Gastkommentar

Großquartiere für die Asylwerber? Ein Nachteil für alle

Geflüchteten soll künftig individuelles Wohnen untersagt werden.

Geht es nach den Plänen der neuen Bundesregierung, sollen jene Asylwerber, die derzeit privat wohnen, bis zum Erhalt ihres Asylbescheids künftig in vom Bund organisierten Quartieren untergebracht werden. Von einer zentralisierten Grundversorgung erwarten sich die Entscheidungsträger eine Beschleunigung der Asylverfahren.

Die Geschwindigkeit der Verfahren dürfte zwar eher eine Sache der Bescheide ausstellenden Behörden als der Unterbringung sein, dennoch besteht ein Zusammenhang. Einer, der sich allein aus der Perspektive der Abschiebung erschließt. Abschiebungen sind schwieriger durchzuführen, wenn sich Asylwerber (oft nach jahrelanger Wartezeit) bereits integriert haben; ja sind fast unmöglich, wenn sie nach Erhalt eines negativen Bescheids untergetaucht sind.

Daher sollen alle fassbar werden. Charles Richard, ein in Nordafrika stationierter französischer Militär und Kolonisator, hat es 1846 so ausgedrückt: „Die Hauptsache ist doch, dass diese Leute, die überall und zugleich nirgends sind, gesammelt und für uns greifbar werden.“ So viel zum Geist und zur bürokratischen Logik, die hinter der geplanten Neuorganisation der Grundversorgung steht. Nun zu den Fragen der Sinnhaftigkeit.

Erhebliche Mehrkosten

Was spricht gegen eine verpflichtende Unterbringung in Sammelquartieren? Speziell in Wien, wo derzeit etwa ein Drittel der 20.000 Asylwerber in rund 100 organisierten von NGOs betriebenen Unterkünften lebt, bedeutete die zusätzliche Unterbringung von gut 13.000 Menschen in organisierten Quartieren nicht nur eine gewaltige baulich-raumorganisatorische Anstrengung, sondern auch erhebliche Mehrkosten. Neben dem Kostenaspekt – ein organisierter Grundversorgungsplatz kostet zurzeit 630 Euro pro Monat, Einzelpersonen, die privat wohnen, erhalten 365 Euro – sprechen aber noch weitere Argumente gegen eine Abschaffung der Privatunterbringung.

Isolation wird verstärkt

Individuelle Unterbringung erhöht die Chancen des Spracherwerbs und der Integration. Empirische Forschung zu Wohnbiografien von Geflüchteten belegt, dass jene, die nach der Erstversorgung bei Gastfamilien oder in gemischten Wohngemeinschaften wohnen, nicht nur wesentlich schneller Deutsch lernen, sondern auch mehr Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche erhalten. Früh einsetzende soziale Kontakte zu hilfsbereiten Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft begünstigen Integration. Sie stellen für Neuankömmlinge ein soziales Kapital dar, das in Sammelunterkünften nur schwer erworben werden kann.

Kontrollorientierte Sammelunterbringung verstärkt Isolation. Das Leben in organisierten Unterkünften ist in hohem Maß reglementiert und von Kontrollmechanismen geprägt. Die im Regierungsprogramm angekündigte Unterbindung von „aufenthaltsverfestigenden Maßnahmen“, aber auch Vorschläge zu weiteren Verschärfungen (Abnahme von Bargeld und Handy, Anwesenheitspflicht, Ausgangssperre) legen nahe, dass hier an der Perfektionierung einer „totalen Institution“ (im Sinn ErvingGoffmans) gebastelt wird.

Sozialwissenschaftliche Studien zur Lebenslage von Geflüchteten in deutschen Asylwerberheimen haben für ein solches Asylsystem, das strukturell auf Separierung, Isolation und Einschränkung persönlicher Freiheit hinausläuft, eine treffende Beschreibung. Sie sprechen von „organisierter Desintegration“. Also etwas, was beschädigend für die Betroffenen, aber letztlich zum Nachteil aller ist.

Anita Aigner, Assistenzprofessorin an der Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien, forscht über den Wohnungszugang von Geflüchteten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.