziehungen oder dem Einsatz krebserregender Pestizide führen, aber etwa auch der konsequente Einsatz für Menschenrechte von Flüchtlingen könnten als Widerspruch zu den politischen Zielen der EU gewertet werden und die Streichung von Förderungen zur Folge haben.

Diese auch von allen anwesenden österreichischen EU-Parlamentariern der ÖVP unterstützten Anträge wurden zwar mehrheitlich abgelehnt. Aber auch hier kann sich der Wind bei wechselnden Mehrheitsverhältnissen rasch drehen. Es ist auch nicht mehr allzu verwunderlich, dass Orbáns Partei noch immer Mitglied der Europäischen Volkspartei ist. Anstatt den Fidesz zur Einhaltung demokratischer Grundprinzipien zu zwingen, nähert sich die EPP Viktor Orbán immer mehr an.

Der Erpressung entziehen

Was ist die Antwort auf die fortschreitende Orbánisierung Österreichs und Europas? Gegen jeden Versuch, demokratische Grundrechte mit Füßen zu treten oder die Existenzgrundlage von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu beschneiden, muss entschlossen Widerstand geleistet werden! Denn viele Organisationen, die wichtige Arbeit leisten, engagieren sich für Europa – aber eben für ein sozialeres und ökologischeres Europa.

Mit den autoritären Maßnahmen, die im Moment gegen die NGOs ausgeheckt werden, ist aber zu befürchten, dass es in Zukunft zu erheblichen Einschränkungen kommen könnte. Daher wird es entscheidend für die Unabhängigkeit und Resilienz von zivilgesellschaftlichen Organisationen sein, in wesentlich stärkerem Ausmaß als bisher auf private Kleinspenden zu setzen.

Greenpeace und Amnesty International zählen zu den wenigen Organisationen, die sich schon bei ihrer Gründung entschlossen haben, weder vom Staat noch von Unternehmen Geld zu nehmen. Durch ihre strikte Unabhängigkeit sind die beiden Organisationen zum Beispiel in Ungarn heute unter den wenigen relevanten Organisationen, die in Zeiten staatlicher Repression ein nicht erpressbares Sprachrohr der Zivilgesellschaft sein können und so in der Lage sind, die Stimme für den gesamten Sektor zu erheben.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Alexander Egit (* 1962) hat Politikwissenschaften, Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert und ist seit 2006 Geschäftsführer von Greenpeace in Zentral- und Osteuropa, mit Büros in Österreich, Polen, Ungarn, Slowakei, Slowenien, Kroatien, Rumänien und Bulgarien. Davor war Egit auf internationaler Ebene, unter anderem in China, für Greenpeace tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2017)

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