Gastkommentar

Klimaschutz: Österreich hat seine Ziele verfehlt

20 Jahre nach Verabschiedung des Kyoto-Protokolls sieht die österreichische Bilanz aus Sicht der Klimawissenschaft trist aus.

Dass der Klimawandel ein Problem darstellt, dessen Bewältigung Anstrengungen auf globaler, nationaler und lokaler Ebene erfordert, wissen wir. Heute vor 20 Jahren, am 11. Dezember 1997, wurde nach zähem Ringen von den UN-Mitgliedstaaten in Japan das Kyoto-Protokoll verabschiedet. Es war die erste Vereinbarung unter der bereits 1992 – also vor 25 Jahren – verabschiedeten Klimarahmenkonvention, die rechtlich verbindliche Treibhausgas-Reduktionsziele enthält.

Insgesamt verpflichteten sich die unterzeichnenden Staaten damals zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen um fünf Prozent bis zum Jahr 2012, bezogen auf das Niveau von 1990. Zusätzlich wurde mit dem „Clean Development Mechanism“auch ein Instrument geschaffen, das maßgeblich dazu beigetragen hat, Investitionen in klimafreundliche Technologien in Entwicklungsländern zu fördern. 2013 ging das Kyoto-Protokoll in eine Verlängerung, die noch bis zum Jahr 2020 andauert.

Welche Bilanz müssen wir nach diesem ersten Vierteljahrhundert des internationalen Klimaschutzes aus Sicht der Klimawissenschaft ziehen? Allen bisherigen Reduktionsbemühungen zum Trotz liegen die weltweiten Treibhausgasemissionen heute um 60 Prozent höher als 1990. Wären die internationalen Bemühungen um den Klimaschutz ein wirtschaftliches Unternehmen, schriebe es 25 Jahre nach der Gründung noch immer rote Zahlen und hätte wohl längst Konkurs angemeldet.

Hausaufgaben nicht erledigt

Und wie sieht es mit der Performance der „Tochterfirma Austria“, den Erfolgen des österreichischen Klimaschutzes, aus? Österreichs erste Kyoto-Hausaufgabe, eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 13 Prozent bis 2012 zu erreichen, wurde zunächst auf die lange Bank geschoben und dann schlichtweg nicht erledigt. Während die Industriestaaten und auch die EU ihre Ziele zum Teil sogar übererfüllt haben, hat Österreich sein Ziel verfehlt. Die Emissionen lagen am Ende der Kyoto-Periode sogar über dem Niveau von 1990. Die „fehlenden“ Emissionsreduktionen mussten durch den Zukauf von Emissionsrechten in der Höhe von über 400 Millionen Euro ausgeglichen werden.

Mit vorausschauendem Weitblick hätte diese Summe ebenso gut in die eigene „Firma“, also in österreichische Klimaschutzprojekte, investiert werden können. Auch für die Zielerreichung der bis 2020 laufenden zweiten Kyoto-Verpflichtungsperiode sowie die Erreichung der Ziele des EU-Klima- und -Energiepakets 2020 zeichnet sich ein wenig euphorisch stimmendes Ergebnis ab.

Österreich muss eine Reduktion der Treibhausgasemissionen von 16 Prozent bezogen auf das Jahr 2005 erreichen. Laut Europäischer Umweltagentur befindet sich Österreich nicht „auf Schiene“, selbst dieses moderat gesetzte Reduktionsziel zu erreichen.

Zusammenfassend kann man festhalten: Seit Abschuss der UN- Klimarahmenkonvention 1992 und 20 Jahre nach Kyoto hat Österreich also de facto keine Tonne Treibhausgasemission reduziert. 2015 betrugen die Treibhausgasemissionen 78,9 Mio. Tonnen CO2, 1990 waren es 78,8 Mio. Tonnen CO2.

Inzwischen schreitet der Klimawandel global wie auch in Österreich hurtig voran, die Auswirkungen werden immer deutlicher spürbar. 2014, 2015 und 2016 waren global betrachtet die wärmsten Jahre seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen.

Es gibt Anlass zur Besorgnis, dass Österreich hartnäckig an seinem mangelnden Umsetzungswillen festhält. Auch vor dem Hintergrund, dass das Erreichen der moderaten Zielsetzungen des Kyoto-Protokolls im Vergleich zur Strecke, die vor uns liegt (dem Weg in Richtung 2°C-Ziel und wenn möglich 1,5 °C des Pariser Klimaabkommens), ein leichtes Aufwärmtraining gewesen wäre.

Kein Weg aus der Misere

Die EU bekennt sich mit dem Pariser Abkommen dazu, ambitionierte, große Schritte in Richtung Dekarbonisierung der Gesellschaft bis 2050 zu gehen. Die neue Hausaufgabe lautet: Reduktion der Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050.

Doch wie gehen wir das an? Für Klimaerfolgseuphemismen und Scheinerfolge ist es eindeutig zu spät. Auch der Kniff, sich mit Klimazielen am politisch „sympathischeren“, weil rechnerisch günstigeren Basisjahr 2005 zu orientieren, in dem Österreichs Emissionen auf historischem Höchststand waren, wird nicht aus der Misere helfen. Oder wie es der Klimaforscher Kevin Anderson vor vier Wochen treffend bei der Klimakonferenz in Bonn ausdrückte: „Nature can not be fooled“.

Jetzt sind politischer Umsetzungswille und Kreativität das Gebot der Stunde, um sicherzustellen, dass die globalen Emissionen nach 2020 nicht weiter ansteigen werden. In den nächsten fünf Jahren der anstehenden Legislaturperiode gilt es, die Weichen für eine dekarbonisierte Zukunft in Österreich zu stellen.

Langfristige Strategie fehlt

Auch wenn punktuell durchaus beachtliche Erfolge erzielt wurden, etwa bei Gebäuden oder in der Abfallwirtschaft, und wir über etliche in der Umwelttechnik vorbildliche Betriebe verfügen, fehlt doch eine ambitionierte, langfristige Klima- und Energiestrategie, die zu einer wirtschaftlich und sozial verträglichen Dekarbonisierung führt.

Klimaschutz und Klimawandelanpassung weiterhin als politische Stiefkinder zu behandeln, birgt auch ein wirtschaftliches Risiko: Einerseits ist mit jährlichen Folgekosten in Milliardenhöhe zur Eindämmung der Klimawandelfolgen zu rechnen; andererseits zeigen Studien, dass zeitgerechte Emissionsminderungsmaßnahmen wirtschaftlich wesentlich verträglicher sind. Wie wir auf den Klimawandel reagieren, wirkt sich auf die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Österreich aus.

Die Herkulesaufgabe Klimaschutz muss als gesellschaftliche Chance erkannt werden, die zahlreichen nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Innovationen Tür und Tor öffnet. Zu erwähnen ist auch, dass diese Aufgabe eng an die Lösung etlicher weiterer nachhaltiger Entwicklungsziele der UNO geknüpft ist – wie Beendigung von Armut, Hunger und Ungleichheit, lebenswerte Städte, leistbare Energie, nachhaltige Erwerbstätigkeit, Infrastruktur, Konsum- und Produktionssysteme. Hier warten zahlreiche Synergien darauf, genutzt zu werden.

Lösungsansätze gäbe es genug

Es ist längst an der Zeit, dass wir uns allein aus humanitären Gründen zum Handeln verpflichtet fühlen und unseren Beitrag zum „Friedensprojekt Klimaschutz und Klimawandelanpassung“ leisten. Und es ist an der Zeit, dass Österreich mit einer zukunftsweisenden Klimapolitik wieder den Anschluss an die Weltspitze gewinnt.

Lösungsansätze gibt es viele. Zahlreiche Länder, Städte und Regionen weltweit machen es vor. Das Zeitalter der Dekarbonisierung ist eingeläutet. Wir müssen nur hinhören.

Dieser Beitrag ist unter Mitwirkung von Dr. Renate Christ, DI Benedikt Becsi, Prof. Dr. Herbert Formayer und Prof. Dr. Georg Kaser entstanden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Autorin

Dr. DI Sybille Chiari ist Wissenschaftlerin am Zentrum für globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der Uni für Bodenkultur, Wien, Mitglied der Arbeitsgruppe Klimakommunikation des Climate Change Centre Austria. Sie erforscht Wirkmechanismen und potenzielle Katalysatoren für die Transformation hin zu einer dekarbonisierten Gesellschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.