Gastkommentar

Leute in den Knast schreiben: Justiz und Medien als Alliierte?

Jüngste (Verschwörungs-)Theorien unterstellen der Justiz eine bewusste Zusammenarbeit mit Medien. Was ist wahr dran?

Österreichische Medien „schreiben bestimmte Personen schon seit Jahren in den Knast“. Die österreichische Justiz wirkt bei diesem „medialen Rufmord“ mit. Was klingt wie ein Auszug aus einer Presseaussendung der Pegida, stammt von zwei seriösen Gutachtern und hat einen durchaus ernsten Hintergrund.

Nicht ganz zufällig kurz vor dem geplanten Beginn des sogenannten Grasser-Verfahrens haben die beiden Verteidiger von Karl-Heinz Grasser, Manfred Ainedter und Norbert Wess, zwei Gutachten präsentiert, die beweisen sollen, dass ihr Mandant in Österreich kein faires Verfahren mehr zu erwarten hätte.

Für den deutschen Anwalt Ralf Höcker ist der Fall klar: Karl-Heinz Grasser sei seit Jahren für vogelfrei erklärt und von den Medien längst verurteilt. Die Universitätsprofessorin Katharina Pabel geht noch weiter und erhebt in ihrem Gutachten schwere Vorwürfe auch gegen die Justiz: „Die Berichterstattung wurde von den staatlichen Stellen erheblich unterstützt und zum Teil erst ermöglicht“, schreibt sie. Eine Klage gegen die Republik Österreich sei nicht auszuschließen.

„Täter noch vor dem Urteil“

Zweifelsohne wird im „Gerichtssaal der Öffentlichkeit“ rasch geurteilt. Die medienrechtliche Zauberformel „Es gilt die Unschuldsvermutung“ hat sich dabei längst in ihr Gegenteil verkehrt und erklärt den Beschuldigten fast automatisch zum „Täter vor dem Urteil“ (Anwalt Lorenz Schulz). Der Betroffene mag den Prozess vor Gericht gewinnen, im Gerichtssaal der Öffentlichkeit kann er längst verloren haben.

Haben also die Grasser-Anwälte recht, wenn sie Medien und Justiz massiv kritisieren? Sind wir tatsächlich so weit, dass bei sogenannten clamorösen Fällen aufgrund einer verschwörerischen Kooperation zwischen Medien und Justiz kein faires Verfahren mehr stattfinden kann?

Nun haben Anwälte das Recht und sogar die Pflicht, alles zu unternehmen, was dem Mandanten helfen kann, doch hier gehen die Grasser-Anwälte zu weit. Wer wie Grasser die Medienorgel selbst immer nach allen Regeln der Kunst bespielt hat, muss damit leben, dass seine „super saubere“ Performance von einer kritischen Öffentlichkeit hinterfragt wird. In einer medialisierten Welt ist Gerichtsöffentlichkeit nun einmal Medienöffentlichkeit.

Eindeutige Regelverstöße

Medienschelte ist schon seit Längerem en vogue. Neu ist der Vorwurf der bewussten Zusammenarbeit zwischen Medien und Justiz. Und längst sind es nicht mehr nur die Ultrarechten, die eine Verschwörung zwischen Medien und Justiz (t)wittern.

Das heißt aber nicht, dass sich nicht auch Medien der Kritik zu stellen hätten. „Medialer Rufmord“, „Medienpranger“, „bürgerlicher Tod“ durch unverantwortliche Medienberichterstattung kommen immer wieder vor.

Hier nur einer von vielen Fällen: Einem meiner Mandanten wurde in einer anonymen Anzeige sexuelle Belästigung von Mitarbeiterinnen vorgeworfen. Nachdem eine führende österreichische Tagezeitung aus der anonymen Anzeige zitierte, konnte mein Mandant nicht mehr auf die Straße gehen. Er und seine Familie mussten mit Beschimpfungen und Bedrohungen leben. Die Tatsache, dass sich dieses anonyme Schreiben als völlig substanzlos herausstellte, war dann keine Berichterstattung mehr wert.

Schlimmer noch als solche klaren Regelverstöße, gegen die man zumindest medienrechtlich vorgehen kann, sind Journalisten, die sich als moralische Instanzen verstehen und sich auch außerhalb eines Kommentars moralische Urteile anmaßen. Jüngstes Beispiel dafür ist die mediale Berichterstattung in der Causa Pilz, bei der einzelne Medien noch vor jeglichem Wissen über die eigentliche Faktenlage den Rücktritt von Peter Pilz forderten.

Ähnlich fragwürdig sind Redaktionen, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen und Berichte veröffentlichen, die zu vier Fünfteln aus Gerüchten und Verdächtigungen bestehen und die Positionen der Verdächtigten nur mit einem Satz erwähnen, der da lautet: „Der Verdächtigte weist alle Vorwürfe von sich.“

Weder gegen die Moralkeule noch gegen professionelle „Gerüchteberichterstattung“ ist es möglich, medienrechtlich vorzugehen. Hier können nur die Medienkonsumenten selbst steuern, indem sie für seriöse redaktionelle Berichterstattung zahlen und damit den immer kleiner werdenden Redaktionen wieder die Mittel in die Hand geben, um ordentliche Recherchen durchzuführen; und jene Medien meiden, die moralische Entrüstung mit Rechtsprechung verwechseln.

Berechtigte Medienkritik

Es gibt also Gründe für eine fundierte Medienkritik in Österreich. Es gibt aber keinen Grund für Verschwörungstheorien. Auch nicht im Fall Karl-Heinz Grasser.

Die deutschen Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger und Thomas Zerback untersuchen seit 2009 den Einfluss der Medien auf Richter und Staatsanwälte. Das Ergebnis sollte auch für den Ex-Finanzminister beruhigend sein: Intensive Medienberichterstattung habe zwar Auswirkungen auf die Geschwindigkeit von Verfahren und das Strafausmaß, nicht aber auf die Urteilsfindung selbst. Ob schuldig oder unschuldig im strafrechtlichen Sinne, diese Entscheidung wird immer noch im Gerichtssaal selbst und nicht im Gerichtssaal der Öffentlichkeit getroffen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR




Alfred Autischer
(geb. 1958 in Lienz) studierte Sprach- und Kommunikationswissenschaften in Salzburg. Er ist Gründer und Partner von Gaisberg Consulting und hat sich auf die rechtssichere Kommunikation in Streit- und Krisenfällen spezialisiert. Er fungierte zuletzt unter anderem
als Sprecher der Heta Asset
Resolution AG. [ Gaisberg/Peter Rigaud ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.