Gastkommentar

Luthers Mahnung: „Das Wort sie sollen lassen stahn!“

Zum Vorstoß des Papstes, den Wortlaut des Vaterunsers abzuändern.

Dieser Papst begeistert viele, auch Protestanten. Sein Reformeifer erzeugt in der eigenen Kirche Aufbruchstimmung und weckt in der Ökumene Hoffnungen. Franziskus ist spontan, herzlich und meinungsfreudig, aber nicht unbedingt theologisch sattelfest. Das beweist sein Vorstoß, den Wortlaut des Vaterunsers abzuändern.

Statt: „Führe uns nicht in Versuchung“ solle es besser heißen: „Lass uns nicht in Versuchung geraten.“ Der Papst folgt den französischen Bischöfen, die kürzlich die französische Übersetzung des Vaterunsers in diesem Sinne verändert haben. Die bisherige italienische und die deutsche Übersetzung hält Franziskus dagegen für schlecht.

Er nennt dafür allerdings keine philologischen Gründe, sondern gibt eine bestürzend schlichte theologische Erklärung. Die Übersetzung müsse deshalb falsch sein, weil schon der bloße Gedanke, Gott könne einen Menschen in Versuchung führen, abwegig sei. Ein Vater tue so etwas nicht. Ein Mensch könne wohl fallen, aber „ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan.“

Diese Sichtweise passt zu einem modernen Mainstream-Christentum, das den biblischen Gott von allen verstörenden, widersprüchlichen und abgründigen Zügen reinigen will. Das Gottesbild wird nach den Maßstäben heutiger Moral passend gemacht und die Theodizeefrage – die Frage also nach Gottes Güte und Gerechtigkeit angesichts des Bösen und des Leidens – durch fromme Floskeln überdeckt.

Harmlose Argumentation

Wer so harmlos wie Franziskus argumentiert, ist für den modernen Atheismus, der die vermeintliche Nichtexistenz Gottes durchaus als Verlust betrauert, kaum ein ernst zu nehmender Gesprächspartner auf Augenhöhe. Aber auch auf der Ebene des persönlichen Glaubens und möglicher Glaubenskrisen macht man es sich so zu einfach. Theologisch macht es im Ergebnis keinen wirklichen Unterschied, ob Gott einen Menschen aktiv in Versuchung führen oder durch Unterlassen in Versuchung geraten lassen könnte.

Erlösung von dem Bösen

Der griechische Text des Vaterunsers will allerdings keine Antwort auf die weltanschauliche Frage nach dem Ursprung des Bösen geben, sondern er legt alles Gewicht auf den zweiten Teil der Bitte, Gott möge uns von dem Bösen erlösen. Sie ist von der Zuversicht getragen, dass Gott das tatsächlich nicht nur kann, sondern auch tun wird.

Übrigens ist der griechische Text gar nicht so schwer zu übersetzen, wie der Papst und andere behaupten, auch wenn schon einige altlateinische Übersetzungen am Text herumgedeutelt haben. Luthers aktivische Übersetzung „und führe uns nicht in Versuchung“, der auch die Zürcher Bibel und selbst die katholische Einheitsübersetzung folgen, ist sprachlich korrekt, wie auch der katholische Neutestamentler Thomas Söding feststellt.

Es war ein großer ökumenischer Fortschritt, als sich die Kirchen in den 1970er-Jahren auf die heute gültige ökumenische Fassung des Vaterunsers geeinigt haben, die es evangelischen und katholischen Christen ermöglicht, das Gebet Jesu gemeinsam zu sprechen. Dieses hohe Gut sollte nicht durch fragwürdige Übersetzungsversuche aus Spiel gesetzt werden.

Schon um der Ökumene willen, die doch auch Franziskus am Herzen liegt, sollten wir uns an Luthers Mahnung halten: „Das Wort sie sollen lassen stahn!“

Ulrich H. J. Körtner (geboren 1957 in Hameln) ist Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2017)

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